Heinz-Jürgen Schönhals

Ulrike D.


Скачать книгу

Elmar stellte sich schon vor, wie der Psychologe mit penetranten Fragen forschend in sein Innerstes drang:

      ’In welcher Beziehung standen Sie, außer zu Ihrer Verlobten, zu dieser Ulrike oder zu diesem jungen Mann, Herr Redlich? Warum blicken Ulrike und der jungen Mann Sie immer so vorwurfsvoll an? Gibt es hier etwas, was Sie mir verschweigen?“

      So oder ähnlich oder auch zurückhaltender wird der Therapeut vermutlich seine psy­chologische Untersuchungstechnik bei ihm erproben und dann mit seinen Ausfüh­rungen vielleicht so fortfahren:

      „In der Jugend, Herr Redlich, reagiert man oft falsch, man ist naiv, weltunerfahren, bar jeder Menschenkenntnis und als junger Mann selbstverständlich auch bar jeder Kenntnis der Mädchen- und Frauenseele. So haben Sie sich Ihren Mitmenschen ge­genüber ganz sicher nicht immer richtig verhalten, Sie haben sich in einem gewissen Sinne schuldig gemacht, schuldig nicht im moralischen Sinne, nein, das ist nicht ge­meint! Sondern schuldig im - sagen wir einmal - existentiellen Sin­ne, und jetzt quillt diese ’Schuld’ in Form von Alpträumen aus Ihrem Unterbewusst­sein hervor. Ihre Seele, Herr Redlich, ist diesem Schuldgemenge nicht mehr gewach­sen!’

      “Garantiert interessieren den Mann alle Details meiner früheren Beziehungen zu Mädchen, zu Frauen“, sprach Elmar leise zu sich, “auch das 'Existentiell-Schuld­hafte' würde er ganz sicher mit einer Akribie aus den entlegensten Abstellkammern meiner Seele hervorzerren und inspizieren, dass am Ende dieser Prozedur der ganze stickige Qualm der Schuldgefühle aus meiner Seele entweicht, wie die verdorbene Luft aus einem prall gefüllten Säckchen. Anschließend wird er dann zu mir sagen, im Tone der Selbstgewissheit: ’Die Prozedur hat Erfolg gehabt, Herr Redlich. Sie sind von Ihren Alpträumen befreit!’“

      „Oder auch nicht!“, setzte Elmar hinzu, jetzt mit lauter, aufbrausender Stimme, denn das Argumentieren des Psychologen - so wie er es sich vorstellte - hatte ihn wütend gemacht. Nach einigem Nachdenken fuhr er im entschiedenen Tone fort: „Nein, diese wahr­scheinlich teure Rosskur kommt für mich nicht in Frage! Ich mach’ es anders: Ich forsche selbst nach den Ursachen. Indem ich die wichtigsten Vorkommnisse meiner Vergangenheit untersuche, stoße ich ganz von selbst auf die genannte Störquelle, und durch eine akribische Untersuchung im Umfeld der „Quelle“ befreie ich mich von meinen Alpträumen, oder anders gesagt: ich drehe dem Störsender mit einem erlö­senden Handgriff den Strom ab; schon ist meine Seele entlastet, schon hat mein Ge­hirn keinen Anlass mehr, mich weiter mit unangenehmen Träumen zu belästigen.“

      Allerdings, da gab es ein Hindernis: Elmar Redlich blickte nicht gerne zurück. Allen­falls tat er es unfreiwillig, bei einem Treffen mit alten Freunden, wenn sentimentale Erzählungen und der Zauberer Alkohol seine Seele übertölpelten. Im nüchternen Zu­stand kam ihm die Vergangenheit immer wie eine verstaubte Dachkammer vor, in die hineinzugehen er nicht die geringste Lust verspürte. Denn was erwartete ihn dort an­deres als der trostlose Anblick eines Bereichs, wo altes Zeug, Sperrmüll und Plunder, herumsteht und herumliegt, was ihm früher einmal - unver­braucht und neu - etwas bedeutete, wo sein einst pralles, buntes Leben nun als kon­turloses Schattenspiel an ihm, dem Zurückblickenden, vorüberzieht, wo ihm ständig der kalte Hauch des Unwiederbringlichen entgegenweht und er das längst Erledigte, das, womit er sich seit langem hat abfinden müssen, nur noch in vergilbten Fotos oder altfränkischen Gemälden betrachten oder rückschauend in Selbstgesprächen er­örtern kann. Vor allem das Gefühl, die Vergangenheit allein in der Form einer versteinerten Landschaft wahrzunehmen, wirkte von jeher niederschmetternd auf ihn: Wie in einem riesigen Eisblock auf ewig verschlossen, kommt ihm sein früheres Leben immer vor, wenn er in jener Dachkammer steht und ins Grübeln gerät; nichts an dem Abgelebten kann man mehr verändern, nicht mehr den einen oder an­deren fatalen Verlauf noch einmal auf ein anderes, glücklicheres Ziel hin neu entwer­fen.....! - Ja, so dachte Elmar nun einmal über seine Vergangenheit, so negativ, so verbit­tert, und es war deshalb nur zu begreiflich, dass er zögerte, sich dieser Vergangenheit in der genannten Dachkammer zu stellen. –

