Kendran Brooks

Die neunschwänzige Katze


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sie ihn. Trotzdem blickte Henry erneut auf seine Armbanduhr, die bereits zwanzig nach elf anzeigte.

      »Ruf sie bitte an.«

      Holly nahm ihr Handy hervor und suchte sich die Nummer von Sheliza heraus, drückte den Anrufbutton, hielt sich das Gerät eine Zeitlang ans Ohr und setzte es wieder ab.

      »Abgestellt«, vermeldete sie mit beunruhigter Stimme.

      »Hast du die Telefonnummer der Moschee?«

      Holly schüttelte verneinend den Kopf.

      »Oder die Adresse?«

      »Sie liegt in der Harley Street. Aber welche Hausnummer?«

      Henry hielt bereits sein Smartphone in den Händen und suchte sich auf der Karte die mögliche Adresse heraus.

      »Scheint nicht eingetragen zu sein«, murmelte er enttäuscht.

      »Vielleicht gibt’s ein Verzeichnis über sämtliche Moscheen der Stadt?«, mutmaßte Holly hilfsbereit.

      »Bin schon dabei«, und der Brite fuhr mit der Spitze seines Zeigefingers über die Glasscheibe.

      »Im Telefonbuch?«

      »Leider nein. War auch meine erste Idee. Doch in der Harley Street finde ich keine.«

      Holly sah zu, wie Henrys Gesicht immer mehr Falten warf, je länger er ergebnislos im Kästchen suchte.

      »Komm, wir fahren einfach hin«, meinte nun Holly, »und wir weisen die Hotelrezeption auf die mögliche Rückkehr von Sheliza hin. Die können ihr gegebenenfalls ausrichten, dass sie hier auf uns warten soll.«

      Henry war einverstanden und sie informierten den Mann hinter dem Tresen, konnten auch ihr Gepäck bei ihm zur Aufbewahrung abgeben.

      Draußen riefen sie sich ein Taxi herbei und gaben die Straße an.

      »Wo genau?«

      »Bei der Moschee der Alawiten?«

      »Und wo steht die?«

      »Wenn wir dort sind, werden wir es wissen.«

      Henry setzte sich auf den Notsitz, saß mit dem Rücken zum Fahrer, konnte ihn durch die halb geöffnete Scheibe so am besten ansprechen und ihm den Ort anweisen, bei dem er sie aussteigen lassen sollte. Holly saß auf der Rückbank, blickte hin und her, suchte die Gehsteige nach Sheliza ab, auch wenn die Muslimin wohl eher mit der Underground und kaum zu Fuß unterwegs war. Ihr unsteter, suchender Blick war jedoch deutliches Zeichen für die große Anspannung der Britin.

      Sie langten nach wenigen Minuten in der Harley Street an und Henry konnte dem Fahrer die Ecke nennen, an der er anhalten konnte. Er bezahlte mit fünfzehn Prozent Zuschlag und bedankte sich zusätzlich.

      Vor der Moschee stand Afifa und wartete wohl auf eine Bekannte. Jedenfalls taxierte sie jeden Passanten schon von Weitem, schien jedoch nicht zu finden, was sie suchte, zeigte ein verbittertes Gesicht.

      »Entschuldigen Sie«, wandte sich Holly an die mit Niqab verschleierte Frau, »wir suchen unsere Pflegetochter Sheliza. Kennen Sie sie? Ist Sie vielleicht noch in der Moschee?«

      Die Muslimin wandte sich schroff von der Britin ab, ohne ein Wort zu verlieren. Womöglich sprach sie kein Englisch? Doch Holly ließ sich nicht so leicht abwimmeln, ging der Frau ein paar Schritte nach, hielt sie am Arm fest.

      »Bitte. Wir suchen unsere Tochter Sheliza. Kennen Sie sie? Haben Sie sie heute Morgen gesehen?«

      Afifa blickte die Engländerin starr mit ihren braunen, irgendwie schmutzig wirkenden Augen an, so als wollte sie die aufdringliche Frau mit ihrem Starren durchbohren.

      »Sheliza ist nicht ihre Tochter«, zischte sie dann böse, »Sie ist eine Muslimin, Sie dagegen eine Ungläubige«, stellte die Verhüllte klar.

      »Ich will doch bloß wissen, ob Sie Sheliza heute schon gesehen haben und ob sie sich noch in der Moschee befindet?«

      »Sheliza geht nicht mehr in diese Moschee. Schon lange nicht mehr«, antwortete die verschleierte Frau in ihrem stark gefärbten Englisch, diesmal triumphierend.

