Klaus Sebastian

Elefantenfieber


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bückte sich und steckte das Fundstück in die Tasche seines blauen Baumwollhemds. Diese Provinzpolizisten waren ting tong, zu dämlich, den Tatort gründlich zu untersuchen. Von Spurensicherung hatten die noch nie etwas gehört. „Zum Glück“, dachte der Mann.

      Kapitel 2

       2

       Thailand, Koh Chang, Dienstag, immer noch Regenzeit

      Chaichet hatte gerade die Klimaanlage abgeschaltet und die Füße auf den Schreibtisch gelegt, als das Telefon klingelte. Seit ein paar Tagen war es ungewöhnlich kalt und windig auf der Insel. Der Inspektor nahm den Hörer des altmodischen Apparats ab und meldete sich mit einem müden „Krap?“.

      „Sawadii krap, mein Freund“, ertönte die männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ich habe gehört, bei euch im Süden ist das Thermometer auf brutale 17 Grad gefallen. Soll ich dir einen warmen Pullover per Post schicken?“

      Chaichet musste grinsen. Der Pathologe in Chantaburi hatte sich trotz seiner deprimierenden Tätigkeit einen erfrischenden Humor bewahrt. Das entsprach der thailändischen Mentalität. „Ein Dasein ohne Spaß ist nicht wünschenswert und sinnlos.“ So konnte man die Lebensart des „Sanuck“ umschreiben. Sie war in die Volksseele der Siamesen eingemeißelt, als wäre sie ein Lehrspruch des weisen Buddhas, und auch der Leichenbeschauer Khun Tan hatte sie verinnerlicht: Er wusste ohnehin besser als jeder andere, wie schnell das alles vorbei sein konnte.

      Chaichet bedankte sich höflich für das Pulloverangebot und kam gleich zur Sache.

      „Ich vermute, du möchtest mir etwas über den toten Mahout mitteilen.“

      „Ja, das war wieder mal keine appetitliche Angelegenheit. Um es kurz zu machen: Der Junge war stark alkoholisiert.“

      „Das haben wir uns schon gedacht“, sagte Chaichet. „Der Elefant hatte übrigens eine Aversion gegen besoffene Leute.“

      „Habt ihr Whisky-Flaschen oder anderen Alkohol am Unglücksort gefunden?“ fragte Doktor Tan.

      „Nein, da war nichts, auch nicht in seiner Hose.“

      Für einen Moment blieb die Leitung still, dann fuhr der Pathologe fort.

      „Der Mann war so betrunken, dass ich mich frage, wie er ohne Hilfe an den Schlafplatz von diesem Elefanten gekommen sein soll.“

      Chaichet nahm die Füße vom Schreibtisch und griff nach seinem Notizbuch.

      „Du meinst, jemand hat ihn mit Alkohol abgefüllt und dann zum dem Elefantenbullen transportiert?“

      Tan räusperte sich am anderen Ende der Leitung. „Ob er sich selbst betrunken hat, oder ob da jemand nachgeholfen hat - das werden wir wohl nie erfahren. Aber ich halte es für ausgeschlossen, dass er sich mehr als zehn Meter fortbewegen konnte, nicht mal auf allen Vieren. Wie groß ist denn die Entfernung von den Unterkünften der Mahouts bis zum Fundort?“

      „Das dürften fast hundert Meter sein, unebenes Gelände mit Felsbrocken und Abwassergräben.“

      „Das konnte er in seinem Zustand nicht schaffen“, versicherte der Pathologe. „Außerdem gibt es da noch eine Auffälligkeit.“

      „Und die wäre?“

      Chaichet merkte, dass sein innerer Spürhund schon begann, ein paar mögliche Fährten aufzunehmen. Die Theorie vom Selbstmord konnten sie nach den Auswertungen des Pathologen auf jeden Fall ad acta legen.

      „Die Verletzungen stammen von einem Elefantenstoßzahn, das ist offensichtlich. Aber im Lauf der Autopsie sind mir einige Wunden am Hinterkopf aufgefallen, die dem Opfer womöglich mit einem metallischen Werkzeug zugefügt wurden.“

      Chaichet pfiff anerkennend durch die Zähne.

