Holger Wendelken

Erweiterte Reflexionslogik


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nächsten Tag jedoch im Gebirge, so können wir beide Männer als identisch bezeichnen:

      2. Identitätssatz: Identische Objekte kollabieren ineinander.

      Wären beide Männer nicht identisch, so würden sie in einem einzigen Bezugssystem (räumlich) voneinander unterscheidbar sein:

      3. Identitätssatz: Nicht-identische Objekte abstrahieren sich voneinander.

      Alle existierenden Objekte (und Subjekte) verhalten sich ganz präzise nach diesen Definitionen und Sätzen. Es erhebt sich die Frage, ob es nicht vielleicht doch ein oder mehrere Objekte gibt, die sich nicht so verhalten. Ganz abstrakt gesprochen wäre dies die Frage nach einem Objekt, das keine Identität besitzt, oder vielleicht sogar nicht einmal existiert. Diese Frage soll mit einem weiteren Satz beantwortet werden:

      4. Identitätssatz: Die Neutralität besitzt keine Identität.

      Die Neutralität ist ein nicht existierender Raum, der keine Identität besitzt. Man kann ihn noch nicht einmal als Raum bezeichnen, da diese Bezeichnung eine Struktur oder eine Geometrie erfordern würde, die die Neutralität nicht besitzt. Sie ist ein Reines Nichts ohne alle Eigenschaften. Und genau diese (neutrale) Eigenschaft ist die Versicherung dafür, dass alle (existierenden) Identitäten in eben diesem Raum der Neutralität auseinandergesetzt werden können, ohne von einer eventuell abstoßenden Identität der Neutralität abstrahiert und zurückgeschleudert zu werden – wohin auch immer.

      Identitäten sind immer als identisch mit sich selbst zu betrachten, jedoch als nicht-identisch mit von ihnen unterscheidbaren Identitäten. In einem System, in dem mindestens zwei Identitäten unterscheidbar sind, ist jede Identität auch Nicht-Identität in Bezug auf jede andere Identität. Ein System aus Identität und Nicht-Identität (in Bezug auf die vorherige Identität) bildet einen Widerspruch, der in einem Raum, den wir ja bereits als Leerraum der Neutralität identifiziert haben, aufgelöst werden kann. Räume, die vor allem genau diesen Zweck der Auflösung von Widersprüchen erfüllen, können in ganz verschiedenen Formen auftreten, wie zum Beispiel in Form eines physikalischen Außenraumes: Ein Tisch und ein Sessel bilden einen Widerspruch, der im Raum eines Wohnzimmers aufgelöst werden kann. Eine andere Form eines Raumes ist der arithmetische Raum der Menge der natürlichen Zahlen: Die Zahlen 1 und 2 würden sich widersprechen, wären sie nicht in der Ordnung der Menge der natürlichen Zahlen so aufgehoben, dass aus dieser Ordnung eine hierarchische Abfolge der Zahlen resultierte, die jede Zahl von der anderen abstrahierte.

      Der Begriff Identität kann in zweierlei Hinsicht gedeutet werden: Erstens ist es die Bezeichnung eines Existenzoperators, der jedem existierenden Objekt eine Identität zuordnet; jedes Objekt erhält diese Identität vermöge der Dominanz des Seins über das Nicht-Sein. Zweitens, und das darf man nicht verwechseln, ist Identität ein Vergleichsoperator, der die erste Identität zweier oder mehrerer Objekte daraufhin vergleicht, ob sie miteinander identisch sind, diesen Objekten also gewissermaßen eine zweite Identität zuordnet oder nicht. Der Begriff Nicht-Identität resultiert also aus der zweiten Form, da sie das Ergebnis einer Vergleichsoperation ist.

      Nehmen wir beispielsweise eine Person namens Herr Soundso, und diese Person ist Vater zweier Kinder. Stellen wir uns weiter vor, diese Person möge vielleicht den Beruf eines Musikers in einem Orchester ausüben, dann hätten wir bereits mindestens drei Identitäten, die sich in der Person Herr Soundso vereinen. Wir könnten also folgende Aussage machen: Herr Soundso ist identisch mit Vater Soundso ist identisch mit Musiker Soundso.

      Diese Aussage ist zugegebenermaßen nicht gerade als mathematisch präzise zu bezeichnen, sondern eher salopp oder vielleicht sogar ziemlich schwammig formuliert. Streng genommen sind Musiker und Vater Soundso nämlich nur Abstraktionen der eigentlichen Identität Herr Soundso, und die korrekte Aussage von vorhin hieße eigentlich: Herr Soundso ist identisch mit Herrn Soundso. Das ist ganz exakt eine Folge aus dem ersten und dem zweiten Identitätssatz.

