Anita Florian

Die Ungeliebten


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Sie lagen noch lange nebeneinander, eng umschlungen und Franzine wusste, das nun mehr geschehen war als nur die erste Liebe, die sie genossen hatte und die ihr tief im Herzen verankert war.

      Der Hochzeitstermin der standesamtlichen Trauung war für den 22.November 1963 an einem Freitag, festgesetzt. Niemand ahnte, dass an diesem Tag etwas geschehen sollte, dass die ganze Welt den Atem anhalten ließ. Glückstrahlend beauftragte Freya eine befreundete Schneiderin Franzines Hochzeitskleid zu entwerfen. Stolz ließ sie das Maßband an ihr herumkreisen, der weiße Stoff aus feinem Atlas und echten Brüsseler Spitzen besorgte Freya von einem reisenden Kaufmann, den sie schon seit Kindertagen kannte. Gut, dass sie ihn telefonisch erreichen konnte, denn er weilte gerade in Paris um neue Kollektionen auszukundschaften. Nach Freyas Kontakten hatten schon viele neugierige Damen gefragt, doch sie gab niemanden auch nur ein Sterbenswörtchen preis, ihr Misstrauen, zu viele von den Frauen könnten in denselben Kleidern auftauchen, ließen sie lieber schweigen.

      Franzine blühte förmlich auf, das Bäuchlein war noch nicht zu sehen, doch die Schneiderin ließ mehr Raum auf der Vorderseite, damit das Baby auch bei der Feier schön wachsen kann, wie sie lachend meinte. Es folgten die Anproben und jedes Mal nahm das Kleid schönere Formen an, lang, bis zu den Knöcheln fiel der Stoff sanft und schmeichelnd über Franzines Beine, das Glücksgefühl in ihr war nicht zu beschreiben. Ferry machte ihr klar, dass sie keinen Schleier tragen sollte, ein Kränzchen aus kleinen Rosenblüten sollte ihr Haupt zieren.

      Die verhassten Zöpfe gehörten endlich der Vergangenheit an, das lange Haar, nun hochgesteckt zu einer „Bienenkorb“ Frisur, ließ sie an die entzückende Schauspielerin Audrey Hepburn erinnern. Die schmale Figur, oft in geblümten Kleidern und Stoffhosen mit dazupassender Hose eingekleidet, wurde dadurch dezent betont.

      Freyas Bedenken ließen nach, kam Ferry mit Freundlichkeit entgegen und gab ihm zu verstehen, dass sie ihre Tochter in guten Händen und glücklich sehen wollte. Seine Argumente waren plausibel, das Strahlen in Franzines Gesicht überzeugte sie, freute sich mit ihrer Tochter und unternahm alles um sie auch gut auszustatten. Ein neuer Lebensabschnitt begann, doch Franzine verlor kein Wort über ihre Schwester, dachte nicht im Entferntesten daran, sich bei ihr zu melden oder gar einzuladen. Dorothea war ausgeblendet, sie war einfach nicht mehr da. Freya verlor kein Wort darüber, obwohl es in ihrem Herzen schmerzte, hielt sie es für das Beste, das Thema nicht anzuschneiden. Doch die Hoffnung blieb, wusste insgeheim, das sich die beiden Schwestern eines Tages wieder versöhnen würden.

      Der Tag rückte näher, die Einladungen waren abgeschickt, ehemalige Schulfreundinnen von Franzine sagten mit Begeisterung zu, Verwandte, die es kaum fassen konnten, haben ihr Kommen bestätigt, gut gesinnte Nachbarn, die für die Hochzeit gesammelt hatten um Franzine mit einem Geschenk zu überraschen, freuten sich ebenso.

      Ferrys Freundeskreis war klein, lediglich drei von seinen Bekannten würden bei der Trauung anwesend sein, seine Eltern und die übrig gebliebene Verwandtschaft, die aus Annelie, Pepp und Thorsten bestand, werden der Zeremonie beiwohnen.

      Der Trauungssaal im örtlichen Standesamt an diesem Freitag den 22. November 1963 füllte sich, Menschen, die sich ihre beste Kleidung herausgeholt hatten, standen andächtig in den hinteren Reihen und lauschten der Rede des Standesbeamten, der mit viel Bedacht zwei Menschen für immer vereinte. Senta zog ein Taschentuch aus ihrem Kostüm und tupfte sich die Augen ab, die Tränen konnte sie kaum verbergen. Auch Annelie hielt sich ein Taschentuch an ihre Augen, Thorsten stand mit finsterem Gesicht neben seiner Mutter, Pepp hielt sich im Hintergrund und zog den Platz neben der Türe vor. Freya lächelte, doch auch sie kämpfte mit den Tränen der Rührung. Tanno räusperte sich, auch ihm ging es nahe, dass sein Sohn nun einen Lebensweg einschlug, der mehr Ernst erforderte, Verantwortung und Aufgabe.

      Die Ringe wurden an die Finger gestreift, behutsam, mit dem ewigen Gefühl der Zusammenhörigkeit. Ein leises Schluchzen drang durch den Saal. Ein Kuss folgte, beide Brautleute erlebten den Moment der unvergänglichen Liebe. Danach folgte die Unterschrift, die Franzine mit vollem Stolz und neuen Nachnamen glücklich in das Buch schrieb. Beide Trauzeugen, Sabrina bei Franzine, Tanno bei Ferry, setzten ebenfalls ihre Namen hinein. Franzine Tennenbach, Ferdinand Tennenbach, eine Besiegelung fürs ganze Leben.

