Anita Florian

Die Ungeliebten


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Buch mehrere Male durch und gelang zu der Überzeugung, dass dies die Lösung für Sentas schwere Krankheit wäre. Noch jung und kaum von zu Hause je weg gewesen, malte er seine Wünsche mit abenteuerlichen Fantasien farbenfroh an. Es stand fest, nach der Lehre sollte es soweit sein, dann hätte er ein Alter erreicht, wo man ihn nicht mehr ohne weiteres aufhalten konnte. Sollte es sein eigenes Leben kosten, er war besessen von den Gedanken, seine Mutter zu retten und die kostspieligste Hilfe in Anspruch zu nehmen, die niemand sonst in Erwägung zu ziehen gedachte. Schließlich war er belesen, einer, der sich informierte, jemand, der nichts unversucht zu lassen wollte.

      Stolz und voller Abenteuerlust, kraftvoll und stark, machte er sich mit dem alten, von seinen Eltern bezahlten Motorrad, frühmorgens auf die Reise.

      Senta winkte ihm mit nassen Augen nach, nachdem sie sich heftig umarmt hatten, kein Anfall folgte danach. Seinen Vater rief er ein Grußwort zu, als dieser sich wieder zu seinen Vögeln begab. Vielleicht war dies die letzte Chance, seiner Mutter möglicherweise zu helfen, seine Zuversicht überzeugte beinahe auch sie.

      Sie wollte nur eines: Ihren Sohn wohlbehalten wieder umarmen und ihn gesund wieder ankommen zu sehen.

      Der Tag begann mit wärmenden Sonnenstrahlen. Voll bepackt fuhr Ferry mit berauschendem Enthusiasmus los. Gestärkt beschleunigte er die Geschwindigkeit, aus dem Auspuff trat eine dunkle Gaswolke. Auf Haupt - und Landstraßen fuhr er durch halb Österreich und hatte nach einem halben Tag die Grenze nach Italien in Tirol ohne ein einziges Mal anzuhalten, erreicht.

      Nach der Abfertigung vor dem Zollgebäude am Brenner, gelang er zum ersten Mal auf italienischem Boden. In einem kleinen Bistro in der Nähe von Trento, kaufte er sich eine Pizzaflade, überwältigt von dem Geschmack nach köstlichen Tomaten die knusprig mit Käse überbacken war, ließ er sich es gemütlich schmecken. Nach einer kleinen Pause in einem mit allerlei Blumen angelegten Park, stieg er wieder auf sein Motorrad und brauste in Richtung Süden los. Gegen Abend erreichte er die Lagunenstadt Venedig, die er sich auf keinen Fall entgehen lassen wollte. Er besichtigte sämtliche Brücken, den berühmten Kanale Grande wo zahlreiche Gondeln mit begeisterten Touristen hindurch zogen. Die zahlreichen Geschäfte ignorierte er so gut es ging, zu verlockend waren die Angebote. Er entdeckte das Cafe „Florian“ und bestellte ein Glas Weißwein und einen Teller Minestrone. Die Nacht brach heran und nun war es an der Zeit, ein Nachtlager zu suchen. Ein Hotel kam nicht in Frage und so beschloss er, die Nacht im Freien zu verbringen. So startete er wieder hinaus aus Venedig und begab sich auf die Suche nach einer ruhigen Stelle, wo er Schlaf finden konnte. So machte er sich auf den Weg Richtung Bologna. Er hielt sich nah an der Ostküste, die Route, die ihn bald nach Foggia bringen sollte, dorthin, wo all seine Hoffnungen hingen. Die erste Nacht verbrachte er in einem Maisfeld, rollte seine Schlafmatratze aus, legte sich müde und abgespannt drauf, als ihm bewusst wurde, das er noch mit keinem Menschen seit seiner Ankunft in Italien, geredet hatte.

      Nachtgeräusche von zirpenden Grillen und Autos der entlegenen Straße begleiteten ihn in den Schlaf. Die erste Nacht brachte keine Zwischenfälle, er erwachte im Morgengrauen ausgeruht und voller Elan. Seine Uhr zeigte genau 5 Uhr 30. Ein Blick in seine Geldbörse verriet, dass er haushalten musste um Benzin und Essen, zumindest bis zu seinem Ziel, ausreichen mussten. Oft legte er in Meeresnähe eine entspannende Rast ein, blickte auf die sanften Wellen die seine Seele umschmeichelten, dachte an seine Braut, wie es Franzine wohl aufnehmen würde, an sein Vorhaben an das er verbissen glaubte, wie nichts sonst auf der Welt. Die Tage waren warm und freundlich, nichts sprach dagegen, die Nächte im Freien zu verbringen. Felder, oder die in voller Blüten stehenden Zitronenhaine dienten ihm als Nachtlager. Es hatte nur dreimal geregnet, so suchte er sich sein Quartier in den Warteräumen kleinerer Bahnhöfe, und einmal schlief er unter einer kleinen Brücke in abgelegter Einsamkeit. Menschen die ihm begegneten sahen ihn mit neugierigen Augen an, als ob er gerade aus einem Weltraumschiff gestiegen sei. Er vernahm kein deutsches Wort mehr, nicht so wie in Venedig, wo er Sprachfetzen von Deutschsprechenden Menschen oft aufgeschnappt hatte. Je südlicher er fuhr, desto wärmer wurden die Temperaturen. Es gefiel ihm zusehends, an den Tankstellen wussten die Zapfer sofort Bescheid, als er nur auf sein Motorrad zeigte und Benzin zum Weiterfahren brauchte. Die Lire verflüchtigten sich schnell, für die Heimreise würde nicht mehr viel übrig bleiben. Die nächste größere Stadt war Ancona, fasziniert vom Hafen und Sandstränden hielt er sich einen halben Tag lang dort auf. Die Kathedrale verlockte ihn, andächtig eine Weile darin zu sitzen und mehrere Gebete zu murmeln. Es gab ihm die nötige Kraft, im guten Glauben besichtigte er danach sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt, den Trajansbogen und schließlich die beeindruckenden Arcaden die diese Stadt zu bieten hatte. Pasta, mit leckeren Saucen stärkten seinen Körper und Sinne, die Menschen begutachteten ihn zwar mit neugierigen Blicken, doch sie kamen freundlich und aufgeschlossen auf ihn zu. Kein Wort war ihm geläufig, doch es war keine Mühe, sich verständlich zu machen. Auf den Speisekarten deutete er das Essen an das er gerne möchte, manche Gerichte kannte er ja schon vorher, die italienische Küche war berühmt für ihre besonders guten Angebote, die schon vor langer Zeit Einzug in die gesamte Welt gehalten hat.

