Anita Florian

Die Ungeliebten


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Ardos putzt die Badewanne hinterher mit Scheuerpulver sauber, dann riecht es nicht mehr nach Pucki.“

      „Das glaube ich nicht, wenn der Hund mal drinnen war, so riecht die Badewanne, das weiß ich genau, mich würde es wie den Hund schütteln, wenn ich in dieser Wanne baden müsste, ich hab das wirklich noch nie gehört das ein Hund in die Badewanne kommt, ich frage aber meine Mutter, die hat das auch noch nie gehört.“

      Es war ganz klar, Tanja mochte keine Hunde und da halfen auch sämtliche Argumente nichts. Inzwischen hatte Pucki neben Bernadette Platz genommen und wartete ungeduldig auf den nächsten Schneeball. Sie war schon etwas müde und legte eine kleine Pause ein.

      „Ich hab Hunger“, sagte Tanja plötzlich, „ du auch?“

      „ Ein bisschen schon, ja“, antwortete Bernadette und tatsächlich hatte sie heute noch keinen Bissen zu sich genommen.

      „Was gibt es heute bei euch?“ wollte Tanja wissen.

      „Das weiß ich noch gar nicht, ich hab meine Mutter nicht gefragt“, eigentlich war es Bernadette unwichtig was auf den Mittagstisch stand, Hauptsache es schmeckte gut und machte satt.

      „Morgen ist Sonntag, da gibt es bei uns immer Schlagsahne“, sagte Tanja und blickte durch die Zaunritze auf Pucki der noch immer neben Bernadette saß und winselte. Sie schien sich wieder beruhigt zu haben, stand nun enger am Zaun und besah sich die beiden Freunde. Schlagsahne, ja, natürlich, dieses süße, weiße, weiche Zeug das so wunderbar schmeckte. Bernadette kannte diese köstliche Speise, bei Tante Annelie gab manchmal ein Stück Torte mit Schlagsahne, genau das muss es sein. Bernadette lief das Wasser im Munde zusammen. Sind das etwa reiche Leute die Breckers? Sie begann Tanja ein bisschen zu beneiden, ließ sich aber nichts anmerken.

      „Ich muss dann mal gehen“, sagte Tanja und rieb sich den Bauch, „ es gibt bald Essen bei uns, bestimmt wieder Leberkäse und Kartoffelpüree, das mag ich besonders gerne.“ Sie schnalzte mit der Zunge, bückte sich, nahm etwas Schnee, formte einen Schneeball und warf ihn über den Zaun. Pucki war sofort zur Stelle und sauste hinterher.

      „Na gut, dann iss deinen Teller auch leer“, meinte Bernadette und ihr wurde klar, das Tanjas Lieblingsthema wohl das Essen sei. Tanja rannte wieder zurück dabei hüpfte sie von einen Bein auf das andere und beachtete kaum das Auto das gerade um die Ecke bog, schnell war sie im Haus verschwunden. Pucki winselte wieder und wartete auf den Schneeball. Das Spiel nahm wieder seinen Lauf, Pucki gelang es sogar einen Schneeball mit seinem Maul in der Luft aufzufangen. Bernadette war so beschäftigt, dass sie nicht merkte dass sich ein blauer Wagen in Schritttempo näherte. Sie erschrak heftig als sie eine Wagentür mit voller Wucht zuschlagen hörte. Auch Pucki zuckte zusammen. Kurz darauf öffnete sich das Gartentor und eine elegante, gut gekleidete Dame betrat den Innenhof. Der Wagen schimmerte blau-metallic durch die Ritzen, Bernadette kniff die Augen zusammen als der Lack sie zu blenden begann auf dem die Sonne mit voller Pracht herunter schien. So einen großen Wagen hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen, ihren Blick konnte sie kaum von dem Auto abwenden. Dass sich so ein schicker Schlitten in diese Gegend verirrte war ziemlich ungewöhnlich, fast nahm er den gesamten Weg ein, prachtvoll parkte er vor dem gewöhnlichen Haus. Die elegante Frau kam langsam auf Bernadette zu, lächelte sie freundlich an und zeigte nicht die geringste Spur Angst, als Pucki auf sie zugelaufen kam.

      „ Hallo, du Prachtkerl“, rief sie freudig und streichelte sein kurzes Fell. Bernadette blieb der Mund offen stehen, noch nie ist ihr so eine wunderschöne Frau untergekommen, so herrlich gekleidet, die Frisur so hoch, und mit Schuhen die sie nicht mal in Katalogen gesehen hat. Die brünetten Haare waren kurz geschnitten, am Hinterkopf hoch auftoupiert, der Seitenscheitel verlief bis zum rechten Ohr. Ihr hellblaues Kostüm saß an ihrem schlanken Körper wie angegossen, der Rock reichte exakt bis oberhalb der Kniescheibe. Das faszinierende an ihr waren die Schuhe: Mit dunkel und hellblauen Mustern auf echtem Leder stand sie vor ihr, die Fersen standen kerzengerade in die Höhe, so als wollten sie geradezu in den Himmel hinaufstoßen. Der Stöckel aber, der so dünn wie ein Bleistift und genauso hoch war, erweckte Bernadettes Interesse. Vorne liefen die Schuhe zu einem scharfen Spitz zusammen, man konnte den Ansatz der Zehen durch die Nylons erkennen. Der Gang glich einer Fee, graziös und langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Der vom Schnee frisch gefegte, mit einer dünnen Eisschicht behaftete Weg schien ihr nichts auszumachen, ihre Schritte waren sicher und gerade. Sie tätschelte Puckis Kopf während Bernadette sie noch immer fassungslos anstarrte.

