Jessina Lux

Alle Sterne für Dich


Скачать книгу

steht wütend auf und knallt wenig später seine Gästezimmertür hinter sich zu. Drinnen erschallt Pearl Jam. Rick erhebt sich vom Tisch, hämmert gegen Sebastians Tür. „Du miese kleine Ratte, mach den Dreck aus!“ Die Musik verstummt tatsächlich. Ich bin auf einmal hinter der Tür und kann beobachten wie Sebastian seinen Kopf ins Kissen vergräbt. Während vor der Tür, Rahel versucht Rick zu beschwichtigen, doch der brüllt: „Ab, verschwinde ins Schlafzimmer, das ist das Einzige, was du wirklich kannst!“

      Ich denke, warum ist Sebastian noch hier und Rahel, warum lässt sie sich nicht scheiden? Das ist doch ein Aas, dieser Rick. Da wache ich auf. Mit dem Impuls, Rahel und auch Sebastian da rausholen zu wollen. Nara sagt: `Jetzt pass auf!´

      Ich stehe vor einem Kornfeld, über mir die funkelnden Sterne. Rahel taucht plötzlich aus der Tiefe des Korns auf, und zieht mich entschlossen zu Boden. Wir küssen uns und ich kann ihre weichen Lippen so realistisch spüren, dass mir ganz anders wird. Es ist ein so schönes Gefühl voller Geborgenheit. Ich kann es nicht fassen wie real das Ganze ist. Wieder durchfährt es mich heiß und kalt gleichzeitig, als ich schließlich aufwache. Ich murmle ein: „Du weißt, mich zu manipulieren, liebe Nara!“

      `Gern geschehen!´ kommt es zurück, etwas frech, aber ich muss trotzdem schmunzeln.

      Nara: `Morgen schreiben wir den Brief, ja? Es ist Zeit.´

      Am Feierabend des nächsten Tages, setzte ich mich an meinen Schreibtisch. `Nimm einfach den Stift in die Hand und lass mich dich führen!´

      Ich tue, was Nara sagt. Langsam setze ich den Stift aufs Papier, da geht’s auch schon los. Auf ausladenden, kunstvollen Schwingen schreibt Nara, beziehungsweise ich: „Mein liebster Sebastian, ich schreibe dir, weil ich dich anders nicht erreichen kann und sehe wie du wieder in deiner verdammten Lethargie gefangen bist. Du musst wissen, ich trage dir nichts nach. Es ist nicht deine Schuld. Es hat eben so sollen sein. Aber jetzt kannst du etwas für mich tun. Nimm Rahel und komm nach Starbay, da wartet nämlich Glück auf dich, das du nicht verpassen solltest. Alles wird gut werden und du wirst zufrieden sein, aber du musst Rahel und dich vor Rick retten, er ist unberechenbar. Er würde auch vor einem Kapitalverbrechen nicht zurückschrecken, glaub mir. Packt heimlich eure Sachen, erst am Abreisetag natürlich und besorgt euch rechtzeitig Tickets. Auch wenn du dein letztes Geld dafür verwenden musst, es ist das alles, alles wert. Vertrau mir. Ich liebe dich und werde dich immer lieben.“

      Nara unterschreibt den Brief schwungvoll und aussagekräftig und fügt noch ein P.S. dazu, anscheinend ein Insider: Weißt du noch, What do you want from me?

      `Gut gemacht, Walter. Ich bin sehr zufrieden. Jetzt frankier ihn bitte ausreichend und geh morgen gleich früh damit zur Post. Ach, die Adresse fehlt ja noch.´ Sie lenkt abermals meine Hand und schnell ist auch die Anschrift auf dem Kuvert. `Ich hätt ja gern noch ein paar Spritzer Laura drauf!´ seufzt sie. So ein Zufall, meine Exbekanntschaft Carrie liebte diesen Duft auch. Da steht noch ein Rest im Badezimmerschränkchen. Ich geh wie aufgezogen ins Bad und sprühe den Brief vorsichtig damit an. Es ist dezent und zerbrechlich, ein sehr feminines Parfüm. Und es hat noch immer Wirkung auf mich.

      Warum hat es eigentlich nicht mit mir und der Laura-Trägerin geklappt? Carrie war traumatisiert von ihrem Ex-Freund. Ich muss unweigerlich an Rahel denken, ist diese Problematik vielleicht ein Muster bei mir? War es nur Naras Einfluss zu verdanken, dass ich von ihr geträumt habe? Oder stehe ich auf sie? Sie ist ohne Frage sehr ansehnlich. Weckt sofort Beschützerinstinkte, weil sie so klein und zierlich ist. Als sie ihr Mann so angefahren hat, wollte ich ihn noch viel lauter anfahren. Laut Sein ist eigentlich nicht meine Art. Ich glaub, ich kann gar nicht richtig schreien. Doch dieser Typ bringt mich auf die Palme. Wie kann man nur so mit seiner Liebe umgehen? Das ist nicht nur brutal, sondern auch dumm.

      Nara sagt Gute-Nacht. Ich bin allein. Schade, irgendwie hab ich mich schon an sie gewöhnt.

