Kendran Brooks

Die neunschwänzige Katze


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Speisen, ließen immer wieder Köche aus einem ihrer Restaurants zu ihnen nach Hause kommen, um echte kantonesische Küche genießen zu können. Gleichzeitig liebten sie jedoch auch den brasilianischen Stil mit viel Fleisch und geschmorten Früchten, versuchten sich auch öfters an europäischen Gerichten aus dem Mittelmeerraum, die von Marta besonders gerne gekocht wurden, weil die ihr besonders exotisch vorkamen.

      Sihena nippte am Rotweinglas. Das Etikett der Flasche wies ihn als einen Chilene, einen Malbec aus, doch das interessierte sie nicht. Sie empfand den Wein vor allem als zu schwer zum leichten Carpaccio, wusste jedoch, dass Zenweih ihn sehr mochte.

      »Der Wein erdrückt das Essen mit seiner Fülle.«

      Sie sprach den Tadel aus, wie sie wohl auch bei einer Freundin über den letzten Platzregen gelästert hätte, der ihr einen Einkaufsbummel verdorben hatte, kühl bis kalt, herablassend bis lästerlich. Zenweih zuckte zusammen, stierte auf seinen Teller, auf dem er mit der Gabel die letzten beiden hauchdünnen Fleischscheiben zusammenschob, bevor er sie aufnahm und in den Mund steckte. Während er kaute, griff er nach seinem Glas und spülte den Bissen mit Wein hinunter, kaute trotzdem noch nach.

      »Ich finde, er passt ausgezeichnet«, belehrte er seine Gattin ebenso kühl und beinahe feindlich.

      »Wie du meinst«, kanzelte sie ihn ab, blickte an ihm vorbei.

      Seit ihre Kinder mehrheitlich ausgeflogen waren und ihr eigenes Leben führten, kam es kaum noch zu echten Tischgesprächen zwischen dem Ehepaar. Nur wenn es sich um Geschäftliches handelte oder sich in Politik und Wirtschaft des Landes eine Veränderung abzeichnete, dann kamen sachliche Diskussionen und Erläuterungen hoch, von denen auch Carlos immer wieder profitiert hatte und deren Inhalt er an Pedro Alavalon verkaufen konnte, der ihn auf diese Weise jedoch gleichzeitig über die Familie Ling aushorchen konnte.

      »Wir müssen die Bäume im hinteren Teil des Gartens zurückschneiden lassen«, wechselte Sihena das Thema und anbahnenden Streit, lenkte ihre Gedanken auf ein neues Gebiet.

      »Hmm.«

      »Was sagst du?«

      »Ich sagte Ja

      »Und? Soll ich das in die Wege leiten?«

      Zenweih sah seine Ehefrau an, mit der er vier Kinder aufgezogen und mit der er über die letzten zwanzig Jahre die Vergrößerung ihrer Restaurant-Kette vorangetrieben hatte. Sie saß mit stocksteifem Rücken am Tisch und blickte ihn unnahbar und abwartend an. Ihr Oberkörper sah knochig und mager aus, Brüste waren kaum vorhanden. Unwillkürlich fragte sich Zenweih, wann er mit Sihena das letzte Mal geschlafen hatte. Es musste letzten Herbst gewesen sein, im März oder April. Er erinnerte sich gut an die graue Haut auf ihrem Rücken, als er sie von hinten stieß, so, wie sie es von ihm verlangt hatte. Er mochte diesen Doggy Style überhaupt nicht, weil ihr schlaffer Knaben-Arsch kaum Polster schuf und er mit seinem Becken deshalb stets schmerzhaft mit ihren Knochen zusammenstieß, was ihm nach kurzer Zeit jede Lust nahm. Deshalb kam sie auch nicht zum Höhepunkt, verkrampfte sich bloß bis zum Äußersten, verlangte von ihm, dass er sie mit seiner Zunge bediente, ebenso unwürdig und gleichsam einem Hund, wie Zenweih befand. Meistens musste sie dann doch noch zusätzlich mit dem eigenen Zeigefinger ihre Klitoris stimulieren, um irgendwann, nach seinem Gefühl endlos langen Minuten, endlich zum Orgasmus zu gelangen. Für Zenweih war dies das Zeichen, von ihrem Körper endlich ablassen zu dürfen. Oft rollte er sich gleich danach auf seiner Seite des Betts zusammen und schlief kurz danach ein, während Sihena noch lange neben ihm wach lag.

      Sie dachte in diesen Momenten an die glücklichen und erfüllten Tagen zurück, die ersten Ehejahre, als sie noch keine Kinder geplant hatten und sie sich voller Elan in ihre Geschäfte stürzten, gleichwertige Lebenspartner, die sich nichts schenkten oder sich einander alles schenken konnten.

