Kendran Brooks

Die neunschwänzige Katze


Скачать книгу

Doch ihr Mann war schneller, schnappte sich mit einer raschen Bewegung den Umschlag, stopfte ihn in seine Hosentasche, wandte sich triumphierend grinsend der Wohnungstür zu.

      »Du verdammtes Schwein«, schimpfte Marta und packte ihren Marinos an den Schultern, zog ihn von der Tür weg, »gib mir mein Geld zurück.«

      Der stieß ihr die flache Hand vor die Brust und wandte sich ab, um zu gehen und als sie ihm nachsetzte und ihn am linken Arm festzuhalten versuchte, drehte er sich grollend um und schlug ihr eine gerade Rechte mitten ins Gesicht.

      Marta taumelte zurück und fiel auf ihren Hintern, sah Rot wallende Wolken vor ihren Augen und verlor für einen Moment sogar das Bewusstsein. Ihr Mann glotzte sie einen Moment lang dumm an, wandte sich dann jedoch grollend von ihr ab und trat aus der Tür, zog sie hinter sich ins Schloss.

      »Bin in ein paar Stunden zurück«, rief er noch trunken aus, bevor er in Richtung Treppenhaus davon wankte. Marta hörte es dumpf durch die geschlossene Wohnungstüre. Dann erhob sie sich ächzend, drehte sich erst auf die Knie und stand dann mit wackligen Beinen auf. Ihre Nase und die Oberlippe bluteten und sie weinte, aber nicht vor Schmerzen, sondern vor Unglück. Was hatte die Arbeitslosigkeit doch aus ihrem Marinos gemacht? Die Schmach, seine Familie nicht mehr ernähren zu können? Auf die Unterstützung seiner Ehefrau angewiesen zu sein? Alles hatte er versucht. Zumindest fast alles. Hatte sich im Schlachthof beworben, konnte jedoch den Blutgeruch nicht ertragen. Nahm die Anstellung bei der Müllabfuhr an, verlor sie wenig später wegen Unpünktlichkeit. Versuchte sich als Taxifahrer, doch die anderen duldeten keine zusätzliche Konkurrenz und verprügelten ihren Marinos zwei Mal. Schon früher hatte er sich ab und zu betrunken. Das taten Männer nun mal. Doch seit zwei Monaten ließ er sich vollends gehen, war kaum je nüchtern und dann unerträglich mürrisch, trank jeden Tag zwanzig Flaschen Bier, falls nichts Härteres zu finden war, wurde immer zügelloser und gewalttätiger.

      Sich trennen? Eine Scheidung?

      Das kam für Marta als gläubige Katholikin nicht in Frage. Niemals.

      Ihr Gott hatte sie an diesen Ort gebracht und in diese Ehe geführt. Sie musste ausharren und das Beste daraus machen. So sah sie ihre Aufgabe in diesem Leben.

      Sie ging hinüber ins Bad, sah sich kurz im Spiegel die stark gerötete Nase, die anschwoll und den kleinen Riss in der Oberlippe an, seufzte und drehte den Kaltwasserhahn auf, schob ihr Gesicht darunter und wusch sich das Blut weg. Dann tastete sie ihre schmerzende Nase ab. Wenigstens schien nichts gebrochen. Zum Glück. Dann versorgte sie die kleine Platzwunde an der Oberlippe, tupfte ein Antiseptikum darauf, das lindernd brannte, klebte ein Pflaster darüber.

      Ihre Tränen hatten die Mascara verschmiert. Sie nahm einen Wattebausch, benetzte ihn mit Wasser, strich ein paar Mal über die Seife in der Schale und wischte sich die schwarzen Striemen aus dem Gesicht.

      Wieder blickte sie in den Spiegel, betrachtete sich kritisch, blies sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn.

      Ja, das war sie, Marta Gonzales, geborene Vinerva, zweiundvierzig Jahre alt, kinderlos, und wenig glücklich verheiratet.

      Mit Wehmut erinnerte sie sich an die guten Tage, das Werben ihres Marinos um ihre Hand, wie fesch er damals doch aussah, mit fünfundzwanzig. Dann die Hochzeit, die drei Tage dauerte und an der insgesamt mehr als zweihundert Gäste teilnahmen, die kamen, ein paar Stunden blieben und wieder gingen. Selbst die ersten paar Jahren ihrer Ehe waren noch gut gewesen, zumindest so lange, bis feststand, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Der Zugang zu ihrer Gebärmutter war zu schmal und wie verklebt, hatte der Arzt nach dem Ultraschall gemeint. Sie hatte dabei jedoch nicht ihn, sondern ihren Marinos angeblickt und sie würde seinen Gesichtsausdruck wohl nie mehr vergessen. Denn er sah so hilflos und anklagend zugleich aus, nicht etwa böse auf sie, nein, sondern nur zornig auf ihr gemeinsames Schicksal. Sie hatten später nicht viel darüber geredet. Er wollte nicht. Oder konnte nicht. Und sie hatten sich mit der Zeit auch wiedergefunden, hatten das Beste aus der Situation gemacht. Bis, ja, bis er seine Anstellung bei der Feuerwehr verlor, weil er betrunken zum Dienst erschienen war. Warum er auf seinem Arbeitsweg in dieser Bar hängen geblieben war, wo er sich jeweils vor der langen Nachtschicht ein einziges Bier genehmigt hatte, auch das wollte er ihr nie erklären. Oder konnte nicht.

