Heinz-Jürgen Schönhals

Ulrike D.


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musste er in dieser Art ihr Spötteln und Mäkeln über sich ergehen lassen, bei den geringsten Anlässen, dazu kam noch seit einiger Zeit ihre Lieblosigkeit. All das und überhaupt Lisis nicht en­den wollende Reizbarkeit zeigten ihm deutlich, seine Ehe war nicht mehr das, was er sich einst von ihr versprochen hatte und was über viele Jahre diesem Versprechen, diesem Entwurf einer glücklichen Zweisamkeit durchaus nahe gekommen war. Nein - stellte er nüchtern und zugleich erschrocken fest - seine Ehe steckte in einer Krise, sie war vielleicht schon derart zerrüttet, dass sie gar nicht mehr zu retten war.

      Ihn hatten deshalb schon seit einiger Zeit seltsame Gefühle und Sehnsüchte erfasst; zuallererst die Sehnsucht nach mehr Liebe und Verständnis, doch da er beides bei seiner Frau nicht mehr zu finden meinte, dachte er immer öfter über eine Erfüllung außerhalb seiner Ehe nach; auch empfand er nicht geringe Sehnsucht nach Befreiung von all diesen bürgerlichen Einengungen und lästigen Gepflogenheiten, diesen ge­sellschaftlichen Verpflichtungen, wie Lisi sie nannte, Verpflichtungen, die schon eher Zwängen glichen, zum Beispiel dem Zwang, da und dorthin, meistens an Kollegen, Einladungen auszusprechen und mit Spannung darauf zu warten, wer wann sich liebenswürdigerweise revanchierte und ihnen die Ehre der Einladung zu dieser oder jenen Soiree zuteil werden ließe.

      Eine andere Einladung allerdings kam ihm letzte Woche sehr gelegen, nicht die von den Heberers oder den Bergs, sondern von seinem Cousin, dem Architekten Klaus Kerner. Er solle ihn und seine Familie doch bald wieder einmal besuchen, hatte Klaus am Telefon gesagt, und Elmars Interesse an diesem Besuch war umso mehr gestiegen, je geheimnisvoller sein Cousin sich am Telefon in Andeutungen über einen zweiten Besuch bei ihnen erging, der mit dem sei­nen zusammenfallen könnte, falls er zu einem bestimmten Zeitpunkt bei ihnen eintreffe. Aus irgendwelchen Grün­den glaubte Elmar, Klaus meinte mit diesem zweiten Besuch seine Schwägerin, jene be­reits erwähnte Julia, geborene Lambertz. Da er bei Klaus nicht weiter nachfragte, sondern einfach nur ’Aha!’ sagte, gab er sich nun der Vermutung hin, das heißt, es bildete sich bei ihm im Verlaufe dieses Telefongesprächs gerade mal ein diffuses Ge­fühl, Julia und er könnten nach langer Zeit wieder einmal zusammentreffen, und zwar in Fernwald bei G., wo sein Cousin mit seiner Familie in einem komfortablen, sehr geräumigen Haus wohnte. Elmar dachte kurz zurück an die Zeit mit Julia. Viel war es nicht, was ihm im Augenblick dazu einfiel, aber eins fiel ihm sofort ein: er hatte Julia einmal sehr geliebt, und so versetzte ihn die Aussicht, mit seiner Ex-Ver­lobten wieder zusammenzutreffen, in eine freudig erregte Stimmung, und diese Auf­regung wuchs um so mehr bei ihm, je nachdrücklicher er sich bewusst machte, dass ihm die Streitlust seiner Frau das Zusammenleben mit ihr doch gehörig verleidete.

      Doch Lisis Nörgeln und unfreundlich verzogenes Gesicht vergaß er schnell, seine Gedanken richteten sich sofort wieder ganz auf den Besuch bei sei­nem Cousin und auf das Wiedersehen mit Julia, auf das er sich - geschehe es nur wirklich oder nur mutmaßlich - bereits richtig freute. Da er einige Tage von zu Hause wegblieb, wollte er seine Frau nicht zusätzlich verärgern, und um ihre erregte Stimmung zu besänfti­gen, sprach er jetzt in beruhigendem Ton zu ihr, indem er den Kofferdeckel sanft nach unten drückte und sich anschickte, ihn abzuschließen.

      „Ich fahre dieses Jahr garantiert das letzte Mal nach Walldorf, Lisi, ich ver­spreche es dir, Ehrenwort! Allerdings dauert es diesmal etwas länger. Ich besuche noch meinen Cousin; bei meiner Mutter bleibe ich nur einen Tag!“

      Lisi machte ein Gesicht, als wittere sie in diesem beschwichtigenden Ton und in den an sich akzeptablen Ankündigungen eine neuerliche Provokation. Doch das Funkeln ihrer Augen schwächte sich mit einem Male ab, ging in ein undefinierbares Glitzern über, was vielleicht besagen sollte, dass sie die Er­klärungen ihres Mannes zwar nicht als annehmbar, aber doch als deeskalie­rend empfand. Schließlich bequemte sie sich zu einer Reaktion, welche die zwischen den Eheleuten aufgekommene Spannung tat­sächlich milderte:

      „Na, dann wünsche ich dir gute Fahrt!“, sagte sie in nicht mehr so schrillem Ton, „und grüß’ auch schön deinen Cousin von mir!“

      „Werde ich tun!“, erwiderte Elmar, und indem er den Koffer wieder öffnete, packte er weiter seine Sachen hinein.

