ramona wegemann

Rehkitz gefunden, was nun? Buch zur Aufzucht von Rehkitz, Damwildkalb, Hirschkalb & Co.


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      Als sogenannte Konzentratselektierer sind Rehe auf ein vielfältiges und großzügiges Angebot von heimischen Pflanzen angewiesen. Ihr Bedarf wird eher zusammengenascht, als alles ungezügelt kahl zu fressen. Obwohl Forstbehörden und Jäger gern ihr „Jägerlatain“ dahingehend streuen, dass Rehe alles nahezu kahl fressen, so stimmt diese Behauptung nicht. Die Schäden, welche durch Wildtiere in einem natürlichen Umfang entstehen, sind gemessen an den Schäden die durch Menschenhand in unseren deutschen Wäldern verursacht werden, überhaupt nicht nennenswert. Die Forstämter behaupten, dass ganze Schläge kahl gefressen werden, weil Rehe Knospen von Laubbäumen äsen und somit aus dieser Knospe kein Ast mehr wachsen könne. Doch dass die Jäger und Förster deutscher Wälder, kilometerlange Schneisen, über vier und mehr Meter in der Breite, in die Wälder schlagen, nur um mit ihren Autos bequem zum nächsten Hochsitz durch die Wälder fahren zu können, das wird stillgeschwiegen. Hundert Rehe vermögen bei Weitem nicht solchen Schaden zu verursachen, wie ein Mensch es hier für seine Zwecke tut. Hektarweise zerstören Menschen völlig selbstverständlich ganze Lebensräume für eine Vielzahl von Tieren. Doch wenn ein Reh eine Knospe abäst und daraus kein Ast mehr wachsen kann, der vermutlich ohnehin von Förstern zur Schneisenschlagung entnommen werden würde, dann ist es ein Grund das Tier als „Schädling“ zu titulieren und zum Abschuss frei zu geben?

      Saisonal bevorzugen Rehe diverse Kost. Von Laub, Knospen, Wiesenpflanzen, Kräutern, verträglichen Pilzen, Beeren, Früchte, (Fallobst), Raps, Mais und sogar Kartoffeln und Runkeln bis hin zu Grünkohl nach dem ersten Frost. Sie fressen demnach nicht ganze Wälder. Im ersten Halbjahr bevorzugen sie leichtverdauliche und proteinreiche Nahrung (Wiesenkräuter, Knospen, junges Blattgrün), im Sommer bis Herbst: Obst und Früchte von Sträuchern und Bäumen, Bucheckern, Mais, Kartoffeln etc.. Im Winter mögen sie faserreiche und proteinärmere Nahrung wie Brombeerblätter, Raps, Wintergetreide, Weißtannen, Laub etc. Im Spätwinter sind Knospen sehr wichtig für Rehe. Hier darf ich kurz anbringen, dass wir selbst auch Waldbesitzer sind und auch einige Neuanpflanzungen über die letzten Jahrzehnte setzten. Trotz dass wir in unseren Wäldern auch wilde Rehe und andere Wildtiere als Durchzugsgäste sehen oder gar eine Heimat bieten können, lebt unser Wald trotz oder vermutlich grade wegen dieser Tiere. Die wenigen Knospen die tatsächlich mal an einem frisch gesetzten Setzling fehlen, was aber kaum zu bemerken ist, bedeuten keinesfalls ein Waldsterben. Unser Interesse als Waldbesitzer ist gegeben, aber trotzdem verlieren wir nicht den Blick für die Natur und dem was halt dazu gehört. Menschen verursachen in unseren Wäldern viel erheblichere Schäden, als es die Wildtiere je könnten. So sehe ich hier nicht das Tier als Schädling. Tiere sind ein Teil der Natur, es ist ihr Lebensraum und wie kommt der Mensch dazu sich das Recht des Stärkeren einfach zu nehmen und jedem anderen Lebewesen mit Gewalt seinen Lebensraum und sogar Lebensberechtigung rauben zu wollen? Das ist so, als würden sich die Flöhe auf dem Hund streiten, wem der Hund gehört.