      „ Grüß dich Kleine“, sagte sie freundlich zu ihr, beugte sich etwas hinunter und fragte: „ kannst du mir bitte sagen wo hier Tennenbach wohnt?“ Hilfsbereit kam Bernadette näher, packte spontan die Hand der Fremden und zog sie mit sich die Stufen zur Eingangstüre hinauf.

      „Dort oben, gleich diese weiße Tür“, sie zeigte mit ihrem kleinen Zeigefinger durch die Sprossen des Stiegengeländers auf die Wohnungstüre im ersten Stock.

      „Ich danke dir, Kleine“, fröhlich ließ sie die Hand Bernadettes los und tappte mit gekonntem Hüftschwung die Stufen empor. Laut pochte sie an die Tür, nestelte an ihrem Kragen herum und atmete tief durch. Neugierig spähte Bernadette nach oben, was wohl die fremde Frau hier bei uns wolle? Franzine öffnete. Beide Frauen standen sich gegenüber, blickten sich ein paar Sekunden in die Augen bevor sie sich in die Arme fielen und sich schluchzend fest umklammert hielten. Sie wogen sich, sie drehten sich im Kreise, die Wangen fest aneinandergepresst, die Arme innig umschlungen, so als wollten sie sich nie wieder loslassen. Erst nach Minuten fanden sie ihre Fassung wieder. Nach der heftigen Umarmung zerrte Franzine ihre Schwester in die Wohnung und erst dann fand sie ihre Sprache wieder.

      „Ich freue mich so dich wieder zu sehen“, stammelte sie, bemüht ihre Tränen im Zaum zu halten und ihre Stimme zu wahren. „ Ich kann es noch immer nicht glauben dass du da bist, wahrhaftig vor mir stehst“, sie suchte nach einem Taschentuch und trocknete sich die Augen. Auch Dorothea, die ihren Arm um ihre Schultern legte, tupfte sich die Augen ab und lächelte. Beide nahmen auf der knarrenden Bettbank Platz und blieben für einige Augenblicke stumm.

      „Ich helfe dir, selbstverständlich werde ich für dich da sein, auch für dein Kind.“ Dorothea begann langsam zu sprechen „ ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht als ich deinen Brief bekam, ich konnte nicht anders, ich musste so schnell wie möglich zu dir kommen. Weißt du was, du wirst mir alles der Reihe nach erzählen, alles, und zwar beginnst du genau da an dem Tag als ich unser Zuhause verlassen habe, ich bin ja nie wieder zurückgekommen außer bei den Beerdigungen, du musst mir genau berichten, ich hab mir weiß Gott was vorgemacht, ich dachte, alles wäre für immer aus zwischen uns. Doch ich will nicht davon sprechen, wichtig ist jetzt für dich, wie es nun weitergeht, und ich glaube, du musst dich mal tüchtig aussprechen, mal sehen, vielleicht finden wir zusammen eine Lösung die sich verwirklichen lässt.“ Franzine begann heftig zu weinen, Dorothea strich ihr geduldig über den Rücken.

      Als sie sich etwas gesammelt hatte, brühte Franzine Tee und stellte einen Teller Plätzchen auf den Tisch. Dorothea sah sich inzwischen in der Küche um, sie wollte ihrer Schwester zu Hilfe kommen, doch Franzine lehnte ab. Sie sollte nicht merken dass sie sich schämte, schämte für all die Jahre die vergangen sind und die Sinnlosigkeit die sich darin ergab.

      „Du trägst ja noch immer deine schönen langen Haare“, bemerkte Dorothea und betrachtete Franzines straff sitzenden Haarknoten, griff nach einem Plätzchen und biss herzhaft in den Keks.

      „ Die schmecken fantastisch, aber du weißt ja, ich darf nicht zu viel naschen, es legt sich ja alles auf die Hüften, du bist viel besser dran, du hast noch immer deine 48 Kilo, ich finde das beneidenswert“, Dorothea betrachtete ihre Schwester bewundernd.

      „Ich habe kaum Appetit“, Franzine verzog ihr Gesicht, „ ich muss mich geradezu zwingen ein paar Bissen hinunter zu würgen, doch ich esse viel mehr als damals bei den Tennenbachs, ich verspüre manchmal sogar Appetit, auch auf Süßes.“ Dorothea freute sich dies aus dem Munde ihrer Schwester zu hören. Es ist ihr noch gut in Erinnerung als Franzine damals gezwungen wurde ihren Teller leer zu essen. Kein einziges Mal aß sie ihren Teller unaufgefordert leer, und das Theater am Mittagstisch dass sich täglich wiederholte, blieb unvergessen. Eduard beharrte darauf, das Franzine keinen vollen Teller abgab, er verbot