      Da die Herbstferien an diesem Tag begannen, wollte er unmittelbar nach der Schule losfahren. Nachdem er alle seine Sachen mitsamt dem Koffer im Kofferraum des Wagens verstaut hatte, verabschiedete er sich von Lisi und den Kindern, von der Ers­teren zwar nicht besonders gefühlsbetont, aber auch nicht übermäßig kühl, von den Kindern allerdings herzlich.

      Dann stieg er in den Wagen und fuhr Richtung Schule. Sein Unterricht begann an diesem letzten Tag erst in der vierten Stunde, nach der sechsten könnte er dann end­lich in die Ferien starten, was also wieder einmal bedeutete - nach Lisis Rech­nung das fünfte oder sechste Mal - , dass er in den Taunus nach Walldorf fuhr, zu seiner Mutter, um die er sich kümmern musste, schon aus morali­schen Gründen. Und das sollte seine Frau eigentlich doch bitte einsehen!

      Unterwegs musste Elmar an die Bemerkung Lisis über den Kollegen Berg denken. Sie hatte recht, Studiendirektor Berg, der im Kollegium ziemlich den Ton angab – er war nicht nur Stellvertreter des Schulleiters Bredenbrink, sondern auch dessen Freund – war mit Vorsicht zu genießen. Immer musste Elmar aufpassen, dass er dem Kollegen nicht mit einer unbedachten Bemerkung auf die Füße trat, vor allem, wenn er mit ihm auf einer Soiree zusammentraf. Er stellte sich schon vor, was dann viel­leicht passieren könnte, jetzt, wo er sich wie seine Kollegen Heberer und Reitmeier um eine A14-Stelle bewarb. Berg könnte den Direktor zum Beispiel veranlassen, ei­nige ungünstige ’Schlenker’, sogenannte Signalwörter, in Elmars Lehrerbeurteilung unterzubringen, schon hätten Ludwig Heberer und Karl Friedrich Reitmeier im Be­werbungsverfahren die Nase vorn. Na ja, beruhigte er sich, die Lehrerprobe vor einer Klasse musste ja noch hinzukommen, im Beisein des Dezernenten Dr. Kuschmann, dem Leitenden Regierungsdirektor von der Schulaufsicht. Doch da fiel Elmar ein, dass Schulleiter Bredenbrink mit Kuschmann immer ein herzliches Einvernehmen an den Tag legte, wenn dieser mal im L-Gymnasium weilte; der Draht zwischen den beiden ’hohen Tieren’ schien also prächtig zu funktionieren. Auch wusste Elmar nicht, ob einer seiner Mitbewerber in der X-Partei war, die im Gemeindeparlament und im Lande das Sagen hatte. Es galt nicht nur am L-Gymnasium als ausgemacht, dass nur Parteibuchinhaber in die höheren Beförderungsstellen gehievt werden. Berg und Bredenbrink waren garantiert in der X-Partei, das stand fest. Unklar war nur, ob auch bei den A14-Stellen die Parteizugehörigkeit schon eine Rolle spielte. Wenn also Heberer oder Reitmeier oder gar beide das Parteibuch der X-Partei besaßen, dann Gute Nacht! Seine Beförderungsträume wären schon jetzt wie Seifenblasen an einem gezackten Eisengitter zerplatzt. Wie ihn dieses ganze politische Geschacher um Posten und Pöstchen anwiderte, nicht nur am L-Gymnasium! Aber auch der vom Schulleiter gerne gesehene Brauch, sich gegenseitig einzuladen und bei den Soireen dann miteinander freundlichen Umgang zu pflegen, obwohl man sich als Konkurrenten gegenseitig belauerte - Elmar kam das nicht nur heuchlerisch und spießig vor, er fand das, gerade heraus gesagt, grauenvoll! So war es nur zu verständlich, dass er keine Eile an den Tag legte, die genannten Kollegen samt Ehefrauen wieder einmal zu einem Gesellschaftsabend zu bitten.

      Elmar hatte inzwischen das L.-Gymnasium erreicht. Die Fünf-Minutenpause würde gleich zu Ende sein, er musste sich also sputen, um pünktlich zum Unterrichtsbeginn im Klassenraum der 9b zu sein. Rückgabe der Deutscharbeit plus Besprechung und Berichtigung standen auf dem Programm. Wie im Fluge würde die Stunde vorüber­gehen. Dann, in der 5. Stunde, folgte Philosophie im Grundkurs der 13a. Das Thema lautete: Die unterschiedlichen Konzeptionen des „Willens“ bei Schopenhauer und Nietzsche, anhand von Auszügen aus „Die Welt als Wille und Vorstellung“ und „Jen­seits von Gut und Böse“. Doch die Schüler werden jetzt, unmittelbar vor Ferienbe­ginn, nicht recht bei der Sache sein. Elmar stellte sich vor, wie er die Schüler nur mühsam zur Mitarbeit motivieren könnte; dabei hätte er gerne mit den Schülern sein Herzensanliegen diskutiert, und nicht zu knapp, ob Nietzsche mit seiner These Recht hat, der Mensch sei Wille zu Macht und nichts außerdem! - In der 6. Stunde musste er noch eine Deutschstunde in der 12c, mit dem Thema ’Sophokles: König Oedipus’, hinter sich bringen. Auch hier, zumal in der letzten Stunde vor Beginn der Ferien, wird die Mitarbeit der Klasse garantiert zu wünschen übrig lassen. Elmar malte sich schon aus, wie der Unterricht zäh und schleppend dem Ende entgegentaumelt. Dann endlich wird es schellen, und die Schüler, die schon ständig auf die Uhr geguckt haben,