      Henry und Holly blickten sich pikiert und ungläubig an.

      »Und wohin geht Sie beten?«, fragte Henry nach. Statt einer Antwort wirbelte die Muslimin auf einmal herum und floh durch den Eingang in den Hof des Gotteshauses, kickte im Vorbeilaufen ihre Sandalen von den bloßen Füssen und unter die Sitzbank, die man für das Ausziehen des Schuhwerks bereitgestellt hatte, entschlüpfte ihnen barfuß in das Innere.

      Henry und Holly schauten sich verwundert und verunsichert an.

      *

      Als Shamee auch zum Frühstück nicht erschien, fragte Zenweih seinen Major Domus nach ihr.

      »Ich habe Ihre Tochter seit gestern Mittag nicht mehr gesehen. Sie verließ das Haus gegen zwei Uhr und kehrte bislang nicht zurück.«

      »Wollte sie denn bei einer Freundin übernachten«, fragte der Hausherr irritiert seine Gattin.

      »Nicht das ich wüsste«, meinte Sihena und widmete sich wieder ihrer Lektüre, der neuesten Ausgabe der Metropolitan, murmelte jedoch noch ergänzend, »Shamee macht ja doch, was ihr gerade in den Sinn kommt.«

      Damit musste sich Zenweih einstweilen zufriedengeben. Er trank noch seine Tasse Kaffee aus, stellte sie auf den Unterteller und erhob sich.

      »Ich komm heute Abend erst zum Abendessen«, verabschiedete er sich von Sihena. Die blickte nicht einmal vom Teller auf, sagte nur: »Ist in Ordnung. Wir warten mit dem Essen auf dich. Ich wünsche dir einen schönen Tag.«

      Zenweih starrte nachdenklich auf die linke Gesichtshälfte seiner Gattin, die jedoch nichts zu bemerken schien. Seine Stirn zog sich in Furchen und seine Mund verhärmten sich, vielleicht aus Unwillen über die so kühle und unpersönliche Behandlung durch seine Ehefrau. Er schielte kurz zu Aílton hinüber. Der zeigte jedoch sein stets stoisches Gesicht, das keinerlei Gefühl oder Meinung ausdrückte.

      »Nun gut«, sagte Zenweih mehr zu sich als zu jemand anderen und verließ das Esszimmer. Als er gegangen war, zogen sich die Mundwinkel von Sihena langsam auseinander, zeigten ein feines, spöttisches Lächeln, das wohl kaum etwas mit der aufgeschlagenen doppelseitigen Werbeanzeige von Chanel in der Metropolitan zu tun hatte.

      *

      Sie sprachen vor der Moschee jeden Gläubigen an, der hinein oder hinaus ging, fragten sie nach Sheliza, ob sie vielleicht wussten, wo ihre Pflegetochter sein konnte. Henry hatte auch längst schon seine Schuhe ausgezogen und war auf Socken in die Moschee getreten, hatte sich dort umgeschaut, war unverrichteter Dinge zurückgekehrt. Selbst das Sekretariat war an diesem Vormittag nicht besetzt und er fand auch keinen anwesenden, ihm bekannten Imam. Von der Muslimin, die ihnen draußen entflohen war, fand er ebenfalls keine Spur. Sie war wohl durch einen Nebenausgang verschwunden.

      Endlich kam ein ihnen bekanntes Gesicht näher, eine der Alawitinnen, die wie Sheliza als syrischer Flüchtling nach Großbritannien gelangt war. Holly sprach die Frau sogleich an und diese nickte auch zustimmend.

      »Ja, Sheliza kommt nicht mehr hierher. Schon seit Wochen nicht. Soweit ich gehört habe, geht sie nun irgendwo im Eastend beten. Bei den Sunniten.«

      Das letzte Wort zischte sie verbittert, gab sie doch als glühende Anhängerin von al-Assad allein dieser muslimischen Glaubensgemeinschaft die Schuld am Bürgerkrieg, an all der Zerstörung in ihrem Heimatland und an der Vertreibung von Millionen Menschen.

      »Und in welche Moschee? Wissen Sie das?«

      »Nein. Doch es wird dieselbe sein, in die auch Afifa geht.«

      Henry und Holly sahen die Frau fragend an.

      »Afifa war auch Alawitin. Sie ist jedoch schon vor einem Jahr zu den Sunniten konvertiert. Und sie hat sich über Wochen immer wieder mit Sheliza unterhalten.«

      »Und wo finden wir diese Afifa?«

      Die