ramona wegemann

Rehkitz gefunden, was nun? Buch zur Aufzucht von Rehkitz, Damwildkalb, Hirschkalb & Co.


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zu sehen. Der lange, schmale Spalt, der sich vom Auge bis fast zum unteren Rand des Fotos zieht, ist die geschlossene Drüsenkammer

      Bild oben: Das tiefe Vertrauen zu mir und die Geduld meiner Hirschkuh mit mir, machen es möglich, dass ich für ein Foto die Hautfalte zur Drüsenkammer kurz manuell öffnen kann. Hier zeigt sich wie tief die Höhle der Drüsenkammer ist.

      Das untere Bild (erstes) zeigt ein junges Damtier mit leicht geöffneter Drüse. Es hat keine Angst in diesem Moment, sondern knabbert intensiv an der Pflegemutter, während es geputzt wird. Das lässt vermuten, dass diese Drüse für verschiedene Kommunikationsvarianten genutzt wird, nicht nur bei Angst. Unten zweites Bild, ein erwachsenes Damtier mit talgigen Ablagerungen in der Drüsentasche. Die Ablagerungen werden durch Reibungen an Büschen, Bäumen, anderen Sozialpartnern oder ähnlichem immer wieder geleert. Gleichzeitig setzt das Tier damit auch eine Markierung. Diese Drüsen haben mutmaßlich noch weitaus mehr Funktionen und Nutzen, als der Mensch es bislang zu verstehen (oder zu belegen) vermochte.

      Der Geruchssinn ist für das Reh der wichtigste und beste entwickelte Sinn. Er hat eine grundlegende Bedeutung bei der Futtersuche und auch bei sozialen Kontakten. Ein Reh kann einen Menschen (bei entsprechender Windrichtung) sogar bis auf 400m wittern.

      Wer einen solch feinen Geruchsinn hat, der markiert sein Revier (sein Zuhause) natürlich auch mit Duftspuren. Rehe haben an mehreren Stellen des Körpers feine Drüsen über welche sie in ihrer Umgebung verschiedene Düfte setzen. Es sind sogenannte Hautduftdrüsen, welche sie an Büsche, Bäume oder gar Artgenossen reiben und somit markieren. Die meisten Hautduftdrüsen sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen, aber die sogenannten Laufbürsten, die sich an den Hinterbeinen der Rehe befinden, erkennt man an den hervorstehenden Haaren, die ähnlich einer Bürste verdichtet hervorstehen. Beim Damwild und Rotwild ist die oben beschriebene Augendrüse gut zu erkennen. Zwischen den Klauen, an der Stirn und am Pinsel (Haare am Geschlechtsteil des Tieres) befinden sich weitere Drüsen, die mit bloßem Auge wiederum nicht mehr erkennbar sind. Das Reiben mit dem Geweih, dem Kopf, das Scharren mit den Hufen (Klauen) und auch das Markieren mit Urin ist sicherlich immer wieder schon beobachtet worden. Ich habe zwar noch keinen fundierten Hinweis dazu finden können, aber ich bin überzeugt, dass Rehe (Wildwiederkäuer) auch mit dem Kinn markieren. Täglich kann ich beobachten, wie sich die Tiere aneinander reiben und mit dem Kinn über ihren Sozialpartner streicheln. Bei Damwild und Rotwild konnte ich beobachten, dass sie sich in interessante Düfte mit dem Kinn und ihrem Gesicht reiben und diesen interessanten Duft anschließend auf ihrem Körper verreiben und verteilen. Düfte spielen im Leben der Wildtiere eine große Rolle.

      Hier liegen überall die Duftdrüsen beim Reh.

      Der Geschmacksinn ist beim Reh ebenfalls stark ausgeprägt und für die Futterwahl von großer Bedeutung. Im Allgemeinen haben Rehe eine Vorliebe für Bitterstoffe, aber es gibt auch individuelle geschmackliche Vorlieben, die von Tier zu Tier variieren. Ähnlich wie beim Menschen, hat jeder seinen eigenen Geschmack. Was dem einen gut schmeckt, muss dem anderen noch längst nicht gut schmecken.

      Einen Tastsinn besitzen Rehe ebenfalls. Rund um die Augen und um die Schnauze herum befinden sich einige Tasthaare (s.o.). Bevor ein Trieb beäst wird, vollzieht das Tier eine Reihenfolge von mehreren Prüfungen. Das Reh wird seine Nahrung zunächst beschnuppern, dann vorsichtig betasten und dann über die Aufnahme erschmecken. Auch feinste Wahrnehmungen gelingen dem Reh mittels dieser Tasthaare. Zum Beispiel spüren sie durch diese Haare Luftveränderungen, Wärmeveränderungen und auch einfaches Betasten jeglicher Dinge sind so möglich.

      Junges Damwild beim Betasten und Erkunden seiner Umgebung.