      Er nahm den Kompass aus der Tasche, den ihm Tanno als Bub geschenkt hatte, schaute darauf und meinte, dass seine Navigationsfähigkeiten ziemlich gut ausgebildet waren. Ein Verirren war praktisch unmöglich, nicht, das er es ohne Feststellung geschafft hätte, er wollte sich nur vergewissern um zu sehen, wie gut er sich orientieren konnte. So arbeitete er sich gen Süden nach vorne, immer näher an das berühmte Krankenhaus in Foggia, von dem er gelesen und einiges auch schon im Radio gehört hatte. Dass er zwischendurch hungerte und dies nicht mal spürte, tat seinen Kräften keinen Abbruch. Seine Notdurft verrichtete er auf abgelegenen Orten, mitten im Gebüsch irgendeines Waldes oder Fruchtplantage, irgendwelche großen Pflanzenblätter dienten als Klopapier und seine Körperwäsche, die er ausgerüstet mit einer Kernseife an abgelegenen Bächen oder stillen Gewässern vornahm, sorgten, das er nicht nach penetranten Körperschweiß roch, was ihm sehr zuwider war, wenn er auch nur einen Hauch davon wahrnahm.

      Das Motorrad tat seinen Dienst, zufrieden fuhr Ferry seinem Ziel immer näher, die Sonne strahlte ihn fast jeden Tag mitten ins Gesicht, der Fahrtwind sorgte für ausgleichende Körpertemperatur. Dann, endlich erblickte er die Tafel, die ihn zufrieden stellend und sehr erleichtert in die Provinz von Foggia brachte. Langsam, um auch nichts zu übersehen, fuhr er in die herrliche Landschaft ein, in das Gebiet, was ihm die ganze Hoffnung und Zuversicht seine ohnehin vorhandenen Kräfte, noch mehr wachsen ließen.

      Das große Einganstor war geschlossen. Wahrhaftig, er stand leibhaftig vor den berühmten Krankenhaus Casa Sollievo della Sofferenza in San Giovanni Rontondo. Er war nun da, angekommen, endlich. Das große Gebäude machte ihm etwas Angst, in seinem Heimatort gab es nicht annähernd so einen großen Bau an Häusern. Es war nachmittags und die die Sonne brannte von Himmel, der Asphalt an den Straßen schien dahin zu schmelzen. Nach und nach kamen Menschen an das Tor, es war noch immer geschlossen, kein Laut drang nach vorne. Dahinter war kein Mensch zu sehen, die Parkanlage dahinter versprach mit den vielen Blumen einen herzlichen Empfang. Ferry verstand kein Wort von den Ankömmlingen, sie sprachen meistens italienisch, er vernahm auch englische Worte, die er sogar unterscheiden konnte. Es wurden immer mehr, Frauen Männer, sogar Kinder kamen mit ihren Eltern, manche saßen im Rollstuhl, manche waren stumm und fuchtelten mit ihren Händen herum, auch blinde waren dabei, Kleine und Große. Dann auf einmal hörte Ferry deutsche Wörter von einer Frau, die auf Krücken angehumpelt kam. Gestützt von einem jüngeren Mann, der immer auf sie einredete und pausenlos den Kopf schüttelte. Geduldig half er der Frau auf den Weg zum Tor, stützte sie mit seinen beiden Händen und ließ sie nie aus den Augen. Gehörlose, die mit Gebärdensprache mit ihren Angehörigen sprachen, waren genauso vorhanden, wie Stumme, Blinde, Gelähmte, schwangere Frauen und Menschen, denen man nicht das Geringste ansah, dass sie irgendein Gebrechen hatten. Wahrscheinlich Krebs, oder einen sonstigen Tumor, dachte Ferry, der sich in dieser Meute als Gesündester fast wie ein Schwindler vorkam. Geduldig harrten sie in der heißen Nachmittagssonne vor dem geschlossenen Tor aus. Dann endlich, mit einer braunen, langen Kutte bekleidet, schritt langsam ein Ordensbruder auf das Tor zu. Aufregung machte sich breit, die Menschen gerieten in Aufruhr und rätselten ob der dies sei, das Objekt ihrer Hoffnung, Pater Pio. Er war es nicht, ein demütiger, wie ein im Gebet verharrter Mönch, kam er langsam näher. Das große Tor wurde geöffnet, er nickte grüßend, mit einer Handbewegung orderte der Glaubensmann