Anita Florian

Die Ungeliebten


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danach eingelassen. Die Rollstuhlfahrer, sonstige Lahme, Blinde und Gehörlose hatten Vorrang. Die gesünder Aussehenden hatte man als Letzter vorbehalten. Gerade als Ferry mit zwei anderen Männern hoffte, eingelassen zu werden, kam der Mönch wieder heraus und schüttelte den Kopf, gab zu verstehen, dass sie keine Chancen haben jemals zu dem Pater durchgelassen zu werden. Nicht heute, nicht morgen, niemals. Einer der Männer übersetzte die italienisch gesprochenen Worte des Gottesmannes so gut es ihm möglich war. Es half kein Fragen und Betteln, die drei Männer mussten das Krankenhaus wieder verlassen. Niedergeschlagen erreichten sie den Ausgang. Keine Chance…niemals. Die Enttäuschung Ferrys musste sich Luft machen, er schleuderte Steine auf das Tor, dann kamen Carabinieri und sperrten ihn in ein Gefängnisloch. Am nächsten Tag ließ man ihn wieder frei als sie sahen, dass er fast kein Geld bei sich hatte, keinen Alkohol und keine Drogen bei sich trug. Da er Ausländer war und kein Wort italienisch sprach, verloren die Polizisten die Geduld und beförderten ihn mit einem kräftigen Tritt in den Hintern nach draußen. Mit Schimpf und Schande aus dem Gefängnis rausgeschmissen zu werden, passierte nicht alle Tage und Ferry musste sogar grinsen. Sein Motorrad fand er gleich wieder und musste feststellen, das der Tank fast leer war. Etwas Geld war noch vorhanden, doch es reichte niemals bis zur nächsten Ortschaft, geschweige denn bis nach Hause. Also was tun? Er beschloss das Gefährt erst einmal zu schieben, wer weiß, vielleicht hatte jemand Mitgefühl und könnte ihm aus der Patsche helfen. So schob er es eine ganze Weile am Wegesrand dahin, von Müdigkeit übermannt und ziemlich kraftlos, kam er nur sehr langsam vorwärts. Menschen begegneten ihn, riefen ihm lachend nach, er kümmerte sich nicht darum, er verstand sowieso kein Wort. Die Dunkelheit brach herein und so beschloss er, ohne einen Bissen Essen im Bauch, sich ein Nachtlager zu suchen. Es war warm und lau, mit dem Wetter hatte er Glück, ein trockenes Plätzchen in irgendeinem Waldstück oder Weinplantage würde er schon finden.

      1969

      Mit voller Aufmerksamkeit verfolgte Dorothea die Schilderungen ihrer Schwester. Franzine, die sich die Last von der Seele zu sprechen schien, blieb ruhig und gelassen.

      „….als er die Provinz Foggia endlich verließ, besaß er weder Geld noch Kleidung zum wechseln, er entsprach genau der Typ eines Landstreichers, der verzweifelt darum bemüht war, so schnell als möglich wieder nach Hause zu kommen. Viele Nächte im Freien ließen seine Haut austrocknen, an Bächen und Flüssen verrichtete er seine Körperreinigung, meistens schob er das Motorrad, bis ihm eine Idee kam, die er auch umsetzen konnte. Tageweise putzte und polierte er Essbesteck in diversen Restaurants, spülte Geschirr und konnte sich auch mal baden, klammheimlich natürlich, die Inhaber durften nichts davon wissen. Sie sparten an Wasser und Strom, eines Tages kam ein Besitzer dahinter, das Tagesgeld wurde gestrichen und er prügelte sich mit dem kleinen Inhaber einer Imbissbude, der zückte ein Kartoffelmesser und versuchte auf ihn einzustechen. Er wehrte sich ab, indem er die Hände vor das Gesicht hielt um keine Stichwunden im Gesicht abzubekommen, man muss sich vorstellen, der kleine Italiener, mindestens um einen Kopf kleiner als er, versuchte sein Gesicht zu zerschneiden. Nachdem er die Hände des Italieners zu fassen bekam, gab dieser zu seiner Erleichterung auf. Trotzdem, manchmal bekam er auch zu Essen und das Geld, das er ausbezahlt bekommen hatte, ging für das Benzin drauf. In einem weitaus gepflegteren, sauberen Restaurant blieb er fast eine Woche und half auch als Kellner aus, die Trinkgelder verbrauchte er meistens für Benzin, er kaufte weder neue Kleidung noch fiel ihm ein, ein Geschenk für seine Mutter oder mich zu besorgen. Das natürlich war uns beiden egal, Hauptsache er kam zwar völlig desolat, aber ansonsten wieder gesund nach Hause.“

      „Also im Eigentlichen wollte er Pater Pio um Hilfe für seine Mutter bitten, ihn fragen, ob er sie zu ihm bringen dürfe.“

      „Das hatte er sich fest vorgenommen, doch wie schon erwähnt, nicht mal einen Hauch einer Chance wurde ihm zugestanden, wahrscheinlich war es sein Gesichtsausdruck, den dieser Mönch davon abschreckte ihn durchzulassen, oder er sah zu gesund aus, das haben wir nie erfahren.“

      „Welch eine Tortur er sich aufbürdete, was bewirkt dieser Einfluss eines Wunderheilers, der zwar Hoffnung gibt, aber gewissen Menschen es verwehrt wird zu ihm durchzugelangen. Er muss über viel Mut verfügt haben, das muss man ihm zugestehen.

