ramona wegemann

Rehkitz gefunden, was nun? Buch zur Aufzucht von Rehkitz, Damwildkalb, Hirschkalb & Co.


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Pflege auch mal 11 bis 12 Jahre erleben, aber das sind die Ausnahmen. Der ungestörte (ungestört im Sinne von: nicht tot geschossen, nicht verunglückt durch Autounfall, vom Hund verletzt oder Tot gehetzt o. ä.) Lebenslauf eines Rehes verläuft je nach Geschlecht unterschiedlich.

      Mit fast einem Jahr sind die Tiere beinahe ausgewachsen und verlassen die bereits wieder tragende Mutter, sobald diese ihre Kitze gesetzt hat. Oftmals kehren jedoch einige weibliche Jungtiere zu ihrer Mutter zurück, sobald diese ihre neuen Kitze mit sich führt und bilden zusammen eine kleine Familiengruppe (Mutterfamilie). Selten dürfen sich die jungen Böcke aus dem letzten Jahr zur Mutterfamilie mit dazugesellen, meist leben diese im ersten Halbjahr allein. In all den Jahren konnte ich allerdings auch des Öfteren eine kleine Junggesellengruppe von 2-3 jungen Böckchen beobachten, die sich für diese Zeit zusammengeschlossen hatten. Rehe lieben Gesellschaft und vermissen einander, wenn ein Gruppenmitglied fehlt. Durch lautes Rufen (ein Fiepen) suchen sie zueinander Kontakt. In meiner Gruppe hatte ich ein taubes Reh. Zog die Gruppe von einem Gehegeteil zu einem anderen, bekam es das schlafende, taube Tier manchmal nicht gleich mit und blieb zurück. Bemerkte die Gruppe sein Fehlen, begannen sie nach ihrem Mitglied zu rufen und suchten nach ihm. Die Rufe hörte das taube Tier natürlich nicht, es dauerte eine Weile, bis er das Fehlen der anderen bemerkte und es kehrte erst wieder Ruhe ein, wenn alle zusammen waren. Ein in Aufregung versetztes Reh zeigt eine sogenannte weiße Blume am Hintern. (Bild u.l.) Die weißen Haare sträuben sich auf und der weiße Spiegel erscheint groß und aufgeblüht. Bei Entspannung legen sich die Haare wieder und das Tier signalisiert auch anderen, dass es keine Anspannung hat. (2.Bild u.)

      In meinen Augen bedarf es keiner Wissenschaftlichen Studien, um zu verstehen, dass die Tiere als soziale Lebewesen einander vermissen, wenn ein Tier der Gruppe entnommen wird. Rehe verzweifeln und leiden, wenn ein Gruppenmitglied plötzlich fehlt (egal ob durch Abschuss, Autounglück oder anderer Umstände). Oft hat man Ricken beobachten können, wie sie trauernd an ihren zerstückelten Kitzen standen, wenn der Mähdrescher diese Kitze unachtsam tötete. Über mehrere Tage kamen die Ricken noch zum Liegeplatz zurück und riefen nach ihren Kitzen, obwohl sie längst nicht mehr da waren. Tieren ein soziales Gefühl aberkennen zu wollen, nur weil es sich für manch ignorante Menschen nicht erschließt, ist in meinen Augen ein trauriges Zeugnis für die angeblich sozial entwickelten Menschen.

      Erst im Winterhalbjahr können die Tiere dann in die offene Herde zurückkehren. Rehe schließen sich dann in sogenannte Sprünge zusammen, das ist ein Kommen und Gehen von individuell bekannten Tieren, die im Winter eine Herde bilden.

      In einem Alter von ca. 2 Jahren gebären die Ricken das erste Mal Kitze, das bezeichnet man als „setzen“. Ein Reh bekommt nur 1x im Jahr im Nachwuchs, immerhin ist die Trächtigkeit, mit Ruhephase im Winter wo es zu einer sogenannten Eiruhe kommt, gut 9,5 bis 10 Monate. Rehböcke sind zwar zur gleichen Zeit wie die Ricken zeugungsfähig, können sich aber erst fortpflanzen, wenn sie ein eigenes Territorium erobern konnten, also mit ca. 3 bis 3 1/2 Jahren. Etwa ein Drittel bis zur Hälfte der Ricken wie auch Böcke unternehmen zwischen dem 1-2 Lebensjahr mehrere Exkursionen und entfernen sich aus dem elterlichen Heimgebiet, kehren aber zunächst immer noch zur Mutter zurück und verbringen den Winter noch gemeinsam. Einen neuen Lebensraum erschließen sich die Jungtiere in etwa 2-30 km Distanz zum Heimgebiet. Der übliche Lebensraum muss den besonderen Ansprüchen der Rehe gerecht werden können. Übergänge zum Wald von vielfältigen Kulturlandschaften und Kräuterwiesen mit genügend Deckungsmöglichkeiten und Aufzuchtszonen werden von Rehen bevorzugt beheimatet. Rehe sind sehr ortstreue Tiere, die in relativ kleinen Territorien von ca. 10-30 ha leben. Gelegentlich wechseln sie ihr Territorium, allerdings nicht häufiger als 1-2x in ihrem Leben, hierfür legen sie dann jedoch auch teilweise sehr weite Strecken von bis zu 30 km und mehr zurück. Die Mutterfamilien leben in Heimgebieten, die sich mit anderen Heimgebieten anderer Mutterfamilien gelegentlich überlappen können. Dies wird toleriert, sofern jede Ricke ein eigenes Aufzuchtsgebiet für ihre Kitze hat. Die Böcke sind im Sommerhalbjahr mit Rangkämpfen und Territoriumskämpfen beschäftigt. Hierbei können ernste Verletzungen durch die Spießer (das Geweih) entstehen und ggf. kann der Gegner sogar tödlich verletzt werden.

