Benedict Dana

Mo Morris und der Staat der Flüchtlinge


Скачать книгу

steht durch diese Missstände auf dem Spiel! Glaubst du wirklich, Morton und ich könnten dabei helfen, derartige Probleme zu lösen? Unsere Anwesenheit hier kann doch angesichts solcher Dimensionen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein!“

      Sie seufzte resigniert und blickte mit bedrücktem Gesicht durch die große Panoramascheibe in die wunderschöne, vom Licht der untergehenden Sonne durchflutete Berglandschaft hinaus. In ihren Augen hatte diese ihren Reiz auf einmal verloren und gab nur noch die wenig trostreiche Kulisse für sehr schlechte Neuigkeiten ab.

      „Natürlich glaube ich nicht, dass allein ihr beiden dieses Problem für uns lösen könnt. Wie ihr wisst, seid ihr Teil eines großen Geheimprojekts, das die UN als Antwort auf diese Missstände ins Leben gerufen hat. Seit einigen Monaten wird regelmäßig eine große Zahl von Ermittlern, Kontrolleuren und Beobachtern in unsere Gebiete eingeschleust, deren Arbeitsergebnisse regelmäßig gebündelt ausgewertet werden. Diese Auswertungen finden vor allem in Genf statt. Rick van de Loo, mit dem ihr heute gesprochen habt, ist einer der Hauptverantwortlichen hierfür. Rick ist übrigens ein fabelhafter Kerl und wenn er euch gegenüber nicht sehr redselig gewesen ist, so entspricht das nur einer festgelegten Strategie. Es hat sicher nichts mit Unfreundlichkeit zu tun.“

      „Das mag ja alles sein, aber was soll nun genau unsere Aufgabe sein? Was erwartet ihr von uns?“, drängte Sofia ungeduldig darauf, Näheres zu erfahren.

      „Wir verfolgen im Moment vor allem zwei Ansätze. Der eine ist das Gespräch mit den Zeugen, wobei die besten Zeugen natürlich die Flüchtlinge selber sind. Sie haben den gesamten Weg aus ihrer Heimat bis zu uns zurückgelegt und dabei das Vorgehen der Schlepper genau kennen gelernt. Sie reden zwar über das Thema nicht mit uns, aber untereinander reden sie natürlich schon. Da viele von ihnen aus arabischsprachigen Ländern stammen und du, Sofia, die Sprache perfekt beherrschst, wird es vor allem deine Aufgabe sein, unauffällig das Gespräch mit ihnen zu suchen.

      Der zweite Ansatz besteht in intensiver Beobachtung. Es ist für uns längst kein Geheimnis mehr, dass die Arme dieser Schlepperbanden bis hierher reichen und direkten Kontakt mit unseren Flüchtlingen haben. Es geht darum, die entsprechenden Personen zu identifizieren, damit man etwa Interpol Hinweise geben kann.“

      „Was passiert eigentlich, wenn die Flüchtlinge nicht in der Lage sind, das Geld an diese Banden zurückzuzahlen?“

      Mos Frage schien einen besonders wunden Punkt zu berühren, denn Greg seufzte abermals tief auf und antwortete nur sehr zögerlich darauf.

      „Du sprichst damit die schlimmste Seite des ganzen Problems an. Die jungen Männer werden solange bedrängt und erpresst, bis das gesamte Geld abbezahlt ist. Viele von ihnen werden noch verfolgt, wenn sie die UN-RN bereits verlassen haben. Einige werden zu kriminellen Handlungen gezwungen und die, die sich weigern, werden durch die Drohung erpresst, dass ihren Angehörigen in ihren Heimatländern etwas angetan wird. Die Bande scheint über die einzelnen Flüchtlinge genau Buch zu führen und ist über deren familiäre Situation gut informiert. Das Schlimmste aber ist, dass zur Abschreckung Morde an einigen säumigen Zahlern verübt wurden. Die ersten Toten, die es hier vor zweieinhalb Jahren gab, waren der Grund, warum meine Vorgesetzte Elisabeth de Verneuil, die Generalsekretärin der UN-RN, Hilfe beim UNHCR anforderte. Daraufhin wurde das UN-Geheimprojekt ins Leben gerufen. De Vernueil hätte es eigentlich schon viel früher tun müssen, denn es lagen längst genügend Indizien für grobe Unregelmäßigkeiten vor.

      Zum Glück hat es seit etwa zwei Jahren keine Morde mehr gegeben. Aber das hat meiner Meinung nach nichts mit dem UN-Geheimprojekt zu tun.“

      „Die UN ist kaum in der Lage, diese Bande aus eigener Kraft zu bekämpfen. Sie sollte die Mitgliedsländer der internationalen Gemeinschaft um Hilfe anrufen“, warf Mo ein, als sich Greg wegen des eintreffenden Essens unterbrach.