      In deinem Brief war zu lesen, dass er anfing dich zu misshandeln, davon will ich alles hören Franzine, dein schlechter psychischer Zustand macht mir ernste Sorgen, reden hilft da sicher am besten. Ich werde noch einen Tag länger bleiben und Bernadette sagen wir morgen noch nichts. Einverstanden?“ Dorothea lächelte.

      „Du machst mir die größte Freude die ich in letzter Zeit erfahren habe, danke Dorothea.“ Franzine senkte den Kopf, es war viel mehr an Güte und Verständnis die ihr entgegengebracht wurde, als sie von ihrer Schwester erwartet hatte. Erleichterung, die Last von den Schultern, es fühlte sich wesentlich besser an, gleichzeitig das drückende Gefühl um ihre Tochter.

      Vertieft in Franzines Schilderungen vergaßen sie vollkommen die Zeit. Einige Tassen Kaffee ließ keine Müdigkeit aufkommen, das Licht in der Küche schien hell von der Decke, beide Frauen genossen ihr Beisammensein als wäre es das Letzte Mal in ihrem Leben, als gäbe es nicht genügend Zeit auf dieser Welt.

      Weit nach Mitternacht, der Morgen wartete schon darauf zu grauen, betraten sie das Schlafzimmer, schläfrig und nun ermüdet, zogen sie ihre Nachthemden an und betrachteten Bernadette, die friedlich in der Bettmitte schlief und stockend atmete.

      „Der Kissenbezug ist völlig durchnässt, sieh mal Franzine, genau an Bernadettes Kopf, sieht aus, als ob sie geweint hätte.“ Besorgt beugte sich Dorothea über sie und konnte auch die Rotgeweinten Augen an ihr erkennen.

      „Sie wird doch nicht…..“ Franzine überkam ein kalter Schauer, „ ob sie uns belauscht hat, alles gehört hat was wir besprochen haben? O mein Gott….dann weiß sie Bescheid. Ich bin völlig durcheinander….“

      „Beruhige dich Franzine, sie schläft jetzt, alles Weitere besprechen wir morgen wenn wir ausgeruht und wieder frisch sind. Bring mir einen neuen Bezug, den hier müssen wir wechseln, es wird alles gut werden.“

      Franzines Herz schien zu zerspringen, rieb ihre kalten Hände und seufzte unentwegt.

      „Na komm schon Schwester, leg dich hin, nur keine Angst, wir brauchen unseren Schlaf, und Bernadette wird morgen wieder fröhlich aufwachen. Wenn sie Bescheid weiß, dann müssen wir unser Übriges tun, und dann, wird sie es auch verstehen.“ Franzine nickte, schließlich blieb ihr dieser Weg nicht erspart, Dorothea blieb ja noch einen Tag länger, eine Stütze, die sie in diesem Moment mehr denn je brauchte.

      Das Licht wurde ausgemacht und schon bald holte sie der Schlaf ein. Ruhig lag Franzine im Bett und dachte an das bevorstehende Gespräch mit Bernadette. Doch schon bald hörte man auch sie leise atmen. Durch die Vorhänge drang ein schwacher Mondenstrahl, ruhig und friedlich schliefen sie bis in den Vormittag hinein.

      1963 – 1964

      Der Tag stand nun fest, ihre Liebe wurde besiegelt vor Gott und der Welt. Franzine, bereits im 3. Monat schwanger, konnte den Tag kaum erwarten, endlich die Frau von dem Manne zu werden, den sie seit ihrer Schulzeit liebte und achtete. Ferry wandelte sich zu einem besorgten, liebevollen Gefährten, der ständig bedacht war, dass seiner zukünftigen Frau und werdenden Mutter an nichts fehlte. Er beschenkte sie mit köstlichen Pralinen oder ein Glas Heringe, wenn ihr danach gelüstete, trug sie die Treppen hinauf aus Angst, sie könnte stolpern. Franzine, die wieder kräftig und gesund war, wehrte sich zwar, ließ es aber dann geschehen und lachte, schließlich hatte sie keine lebensbedrohende Krankheit erwischt, sondern es wuchs ein kleiner Mensch in ihr, ein Lebewesen, dass Ferry vor Freude fast um den Verstand brachte.

      Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus trafen sie sich wieder täglich. Nach weiteren zwei Monaten hielten sie eines Nachmittags an einem heißen Augustnachmittag Rat. Senta und Tanno besuchten Annelie und Pepp und so saßen sie auf dem metallenen, weißen Bett, liebkosten sich und beschlossen schließlich, dass sie es amtlich bescheinigen lassen wollten. Mit einem kleinen gelben Rosensträußchen flüsterte er ihr den Heiratsantrag ins Ohr. Benommen vor Glück nickte Franzine heftig, weinte vor Freude, umarmte ihn und schrie ein lautes Ja! Dann drückte er sie sanft auf das Kissen, was danach folgte war für sie etwas Neues, etwas, dass sie noch nicht kannte, aber herbeigesehnt