      „Alle Achtung, mein Freund. So weit ist die Technologie in eurem bescheidenen Provinzkrankenhaus schon, dass du so etwas auseinanderhalten kannst?“

      Tan lachte. „Ja, unsere Ausrüstung mag bescheiden sein, aber unsere intellektuelle Trennschärfe hat sich im Lauf der Jahre enorm weiterentwickelt. Nein, Scherz beiseite: Die Wunden am Kopf wurden ihm vermutlich mit einem spitzen Gegenstand zugefügt, einem Eisenhaken vielleicht.“

      Chaichet hatte sofort das Werkzeug vor Augen, das die Mahouts zur Einschüchterung der Elefanten bei sich trugen: Einen spitzen, leicht gebogenen Eisenhaken, der am Ende eines Holzgriffs befestigt war.

      „Zur Sicherheit werde ich heute noch einige Gewebeproben nach Bangkok schicken. Die können dort feststellen, ob Elfenbein oder Metall im Spiel war. Meinen Bericht sende ich dir per Email, oder?“

      Chaichet bedankte sich bei dem Pathologen und legte den Hörer auf. Was er da soeben vernommen hatte, musste er erst mal sortieren. Der Mahout war möglicherweise schon vor der Elefantenattacke schwer verletzt und erst danach zum Fundort geschleppt worden. Wenn das zutraf, dann hatte er plötzlich keinen Selbstmord, sondern einen echten Mordfall zu bearbeiten. Er fragte sich, ob er Verstärkung aus Bangkok anfordern sollte. Nein, das war noch zu früh. Aber er würde jetzt gleich alle auf der Insel verfügbaren Polizisten ins Baan Suan Chang beordern. Sie mussten das Gelände noch einmal sorgfältig nach Spuren absuchen. Der Inspektor schaute auf die Uhr. Ihm fiel ein, dass er noch nicht zu Mittag gegessen hatte. So viel Zeit musste sein. Zugleich spürte er das dringende Bedürfnis, sich mit jemandem über die neuen Fakten auszutauschen. Er zögerte nicht lange und wählte die Nummer der Tourist-Police.

      * * * *

      Die beiden Polizisten hatten sich auf den Plastikstühlen eines kleinen Thai-Restaurants niedergelassen, das gleich neben dem Wat, dem buddhistischen Tempel der Ortschaft Klong Prao lag. Hier wurden günstige Reisgerichte serviert, die von dem aus Korat stammenden Koch in der für den Nordosten Thailands typischen Schärfe zubereitet wurden.

      „Das wird nun etwas komplizierter als es am Anfang aussah“, stellte Pong fest, nachdem er die wichtigsten Neuigkeiten gehört hatte. Chaichet stocherte in dem scharfen Somm-Tamm-Salat herum und wickelte die unreifen Papayastreifen wie Spaghetti um seine Gabel.

      „Eigentlich müssten wir ein paar Experten aus Bangkok kommen lassen“, bemerkte er, bevor er sich die Gabel in den Mund schob.

      „Na, die werden wegen eines toten Mahouts bestimmt kein Sonderkommando auf unsere abgelegene Insel schicken. Aber versuchen kannst du es ja.“

      „Habe ich heute Morgen schon erledigt.“

      Pong verteilte einen guten Schuss von der salzigen Nam-Pla-Fischsoße auf seinen Bratreis und quetschte noch den Saft einer halben Limone über das einfache Gericht.

      „Wer hatte ein Motiv, den Mann zu ermorden? Ich fürchte, wir müssen alle Campbewohner noch einmal in die Mangel nehmen“, sagte Chaichet bedächtig.

      „Das sehe ich auch so“, stimmte Pong zu. „Wenn du mich brauchst – ich bin dabei.“

      Chaichet seufzte und trank einen Schluck Eiswasser.

      „Der Täter müsste eigentlich im Camp zu finden sein. Wenn ich das richtig sehe, hatten die Mahouts doch kaum Kontakte nach draußen, oder?“

      „Nein, die bleiben meistens in der Nähe ihrer Viecher. Außer wenn sie sich aufs Moped setzen, um an der nächsten Bude Schnaps einzukaufen.“

      Aus Chaichets Handy ertönte der grelle Sound einer thailändischen Schlagermelodie. Der Inspektor schaltete das Mobiltelefon frei und meldete sich. Pong bemerkte, dass der Anruf den Kollegen ein wenig aus der Fassung brachte. Außer ein paar Floskeln und dem wiederholten „Ja“ oder „Krap“ hatte Chaichet dem Anrufer nicht viel zu sagen.

      „Wir holen Sie in zwei Stunden von der Fähre ab, krap!“ beendete er das Gespräch.

      „Was ist los?“ fragte Pong, der seinen Reis mittlerweile verzehrt hatte.

      „Jetzt