      Die Paarungszeit findet im Juli bis August statt, ggf. kann es noch zu einer sog. Nachbrunft im November und Dezember kommen. Die Tragzeit beträgt wie bereits angemerkt ca. 9,5 Monate wobei in dieser Zeit eine Eiruhe über die Wintermonate dazu zählt. Die eigentliche Etwicklungszeit des Kitzes liegt bei ca. 5 Monaten. Während der Eiruhe im Winter, aufgrund des runtergefahrenen Energiehaushaltes, pausiert die weitere Entwicklung des Fötus im Laib der Mutter. Die Kitze werden dann ab April bis in den Juli hinein gesetzt (geboren). Mehrlingsgeburten sind bei Rehen keine Seltenheit, zwischen 1-4 Kitzen kann eine Ricke bekommen, zumeist sind es allerdings zwei Kitze die in einem Versteck getrennt voneinander gesetzt werden. Um die Überlebenschancen zu verbessern legt die Mutter ihre Kitze nicht alle an einer Stelle ab, sie setzt die kleinen an unterschiedlichen Stellen, meist ca. 20 bis 30 Meter im Umkreis voneinander ab. Sollte ein Raubtier ein Nest finden, so sind nicht alle Kitze mit einem Mal verloren. Erst wenn die kleinen der Mutter zu folgen beginnen, ab Ende der 3. Woche, werden die kleinen nun zueinander finden und auch gemeinsam in einem Nest auf die Mutter warten und ihr gemeinsam auf die ersten Schritte folgen. So sind die Kitze in den ersten 3-4 Wochen die meiste Zeit des Tages von der Mutter getrennt, während sie abgelegt im hohen Gras auf die Rückkehr der Mutter warten. Die Mutterricke sucht ihr Kitz nur alle paar Stunden auf, um es zu versorgen, zu putzen, zu säugen und mit ihm zu einem neuen Liegeplatz zu laufen. In diesen ersten Wochen läuft die Prägephase zwischen Mutterricke und Kitz. Die Ricke wird das Kitz nun die kommenden Monate säugen, manchmal sogar bis in den Winter hinein.

      In einem Alter von 7 Jahren sieht man einem Reh sein Alter langsam an. Es wird schmaler, Böcke bekommen ein schwächeres Geweih und der Körper wirkt deutlich schwächer, knochiger. Auch die Körperhaltung und der Gang wirken weniger stattlich, ähnlich eines alten Menschen, der seine Körperspannung mit zunehmenden Alter verliert. Das Fell ist auch nicht mehr so geschmeidig. Der Gang wirkt bei ganz alten Tieren etwas pendelnd, die Klauen reiben sich nicht mehr so gut ab und sie scheinen etwas Plattfüßig zu werden.

      Im Vergleich: ein junger, kastrierter Bock (l.o.) grader Rücken, geschwungener Hals, kräftige Beine und steil gestellte Klauen, gutes Fell. Unser 13.jähriger Opi wirkt schon deutlich struppiger, knochiger, eher mit Plattfüßen, steife Beinchen, eingefallenes Gesicht, den Kopf und Hals fast zwischen die Schultern gezogen und eine etwas buckelige Kruppe. Der Gang ist schlaksig und staksig geworden.

      Junger kastrierter Bock, mit gradem Rücken, schönen Fell und steil gestellten festen Fußgelenken. Unten unser 13 jähriger Opi. Knochige Gestalt, struppiges Fell, eingefallenes Gesicht, Schulterblätter sind auf dem Rücken zu sehen, Plattfüße.

      Tiere die das 10. Lebensjahr erreichen sind leider eine absolute Seltenheit. Oft fallen sie zuvor einem Unfall, einem wilderndem Hund oder meist dem Jäger zum Opfer. Jagd wäre im eigentlichen Sinne für die Populationsregulierung der Rehe nicht nötig. Die Besatzdichte, das Futterangebot und Rangordnungen regeln die Nachkommenschaft in der gesunden Population. Durch mehrere unabhängige Studien wurde dies bereits mehrfach belegt. So macht es auch das Schutzgebiet im Bayrischen Wald vor. Hier ist die Jagd nicht erlaubt und die Population regelt sich ganz natürlich selbst. Es funktioniert also auch bestens ohne Jagd. Zu den Feinden des Rehes zählen nicht nur der Hund und der Mensch. Auch der Wolf, Luchs, Braunbär, für Kitze ist zudem noch der Fuchs und der Greifvogel eine Gefahr. Wildernde Hunde, ja sogar große Katzen sind ebenfalls eine Gefahr für Kitze.

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