      Damals war Zenweih oft sehr liebevoll gewesen, hatte sich Zeit beim Sex gelassen, erforschte mit viel Freude ihren Körper, suchte die passenden Stellen, probierte die richtigen Stimulationen aus, bis sie völlig in ihm und mit ihm aufgehen konnte. Doch nach der Geburt des ersten Sohnes begann seine Leidenschaft zu sinken. Erst unmerklich und schleichend, durch Kopfschmerzen oder einen allzu vollen Terminkalender begründet. Sie schrieb das sinkende Interesse zuerst ihrer körperlichen Veränderung zu. Ihre Scheide war nicht mehr so eng und stimulierend wie zuvor und er hatte Mühe, in ihr zu kommen. Doch das korrigierte sie mit der Massage seines Hodensacks während des Koitus und das funktionierte auch ganz gut, denn sie gebar ja noch einen zweiten Sohn und danach zwei Töchter in den Folgejahren. Doch das frühere Begehren in seinen Augen erlosch zusehends, verschwand aus seinem Gesicht und so auch für immer aus ihrem Leben.

      Sich begehrt fühlen, vom eigenen Ehemann oder anderen Männern, welche Frau wollte darauf freiwillig verzichten? Dies gehörte einfach zur Weiblichkeit, war ein Teil der Natur. Doch Zenweih versagte ihr dies, ging immer unpersönlicher mit ihr um. Selbstverständlich kam Sihena ihm bald einmal auf die Schliche, fand die eine oder andere Affäre ihres Ehemanns heraus. Da war diese süße, achtzehnjährige Kellnerin aus ihrem Restaurant an der Sete de Setembro. Die war ihm ein paar Monate lang Gespielin gewesen. Zenweih hatte ihr sogar eine hübsche 3-Zimmer-Wohnung eingerichtet und besuchte sie einmal pro Woche, meistens am Mittwochnachmittag, bevor ihre Abendschicht begann. Sihena stellte ihn nicht zur Rede, denn in dieser Zeit bemühte sich ihr Ehegatte ganz besonders um ihre Aufmerksamkeit, schlief auch wieder regelmäßig mit ihr, war zuvorkommend und zärtlich wie kaum je zuvor. Ein schlechtes Gewissen machte aus jedem mittelmäßigen Ehemann einen brauchbaren Liebhaber. Und nach über zehn Ehejahren war dies doch bereits weit mehr, als die meisten anderen Gattinnen beanspruchen durften.

      »Ja. Gib doch dem Gärtner Bescheid.«

      Sihena nickte, dachte einen Moment lang darüber nach, mit wem ihr Ehemann derzeit wohl schlief. Doch es war ihr egal.

      »Ich werde die Küchenmannschaft an der Avenida Floriano komplett auswechseln. Die arbeiten nicht effizient genug, produzieren auch viel zu viel Abfall«, teilte ihr Zenweih etwas Geschäftliches mit, das Sihena nicht weiter interessierte.

      »Abfall ist Diebstahl an uns«, stimmte sie ihm trotzdem zu.

      Aílton kam mit zwei Tellern mit Wärmehaube von unten hoch, stellte den einen vor Sihena Ling ab, ging dann zum Hausherrn, wechselte dort den leeren Vorspeisenteller mit dem Hauptgang aus. Seine Arme waren zu kurz, um beiden Hauben gleichzeitig zu lüften. So hob er sie zuerst bei Zenweih an und ging mit ihr zur Hausherrin hinüber, nahm auch diese weg. Marta hatte die schmalen Tagliatelle selbst hergestellt und ließ sie mit gegarten Schrimps und an einer Prosecco-Rahm-Soße servieren. Spaghetti con i camberetti alla crema di prosecco hatte Marta ihr Gericht genannt und freute sich am langen Namen, den jedoch weder Zenweih noch Sihena kannte und sie auch nicht interessierte. Doch die Komposition duftete wunderbar, nach Meer, nach Strand, nach Freiheit und Lebenslust. Sihena rümpfte ihre Nase, denn sie schätzte Meeresfrüchte ganz allgemein nicht so besonders, doch dienstags stammte der Hauptgang abends stets aus dem Meer, seit sie vor fünfzehn Jahren in dieses Haus eingezogen waren.

      Zenweih dagegen freute sich an der sämigen Soße mit den klein gehackten Kräutern und ihrem leichten Knoblauch-Duft. Sie verband die salzigen Nudeln kulinarisch mit dem zarten Fleisch der Schrimps, schuf so die perfekte Symbiose zwischen Meerwasser und Meerestier, wie ein Funke des Lebens selbst. Er nahm einen Schluck Wein, sog noch einmal den Duft des Tellers in sich, nahm voller Vorfreude die Gabel auf, begann sie in den Nudeln zu drehen.

      Sihena dagegen sortierte die Schrimps auf die Seite, griff zum Messer und zerschnitt die Tagliatelle zu mundgerechten Stücken.

      »Bitten richten Sie Marta aus, sie habe sich heute einmal mehr selbst übertroffen.«

      Das Lob des Hausherrn wurde vom Major Domus mit einem Kopfnicken quittiert. Er würde es gegenüber der Köchin mit keinem Wort erwähnen. Wie dumm doch Zenweih Ling war? Wie wenig er doch von der brasilianischen Seele verstand, auch wenn er in diesem Land geboren und aufgewachsen war? Setzte man Marta Gonzales zu oft zu große Flöhe in den Kopf, käme sie bloß auf die Idee, für ihre Leistung mehr verdienen zu müssen. Womöglich würde sie sich sogar um eine neue Anstellung bemühen und im schlimmsten Fall auch erhalten.

      Aílton verstand seine