      Im Herbst müssen Rehe deutlich mehr äsen, um die Energieverluste des Sommers (Ricken durch Aufzucht der Kitze, Böcke nach der Brunft) wieder aufzuholen. Der sonst kleinere Rehpansen hat seine größte Kapazität im Herbst, um die nötige Energie auch aufnehmen zu können. Aber selbst dann wird der Pansen nie komplett voll geäst. Die Pansenschleimhaut verändert sich, es kommt zu einer Oberflächenreduktion der Pansenschleimhaut. Man kann sich die Pansenschleimhaut vielleicht bildlich wie eine große Ansammlung von vielen kleinen Zungen dicht nebeneinander vorstellen oder wie dicht gepackte Blätter. Durch diese in den Pansen hineinragenden Pansenzotten ist der Pansen in der Lage mehr aufzunehmen, sich zu verändern und anzupassen. Ausgerechnet in der Winterzeit muss der Rehbock nun bei Fastenzeit (das Nahrungsangebot ist ärmer) sein neues Geweih ausbilden. Das Geweih ist mit Bast überzogen, eine behaarte Haut über dem sich neu bildenden Geweih, um dieses mit den nötigen Zusätzen fürs Wachstum zu versorgen. Wenn das Geweih altersentsprechend fertig gebildet wurde, scheuert sich das Reh diesen Bast ab. Das nennt man Fegen. Er schubbert sich an Büschen und Bäumen und entledigt somit der überflüssig gewordenen Haut. Oft hängen dann die Hautfetzen leicht blutig vom Geweih, bevor er sie ganz abgewetzt bekommt. Das ist ein normaler Vorgang der sich jährlich wiederholt. (Außer bei rechtzeitig kastrierten, handaufgezogenen Böcken, die kein Geweih bilden. Dazu später mehr). In der Winterzeit ist es für das Reh ohnehin schwierig Zellulose verdauen zu können. Es gab Versuche, in denen Rehe in einem Gehege gehalten wurden und im Winter nur mit Zufütterung von Heu durch den Winter kommen sollten. Dieser Versuch (in einem hessischen „Versuchsgatter“ des Forstamtes) war völlig überflüssig, war man sich dieser Naturgegebenheit doch bereits bewusst und hätte voraussehen müssen, dass ein Reh schlicht weg nicht in der Lage ist, diese Zellulose verdauen und verwerten zu können. Es war biologisch schlicht weg nicht möglich, die Tiere nur mit Heu am Leben zu halten. Alle Tiere verendeten und verhungerten elendig, trotz mit unverdautem Heu gefülltem Pansen. Das Heu war unverdaut, da es die Tiere schlicht weg nicht verdauen konnten. Verzweifelt fraßen sie das Heu, aber verhungerten trotzdem elendig. In meinen Augen war dies kein „Versuch“ sondern Tierquälerei. Dank dieses fragwürdigen Versuches kann man nun aber mit Gewissheit belegen, dass es eine schreckliche Ignoranz von Jagdbehörden ist, wenn diese vorschreiben, Rehen als Notäsung ausschließlich Heu vorzusetzen. Doch leider haben Jagdbehörden aus diesem schrecklichem Umstand dennoch nicht gelernt und geben auch weiterhin, scheinbar blind als Notäsung die alleinige Heufütterung vor. Die Ignoranz des Menschen ist unantastbar.

      Rehe sind Fluchttiere und neigen zu Panik. Auch wenn ein Reh scheinbar ruhig an seinem Versteck liegen bleibt, geht der Puls beträchtlich in die Höhe. Nach Möglichkeit sollte man ein Wildtier nicht stören und aufscheuchen, wenn man es entdeckt hat.

      Die Aktivitätszeiten liegen meistens in der Dämmerung und in der Nacht, was allerdings eher auf ständige Störungen durch Menschenhand zurückzuführen ist. In ungestörten Lebensbereichen sind Rehe eher tagaktiv. Rehe haben rund um die Uhr alle 2-4 Stunden eine Aktivitätszeit, in der sie Nahrung sammeln, in der Kitzzeit ihren Nachwuchs versorgen und umherlaufen. Wechsel von Aktivitätszeiten und den anschließenden Ruhezeiten zum Dösen und Wiederkäuen, finden mehrmals täglich und auch nächtlich statt. Diese häufigen Wechsel zwischen Ruhezeiten und Aktivitätszeiten sind für das Reh notwendig, da es einen vergleichsweise sehr kleinen Pansen hat und nur geringe Mengen an Nahrung aufnehmen kann. Eine hohe Aktivität, in der sie miteinander spielen, springen, laufen, und auch eine rasche Flucht in brenzlichen Situationen meistern, ist ihnen gegeben, aber lange Strecken können sie aufgrund ihres kleinen Herzens nicht sprinten und laufen. Die leider überall gern getätigten Drück- und Treibjagden, welche sogar im Winter stattfinden, sind darum als drastische Tierquälerei zu beschreiben.

      Ihre Ruhezeiten genießen Rehe in geschützter Deckung mit guten Überblickungsmöglichkeiten.

      Das Sehvermögen des Rehs ist bei Dämmerung und Dunkelheit dem menschlichen Sehvermögen weit überlegen. Dies lässt sich allein schon durch die großen dunklen Augen und der ovalen Iris ableiten. Jedoch können Rehe nicht scharf, sondern nur verzerrte Bilder sehen. Geringste Bewegungen werden ausgezeichnet wahrgenommen, aber unbewegt nehmen Rehe nur große Gegenstände wahr.

      Auch beim Damwild sind die ovale Iris und die Tasthaare um die Augen und dem Maul herum, ja sogar auf der Nase, gut erkennbar.

      Anders als beim Reh, haben Hirsch und Damwild noch eine so genannte Voraugendrüse. Diese Voraugendrüse ist eine von mehreren Hautduftdrüsen, mit denen Tiere ihre Markierungen mit Duft setzten. Es ist so zu sagen ein Markierungsorgan, was beim Rehwild in dieser Art fehlt. Mittels Düfte setzen die Tiere Signale ab und können (für den Menschen nicht wahrnehmbare) Duftsignale verbreiten. So wird bei Furcht, besonders bei Kälbern, beobachtet, wie diese Drüsenhöhle weit geöffnet wird. Lautlos ruft das Kalb nach der Mutter, die sich immer in Windrichtung des Kalbes entfernt und durch den überaus feinen und empfindlichen Geruchsinn diesen Duft ihres Kalbes wahrnimmt. Rasch wird sie zum Kalb zurückkehren. Doch auch adulte Tiere nutzen die Drüse für Kommunikation. Eigentlich handelt es sich um eine tiefe Hauttasche mit zahlreichen Talgdrüsen. Durch einen Gesichtsmuskel kann das Tier die Tasche öffnen und schließen.