      Einen großen Teil des täglichen Wasserbedarfs decken Rehe durch natürliche Äsungsbedingungen (Aufnahme von Knospen, Klee, frischem Saftfutter etc.) Frisches Wasser benötigen die Tiere aber dennoch, täglich etwa 1,35 Liter / 10kg Körpergewicht. Der Wasserbedarf steigt bei trockenen Futtermitteln auf mehr als 4 Liter /10kg. So benötigt ein ausgewachsenes Reh bei trockener Fütterung (starker Winter und trockene Sommer) immerhin gut 8-10 Liter Wasser pro Tag. Je saftiger das Futter ist, desto weniger Wasserbedarf hat das Tier. Bei genügend Saftfutter kann der tägliche Bedarf bei nur noch 0,5 Liter / 10kg liegen. Es ist daher selbstverständlich, dass Fütterungen immer in der Nähe von Wasservorkommen vorgenommen werden sollten. Wassermangel und Dehydrierung kann insbesondere bei trockenen Minustemperaturen im Winter oder in langen trockenen Sommerperioden auftreten. Auf Gaben von Salzlecksteinen sollte in diesen Zeiten eher verzichtet werden, wenn man nicht für ausreichenden Wasserausgleich in diesen schweren Zeiten sorgen kann. In besonders kalten Tagen geht das Bedürfnis der Tiere zu trinken zurück. Dies bedeutet aber nicht, dass man den Tieren nichts mehr bereitstellen müsste. Vielleicht kennt man es vergleichsweise von sich selbst, dass man an kalten Tagen häufiger Wasser lassen muss? Es hat einen wichtigen Grund, der den Körper vor zu schneller und zu starker Auskühlung schützen soll. Der unnötig aufgestaute Urin in der Blase ist eine Wassermenge, die viel Energie beanspruchen würde, um das Wasser auf Körpertemperatur zu halten. Diese Energie für ein Abfallprodukt des Körpers zu verschwenden, könnte unter Umständen sogar lebensbedrohlich werden. Dieses Wasser möchte der Körper zügig loswerden, um nicht unnötig auskühlen zu müssen. Der Wasserhaushalt wird so gering wie möglich gehalten und auf das nötige Minimum reduziert. In Trockenzeiten (Sommer wie Winter) sollte man stets Wasser zur freien Aufnahme anbieten, dies schützt auch vor Verbissschäden (Abnagen von jungen Baumrinden u. a.) Bei akutem Wassermangel wird sonst das Wiederkäuen für das Tier unmöglich. Es hat sich herausgestellt, dass wo Jagddruck an Wasserstellen vorhanden ist und die Tiere keine Möglichkeit haben ungestört und in Ruhe ihren Wasserbedarf zu stillen, dass in dieser Umgebung die Verbissschäden höher sind, als anderswo, wo die Tiere ohne Angst an Wasser gelangen. Hochsitze und Jagdruck an Wassereinständen aufzustellen, ist demnach nicht nur unfair sondern auch eine Provokation von Verbiss. Dieser Umstand erklärt sich, wenn man die Umstände hierzu nun kennt.

      Wiederkäuen ist lebensnotwendig.

      Ein erwachsener Wiederkäuer ist durch den komplexen Vorgang der Pflanzenverwertung durch das Wiederkäuen in der Lage, sich fast unabhängig von externen Eiweißzufuhr zu machen. Ein Kitz und ein Kalb, haben noch keine ausgereiften Pansen und keine vollwertige Funktion des Wiederkäuvorgangs und benötigen noch externe Eiweiße über Milch und Nahrung. Das Wiederkäuen ist ein lebensnotwendiger Vorgang, der nur unter zwei Voraussetzungen geschieht. 1. braucht das Wild hierzu Ruhe und 2. muss das zuvor aufgenommene Futter einen Mindestgehalt an strukturreicher Rohfaser enthalten (mindestens 14-16%). Denn nur entsprechend strukturierte Rohfaserpartikel können den Reflex an den Rezeptoren an der Vormagenwand auslösen, um den Futterbrei hochzubringen und den Vorgang zum Wiederkäuen auszulösen.

      Ohne eine ausreichende Beiäsung und Aufnahme von Rohfaser können die meisten Grundfuttersorten nicht zum Wiederkäuen verwendet werden. Beim Wiederkäuen werden des weiteren Methangase ausgestoßen, die sich im Gärprozess im Pansen bilden und sonst zu einer Pansenaufgasung führen würden. Es käme ohne entsprechende Wiederkäuvorgänge zu einer Übersäuerung des Pansens und das Tier erkrankt und wird sterben.

      Das Einspeicheln des Futterbreis ist wichtiger Bestandteil beim Wiederkäuprozess. Der Speichel eines Wiederkäuers ist allerdings komplett anders aufgebaut, als der Speichel eines Menschen oder eines Fleischfressers (wie Hund/Wolf/Fuchs/Katze etc.) Der Speichel hält mit seiner natürlich puffernden Wirkung den PH-Wert im Pansen stabil. Dies trägt dazu bei, dass der Pansen nicht übersäuert. Der normale PH-Wert eines Wiederkäuers liegt zwischen 5,8 – 7,2. Bei zu viel Kraftfuttermengen ohne entsprechende Rohfaserfütterung wird weniger wiedergekäut und durch die verminderte Speichelproduktion