      „Bis zu einem gewissen Grad hat sie das bereits getan. Die UN kooperiert in dieser Angelegenheit vor allem mit den Geheimdiensten Frankreichs, Großbritanniens, Spaniens, Italiens und der USA, da diese Länder als wichtige westliche, stimmberechtigte UN-Mitglieder ein besonderes Interesse an der Aufklärung gezeigt haben. Auch Deutschland hat von Anfang einen großen Beitrag geleistet. Sogar Russland hat seine Hilfe angeboten, aber durch die permanenten Spannungen mit den USA kommt die Zusammenarbeit bisher nur sehr schleppend in Gang. Leider gestaltet sich die Kooperation mit nationalen Geheimdiensten für die UN traditionell etwas schwierig, weshalb sie nicht darin nachlassen darf, sich selbst um Aufklärung zu bemühen.

      Um wieder auf das eigentliche Problem zurückzukommen: Ein großes Paradox besteht darin, dass die UN langsam selber zu dem Finanzier der Schlepperbanden werden. Um diejenigen zu schützen, die Geldschulden bei den Banden haben, sind wir nämlich dazu übergegangen, ihnen mit Geld auszuhelfen, wenn sie sich offen um Hilfe an uns wenden. Im Gegenzug verlangen wir dafür einige Informationen von ihnen und sichern ihnen ein Aufenthaltsrecht zu. Bisher hat dieser Handel gut funktioniert, aber die Informationen genügen noch nicht, um das Problem an der Wurzel zu bekämpfen. Dazu müsste man an die Hintermänner kommen, die all das im großen Stil organisieren. Das ist uns bisher noch nicht gelungen.“

      „Dieser Handel ist wohl die beste Strategie, um weitere Morde zu verhindern. Wenigstens habe ich jetzt verstanden, dass die Fälschung von Aufenthaltstiteln nicht das zentrale Problem darstellt. Trotzdem interessiert es mich natürlich, wie diese Fälschungen überhaupt möglich sind“, resümierte Sofia.

      „Darüber werdet ihr in den nächsten Tagen mehr erfahren. Heute Abend möchte ich zunächst mal nur über eure eigenen Papiere sprechen“, wich Greg einer eindeutigen Antwort darauf aus. Der smarte Engländer öffnete eine kleine Aktentasche, die neben ihm auf der Sitzbank lag, zog zwei Ausweise im Kreditkartenformat aus ihr hervor und schob sie ihnen mit feierlicher Miene über die Tischplatte zu.

      „Die Dinger sind echt. Sie wurden von einem vertrauenswürdigen Mitarbeiter in unserer Passabteilung hergestellt. Damit seid ihr jetzt gewissermaßen Mann und Frau. Ich beglückwünsche euch!“

      Er erhob grinsend sein Glas, prostete Mo ironisch zu und scherzte:

      „Sie sind zu beneiden, Dr. Morris…äh, ich meine natürlich Morton. Eine Frau wie Sofia ist die allererste Wahl. Vielleicht wird dich ja die Erfahrung auf die Idee bringen, das Junggesellendasein in Zukunft zu beenden!“

      Mo tat ihm den Gefallen, darüber zu lachen, aber bei Sofia riefen Gregs Scherze sofort allerschärfsten Protest hervor.

      „Ich habe Morton bereits abgewöhnt in dieser Richtung Witze zu reißen und dich möchte ich hiermit bitten, es genauso zu halten!“

      Ihr gereizter Ton trübte die Stimmung etwas ein und führte dazu, dass sie eine Weile schweigend aßen. Bald fluchte Greg mit einem Blick auf seine Uhr laut auf:

      „Verdammt! Ich muss leider bald in mein Büro zurück. Es gibt heute Abend noch eine Menge Schreibkram zu erledigen. Morgen früh verlassen 100 Flüchtlinge die Stadt und wir nehmen 50 neue auf. Ihr Beide seid übrigens in diesen 50 inbegriffen. Außerdem ist es nicht gut, wenn wir hier zu lange zusammen sitzen und gesehen werden. Hatte Rick euch bereits gesagt, wir ihr in die Stadt gelangt?“

      „Er deutete an, wir würden mit einem Flüchtlingsbus nach Unity fahren“, erwiderte Sofia.

      „Ja genau, und zwar ist es einer der beiden Busse, die morgen früh hier auf dem Parkplatz halten werden. Die Flüchtlinge bekommen draußen ein kleines Frühstück, um die Wartezeit zu überbrücken, bis ihre Unterkünfte fertig vorbereitet sind. Sie kommen aus zwei verschiedenen Lagern in Süditalien und die Fahrt dauert fast die ganze Nacht.“

      „Das heißt also, wir werden uns unter die Flüchtlinge mischen, sobald sie weiterfahren…“

      „Du sagst es, Sofia. Die Busfahrer sind vertrauenswürdige Männer, die in alles eingeweiht sind. Ihr seid nicht die Ersten, die sie hier aufgelesen haben. Es wird gar nicht weiter auffallen, und wenn euch einer von den Flüchtlingen fragt, behauptet ihr, ihr wäret von Malma – das ist ein Flüchtlingslager in Norditalien – hierher gebracht worden, um zuzusteigen. Der Bus wird etwa um 8 Uhr eintreffen und gegen 9 Uhr weiter fahren. Verschlaft die Abfahrt nicht, denn eure Einreise nach Unity muss so authentisch