      Sehr häufig, um eine weiteres Beispiel für den saloppen Umgang mit dem Begriff der Identität zu geben, werden umgangssprachlich zwei unterscheidbare Objekte als »identisch« bezeichnet, die es gar nicht sind: Wenn wir eine defekte Glühlampe auswechseln müssen, dann werden wir unter Umständen im Elektrofachgeschäft eine »identische« Glühlampe verlangen, was natürlich bei genauerer Betrachtung völlig unsinnig ist. In Wirklichkeit meinen wir dann eine äquivalente Glühlampe, also eine andere, neuwertige Glühlampe, die aber auf jeden Fall in die entsprechende Lampenfassung hineinpassen muss (wobei in Bezug auf den Vergleich zweier physikalischer Objekte selbst die Bezeichnung »äquivalent« nicht ganz korrekt, sondern eher anmaßend ist). Für dieses Beispiel gilt der Grundsatz: Das Gleiche ist zwar das Gleiche wie dasselbe, doch es ist nicht dasselbe.

      Der Begriff der Identität, sowohl in der ersten wie auch in der zweiten Form, ist der vielleicht präziseste Begriff, den es in der Sprache überhaupt gibt. Umso verwunderlicher ist es, dass dieser Begriff in der Standardlogik, in welcher die höchste vergleichende Operation die der Äquivalenz ist, gar nicht explizit vorkommt, sondern allerhöchstens nebenbedeutend impliziert wird. In der Reflexionslogik hingegen nimmt der Begriff der Identität eine zentrale Rolle ein.

      Am Beispiel des Herrn Soundso haben wir gesehen, dass wir aus einer Menge von Eigenschaften abstrakte Identitäten konstruieren können, die nicht unterscheidbar sind von der Identität des Herrn Soundso. Dieses Beispiel wollen wir uns nun aus einer anderen Perspektive anschauen: Angenommen, wir betrachten die abstrakten Identitäten des Herrn Soundso nicht länger – abwertend – als zur Identität des Herrn Soundso zugehörige Eigenschaften, nämlich die, ein Musikinstrument zu beherrschen und die, zwei Kinder gezeugt zu haben, sondern als ganz konkrete Identitäten von Eigenschaften, nämlich die des Musikers und die des Vaters. Der Unterschied dieser Betrachtungsweise zum obigen Beispiel ist in der Definition begründet: Wir haben es hier tatsächlich mit einer Art multipler Persönlichkeit zu tun, die natürlich normalerweise nicht dem psychiatrischen Krankheitsbild einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung unterliegt, solange Herr Soundso zu unterscheiden vermag, in welcher Situation welche seiner Identitäten anzuwenden ist: zuhause der Familienvater und im Orchester der Musiker. Wir haben es zunächst also mit zwei unterscheidbaren Identitäten zu tun, die sich im Alltagsleben in aller Regel relativ einfach unterscheiden lassen: Sie sind, je nach Situation, in Raum und Zeit voneinander abstrahiert. Und es ist das Bewusstsein, das diese Unterscheidung ohne größere Probleme bewältigen kann. Weshalb das Bewusstsein eine so komplexe Aufgabe zu bewältigen vermag, das werden wir später noch sehen.

      Zunächst müssen wir uns noch einmal vor Augen führen, wie seltsam eine solche Überlagerung von unterscheidbaren Identitäten tatsächlich ist, wenn wir den Begriff der Identität mit der einer Logik gebührenden Präzision auswerten: Angenommen, es existieren zwei unterscheidbare Objekte, nennen wir sie A und B, die aufgrund ihrer Existenz jede für sich eine eigene Identität besitzen. Nehmen wir weiter an, diese beiden Objekte vereinigen sich zu einer integrierten Identität AB, so müssen wir verstörenderweise Folgendes feststellen:

      1. Die Objekte A und B sind unterscheidbar. Es existiert ein Raum, in dem sich beide Objekte voneinander abstrahieren.

      2. Die Objekte A und B sind identisch. Sie kollabieren zu einer integrierten Identität AB.

      3. Es existiert ein Raum, in dem sich die kollabierte Identität AB von den nackten Identitäten A und B abstrahiert.

      Eine Konstruktion dieser Art hört sich nicht sehr sinnvoll an, aber entscheidend dabei ist, dass eine solch seltsame Identität konstruierbar ist, also halten wir folgende Beobachtung fest:

      Beobachtung: Zwei oder mehrere bestimmte Objekte können (in Identität/Superposition) sowohl identisch wie auch nicht-identisch sein.

      Hier die Definition dieser seltsamen Identität:

      Definition (der 3. Identität): Die integrale Gesamtheit der Superposition zweier oder mehrerer Identitäten sei als S-Identität bezeichnet.

      Wenn A und B sowohl unterscheidbar wie auch identisch sind, was in der Standardlogik durch kein Mittel auswertbar ist, dann haben wir es bei einer S-Identität mit nichts geringerem als einem amtlichen Paradoxon zu tun: Wenn A identisch