      Elmar Redlich ist Lehrer und unterrichtet am L - Gymnasium in D*** die Fächer Deutsch und Philosophie. In den Ferien unternimmt er gern weite Fahrten mit sei­nem Wagen, meistens alleine. Seine Frau Lisi, ein häuslicher Typ, bleibt lieber zu Hause bei Elena und Ingeborg, ihren beiden Kindern. Vor al­lem lehnt sie es ab, ihre Schwiegermutter zu besuchen, die weit weg in Walldorf im Taunus wohnt, wohin Elmar aber nicht selten hinfährt, da er sich verpflichtet fühlt, hin und wieder nach seiner verwitweten alten Mutter zu sehen.

      „Aha, wieder einmal geht es zu Muttern!“, hörte er Lisi hinter sich lästern, als er ge­rade seine Koffer für die Reise packte, „der Herr Sohn kann ja ohne seine Mutti nicht auskommen! Das wievielte Mal packst du denn in diesem Jahr deine Koffer, Elmar? Das fünfte oder, warte mal, ich glaube: es ist schon das sechste Mal!“

      „Quatsch!“, erwiderte er mit lauter Stimme, da ihn der höhnische Ton seiner Frau provozierte, „es ist höchstens das dritte Mal.“

      „Das dritte Mal? Dass ich nicht lache!“

      Lisi, ihre dunkelblonden Haare mit hochmütiger Gebärde nach hinten strei­chend und den Kopf in den Nacken werfend, blickte ihn mit böse funkelnden Augen an.

      „Das fünfte Mal ist es“, präzisierte sie mit schriller Stimme, „garantiert das fünfte Mal!“

      Er schaute ihr in die blitzenden Augen, dann erfasste sein Blick ihre schlanke Ge­stalt. Ihre Haare, sonst zu einem Zopf nach hinten gebun­den, hatte sie jetzt aufgelöst, sodass sie in langen Wellen ihr Gesicht um­rahmten. Dieses, ebenmäßig, mit leicht gewölbter, hoher Stirn, einer geraden Nase und einem vollen Mund, wirkte reizvoll und sympathisch. Seine Frau war im­mer noch hübsch, auch wenn sie ihren schönen Mund gerade zu einer häss­lichen Schnute verzog und ihre graugrünen, weit geöffne­ten Augen das Weiße zum Vorschein brachten. Doch ihr adrettes Aussehen täuschte Elmar nicht darüber hinweg, dass er seit einiger Zeit gar nicht glücklich mit ihr war.

      „Und mich lässt du hier wieder einmal alleine, mit den Kindern und all den Proble­men“, hörte er sie weiter mit schriller Stimme sprechen, „es interessiert dich wohl gar nicht, dass wir auch gesellschaftliche Verpflichtungen haben.“

      „Du meinst die Heberers und die Reitmeiers!?“

      „Und die Bergs! – Ja, die müssen wieder eingeladen werden!“

      „Ach, das kann doch bis nächste Woche warten!“

      „Das sagst du jedes Mal! Die Frau Heberer hat mich letzte Woche in der Stadt nicht gegrüßt.“

      „Und du meinst, das hängt mit unseren..... gesellschaftlichen Verpflichtungen zusam­men!?

      „Klar! Ich würde das auch als Affront auffassen, wenn ich Freunde gerade fürstlich bewirtet habe, und die lassen dann eine Ewigkeit nichts von sich hören.“

      „Na, dann nimm du das doch in die Hand. Ein Telefonanruf bei den Heberers, den Bergs und den Reitmeiers, sie sollen zu unserer Soiree kommen, sagen wir: über­nächste Woche, schon wird dich Frau Heberer wieder grüßen!“

      „Mach’ keine Witze! - Du hast dich ständig vor den Einladungen gedrückt. Und jetzt drückst du dich vor den Vorbereitungen. Ich muss das alles alleine organisieren, das ganze Drum und Dran, während du dir wieder eine Reise zu Mutti gönnst.“

      „Ach, ich bleibe doch nicht lange weg.“

      „Außerdem vergisst du, was gerade die Einladung an die Bergs für dich bedeutet – bei dem Einfluss, den Berg in deinem Kollegium hat!“

      „Nein, nein, ich vergesse das nicht!“

      Es hatte keinen Zweck, Lisi weiter zu widersprechen, sie wird immer nach neuen Anlässen zum Nörgeln suchen und sie garantiert auch finden. Wenn Elmar ihr erklär­te, warum er mit den Einladungen an die Heberers, die Bergs et cetera noch ein biss­chen warten wollte, wird sie bestimmt den Lehrerball übernächste Woche zum The­ma machen, und sie wird ihm vorjammern, sie wüsste nicht, was sie anziehen soll, er solle ihr beim Aussuchen eines Abendkleides doch bitte helfen, damit seine Kollegen sie nicht so kritisch mustern, und wenn er ihr sagte, das Aussuchen des Abendkleides hätte noch Zeit bis Ende nächster Woche, käme