      Gab es ein Entkommen für sie beide? Einen Ausweg? Aus der Trunkenheit und der Hoffnungslosigkeit? Geld müsste man besitzen, genügend Geld. Denn letztendlich ging es doch stets nur darum. Wer Geld besaß, kannte keine Sorgen, musste sich keine Sorgen machen, wenn er nicht wollte. Mit genügend Geld würde sich auch ihr Marinos wieder verändern, ruhiger werden, gefestigter, so wie früher.

      Marta setzte sich auf das zerschlissene Sofa im kleinen Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein, erkannte, dass eine Spielshow lief, hörte und sah jedoch nicht zu, sondern dachte angestrengt darüber nach, wie sie zu Geld kommen konnte.

      *

      Naara blickte ihren Freund Antonio verliebt an, hatte nur Augen für ihn, was angesichts des Angebots an attraktiven Männern erstaunlich war. Sie hatten ihre Badetücher an der Copacabana auf dem Sandstrand ausgebreitet, lagen nebeneinander, sahen sich verträumt lächelnd an, genossen diesen gemeinsamen Nachmittag, dachten weder an die Zukunft noch an das Gestern, freuten sich für ihr Hier und Heute.

      Antonio hatte sich auf seine Ellbogen aufgestützt, blickte umher, verglich die Körper anderer Männer mit seinem, taxierte stumm die Hintern vorbeigehender Mädchen. Er war schon recht attraktiv, dieser Antonio, zwar nur etwas über mittelgroß, dafür aber prächtig proportioniert, mit dem athletischen Oberkörper und den schmalen Hüften eines ausdauernden Schwimmers, mit dem blitzenden Lächeln eines Charmeurs, mit den warmen Augen eines Verführers.

      Doch auch Naara konnte sich sehen lassen. Nun, da sie nicht mehr ihre altertümliche Uniform trug, sondern einen knappen Bikini, konnte man ihren flachen Bauch, ihre festen, wenn auch recht kleinen Brüste und ihren ausladenden und doch strammen Hintern bewundern. Ihre Oberschenkel waren nicht schlank, passten besser zu ihrem Gesäß als zu ihrem schmalen Oberkörper. Und trotzdem spürte bei ihrem Anblick jeder echte Mann in seinen Lenden ein beinahe schmerzhaftes Ziehen, wenn sie sich vorstellten, wie fordernd und ausdauernd das Becken dieser jungen Frau im Liebesspiel sein musste, wie aufregend befriedigend und befreiend. Und so erntete nicht nur Antonio manchen lüsternen Blick, auch Naara durfte sich darin sonnen, vor allem, nachdem auch sie sich auf den Bauch gedreht hatte und der Welt ihr prächtig geformtes Hinterteil präsentierte.

      »Das ist eine einmalige Chance für mich«, meinte Antonio zum wiederholten Male, erneut eindringlich und fordernd, korrigierte sich diesmal jedoch und fügte hinzu, »für uns.«

      »Ich weiß«, bestätigte ihm Naara, obwohl sie alles andere als sicher war, »doch woher sollen wir so viel Geld nehmen?«

      Antonio zog ein ärgerliches Gesicht. Er verdiente seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs, hatte nach seiner Schulzeit noch keine feste Anstellung finden können, aber auch nie wirklich gesucht. Und Naara bekam von den Lings zwar genügend Lohn für ihre winzige Ein-Zimmer-Wohnung in einer der Favelas, doch für viel mehr reichte es nicht. So hatten weder sie noch er in den vergangenen zwei Jahren, in denen sie beisammen waren, Geld auf die Seite legen können.

      »Nur achtzigtausend Real«, jammerte Antonio zum wiederholten Male, »es fehlen mir nur achtzigtausend. Dann bekäme ich meine Chance, verstehst du? Die Chance in meinem Leben«, und wiederum korrigierte er sich, »unsere Chance im Leben.«

      Selbstverständlich verstand Naara ihren Freund, denn Antonio hatte es ihr oft genug erklärt.

      Für die Autowerkstatt, in der er ab und zu aushalf, suchte der Besitzer einen Nachfolger. Die Geräte und auch die Hebebühne waren zwar uralt. Doch sie funktionierten immer noch recht gut und ernährten ihren Mann. Sogar seine Buchhaltung hatte er Antonio offengelegt. Jedes Jahr lag der Umsatz bei mindestens dreihunderttausend bei kaum mehr als hundertfünfzig tausend an Kosten für Miete, Ersatzteile und Schmiermittel. Wie herrlich musste ein Leben doch sein, wenn monatlich zehntausend Real übrigblieben?

      Dass sein Chef in einer Baracke mehr hauste als wohnte, dass er selbst kein Auto fuhr, dass er auch beim Bezahlen des ausstehenden Lohnes sich oft mehr als genug Zeit ließ,