      Kapitel 6

      Ich stehe in der Schlange in der kleinen Postannahmestelle im Ort. Ich hatte nicht mehr genug Briefmarken da. Ich schnüffle ein letztes Mal am Brief bevor ich ihn aufgebe. Ziehe mir den Duft so tief rein wie andere Koks. Da renne ich fast Carrie um. Meine bisher größte und einzige Liebe. Ich hab mich schon gewundert, dass der Brief, den ich da gerade abgegeben hab, noch immer so intensiv duftet. Aber sie duftet nicht nur, sie sieht auch umwerfend aus, irgendwie erholt und glücklich. „Oh, Hi Carrie!“ sage ich. Wir gehen zusammen in den Vorraum. „Wie geht es dir, Wally?“ fragt sie und streicht sich eine blonde Strähne aus der Stirn.

      Ich habe neuerdings übersinnliche Kontakte, denke ich, sage jedoch stattdessen: „Blinddarm ist grad raus, ansonsten gut.“

      „Oh, na, ich hab meinen noch. Obwohl, in letzter Zeit… Gehen wir doch mal wieder auf ´nen Drink oder zwei bei Allison! Hab aber gleich ´nen Termin!“

      Ich nicke, da lächelt sie kurz, winkt mir noch und ist auch schon weg.

      Verdattert bleibe ich zurück. Warum treffe ich sie gerade jetzt, wo ich Rahel entdeckt habe? Die ich bis jetzt allerdings nur im Traum gesehen hab. Wer weiß, wie sie riecht. `Sie duftet nach Vanille!´ mischt sich Nara sofort ein. Gleichzeitig kann ich einen Hauch Vanille wahrnehmen. Es riecht himmlisch. `Rahel riecht wirklich himmlisch´, fügt sie hinzu. „Wie geht’s?“ frage ich sie in Gedanken. `Das mit Carrie ist nur ein kleiner Test des Schicksals, Walter. Carrie hat übrigens einen neuen Freund, er heißt Chester und ist Banker.´

      Peng, peng, meine Hoffnungen sind mitten ins Herz getroffen und verbluten gerade am Boden.

      „Deshalb sieht sie wohl so happy aus.“ Das denke ich mal wieder nur, denn wenn jemand mitkriegen würde, dass ich mit einem Geist kommuniziere, würde man mich sicher einweisen. Zum Glück reicht ja auch das Denken. `Sie wird nicht anrufen!´ setzt Nara noch oben drauf. Ich hab´s ja kapiert“ grüble ich und mache mich auf den Weg zum Laden. Carl sperrt gerade auf, als ich komme. Er pfeift eine anscheinend selbst komponierte Melodie vor sich hin, die mir schwer nach bester Laune klingt. „Diese Frau ist der Hammer, echt!“ schwärmt er drinnen, beim Jacke Ausziehen. „Was die alles weiß! Und wie lustig sie ist!“

      „Wann stellst du sie mir denn nun endlich persönlich vor?“

      „Ich könnt´ was ausmachen heute Abend. Bei Allison“

      „Nein, bloß nicht Allison. Vielleicht lieber Green´s Bar.“

      „Okay, ich frag sie gleich.“ Carl zückt sein uraltes Nokia, an dessen Tastatur er so hängt. Es dauert nur ein paar Worte, dann sagt er zufrieden `okay´, busselt ins Telefon und legt auf.

      „Wir haben ein Date, Kumpel!“ Dann macht er sich auf zum PC, um die E-Mails zu bearbeiten.

      Ich gehe, das Schaufenster putzen.

      Kapitel 7

      Green´s Bar, 20 Uhr. Ich habe uns ein Tisch am Fenster gesichert, von dem man im sanften Mondschein aufs dunkle Wasser des Nord-Atlantiks blicken kann. Ich denke seit heute früh oft an Carrie. Aber mehr an das Gefühl, das sie mir mal gegeben hat. Dieses all umfassende Gefühl der Geborgenheit. Ich weiß, dass ich das wieder haben will. Das ändert sich auch nicht, als Carl mit Linda im Arm ankommt.

      Linda sieht sehr jung aus für ihr Alter. Eine sehr gepflegte, chic angezogene Mahagoni-Brünette. Schöne Zähne. Goldene Ohrringe. Ihr Lachen ist laut und ansteckend. Ich bemerke einen amerikanischen Akzent. Ich spreche sie darauf an und sie meint dazu nur, sie hätte Englisch mithilfe amerikanischer Soap Operas gelernt. Ich frage sie, was ihre Muttersprache ist, aber die Frage geht im Lärm unter, die Band Lucky spielt sich ein. Lucky spielt hier oft. Schlagzeug, zwei Gitarren, zwei Geigen. Irisch schon irgendwie, aber eher alternativ. Ich war mal verknallt in die eine Geige. Rothaarig, langbeinig, mit einem Hollywoodlächeln. Sie steht aber auf die zweite Geige. Lange hellblonde Haare, klein und zierlich, ewig lange Wimpern, immer knallrote Lippen.

      Wir reden ein bisschen über Musik, sie hat Depeche Mode mal live gesehen, worauf ich echt neidisch bin. Sie mag auch Filme mit Willem Defoe und Susan Sarandon, die ich auch sehr verehre.