      Die Tafel im besten Restaurant des Ortes war majestätisch geschmückt. Blumengestecke, die nur eine Fachkraft in derartiger Ausführung zustande brachte, waren über die beiden langen Tische gelegt, das Gedeck für jeden Gast peinlich genau aufgereiht.

      Für die Feier war eine Musikgruppe engagiert worden, die flotte Schlager und populäre Hits nachspielen konnte. Vier Mann, die mit ihren Instrumenten umzugehen verstanden. Gitarre, Bass, Schlagzeug und Pianino, die kleine Bühne war vor der Tafel aufgebaut, die Instrumente standen noch verlassen darauf und warteten schon auf die Klänge, die sie bald von sich gaben.

      Das Hochzeitsessen wurde aufgetragen, Griesnockerlsuppe, Rinderbraten mit allerlei Beilagen, Kuchen, Torte und Kekse wurde in die Tischmitte platziert, jeder konnte sich so viel er nur wollte, bedienen, die Stimmung stieg stetig an, Tanno erzählte lustige Anekdoten und die Runde brüllte vor Lachen. Franzine aß mit Appetit, zwar nur eine kleine Menge, doch sie dachte an das Baby, das in ihr heranwuchs, auf ihr Kind, dessen Geburt sie kaum noch erwarten konnte. Keinen Gedanken verschwendete sie an die bevorstehenden Schmerzen, die Natur wird schon wissen, was sie tut.

      Die Musiker stürmten auf die Bühne und beglückwünschten das Brautpaar aus vollem Herzen. Ausgelassen spielten sie flotte Gassenhauer Schlag auf Schlag, das Brautpaar eröffnete den ersten Tanz, die Saalmitte füllte sich mit tanzenden Menschen, alle waren glücklich, fröhlich und zufrieden. Die Geschenke wurden ausgepackt und Franzine freute sich über das kostbare Tafelbesteck, das ihr Freya als Ausstattung mitbrachte. Nach und nach kamen ein Rumtopf, Kochbücher, Kaffeeservice, echtes Porzellangeschirr, Bücher von namhaften Autoren und Damastbettwäsche zum Vorschein. Glücklich strahlte Franzine aus ihr heraus, Ferry umarmte sie, küsste sie und zog sie wieder auf die Tanzfläche wo sie einen neuen Tanz ausprobierten. Twist, der unter den jungen Leuten großen Anklang fand und überall nachgeahmt wurde, sogar zu Hause vor dem Radio, übten sie den populären Wackeltanz wirbelnd auf dem Tanzboden.

      Die Feier wurde jäh unterbrochen. Die Band verstummte mitten in einem flotten Musikstück. Der Wirt stürmte aufgeregt auf die kleine Bühne. Überrascht starrten die Feiernden in sein erregtes Gesicht, die tanzende Menge hielt inne, nicht ahnend, was gerade in einem anderen Erdteil geschehen war. Der Wirt suchte nach Worten, griff sich schließlich das Mikrophon und sagte mit bebender Stimme: „ Entschuldigt Leute, ich muss diese wunderbare Hochzeitsfeier unterbrechen, etwas Schreckliches, Unfassbares ist passiert. Eben gaben sie im Rundfunk durch, dass John Fitzgerald Kennedy erschossen worden ist. Ich habe gleich das Fernsehen eingeschaltet, die Sondersendung sendet schon Bilder aus Dallas. Falls jemand möchte…nebenan steht das TV Gerät….“ Er sprach gebrochen, der Schock saß ihm tief in den Gliedern.

      Betroffenheit machte sich unter den Gästen bemerkbar. Franzine fiel in Ferrys Arme und schluchzte, er stützte sie und schüttelte sprachlos den Kopf. Zusammen mit einigen Gästen gingen sie in den Nebenraum um das Attentat auf den US - Präsidenten zu verfolgen. Fröhlich, mit seiner Frau Jackie, winkte er aus dem weißen Cadillac in die Menschenmenge, bis er plötzlich, in sich sackend, in dem offenen Auto nach vorne fiel. Mit offenem Mund standen die Gäste im Raum, konnten nicht fassen, dass dies nun vor einigen Minuten geschehen war. Dieses jähe Ende eines der besten Politikers die es je gegeben hat, begriffen wohl die wenigsten Menschen auf diesem Erdball. Es durfte einfach nicht sein! Doch die Bilder sprachen die brutale Wirklichkeit, Entsetzen und Schmerz bemerkte man nicht nur bei den Menschen ringsum, auch die Moderatoren fassten ihre Worte in Ergriffenheit. Die gesamte Menschheit sollte sich für immer daran erinnern.

      Die Feier dauerte bis tief in die Nacht, der graue Schleier der Trübseeligkeit hing über ihren Häuptern. Eines der wärmsten Novembertage der letzten Jahre neigte sich dem Ende zu.

      Franzine war nun als glückliche, gehorsame Ehefrau zu den Tennenbachs gezogen. Gleich am nächsten Tag, nachdem sie eine romantische Hochzeitsnacht genossen, lange geschlafen und sich ausgeruht hatten, holte sie ihre Sachen von zu Hause ab. Die Geschenke der Brautleute wurde schon in die Wohnung der Tennenbachs gebracht und wurden im Flur abgestellt. Freya, die mit unglücklichem Gesicht ihrer Tochter beim Packen