S. N. Stone

Die Grauen Krieger


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      Als sie nach Berlin gekommen war, war sie eine junge erfolgreiche, aber farblose Person gewesen. Sie hatte nur für ihre Arbeit gelebt und war irgendwie einsam gewesen. Obwohl sie ziemlich jung war, hatte sie eine Menge erreicht, sich durch ihre harte Arbeit einen Namen gemacht. Spaß und Liebe waren auf der Strecke geblieben. Sie schaute ihr blasses Spiegelbild in dem schwarzen Computermonitor auf dem Tisch an. Sie hatte sich nach den Vorfällen optisch verändert, die Haare waren kürzer und hatten einen modernen Schnitt. Sie schminkte sich jetzt regelmäßig, nicht zu viel, aber es unterstrich ihr feines Gesicht. Sie trug nicht mehr nur die weiten Pullover und die praktischen Jeans mit Turnschuhen, sondern wagte es auch mal figurbetonte Sachen anzuziehen. Erlauben konnte sie es sich, sie war klein und zierlich. Natascha war irgendwie selbstsicherer geworden, hatte die Naivität und Unsicherheit nahezu abgelegt, nahezu weil sie doch immer wieder mal durchkam. Aber vor allem hatte sie ihre große Liebe Tom gefunden. War also alles vielleicht gut gewesen? Nein! Er hatte sie benutzt, sie manipuliert, ihr etwas vorgespielt und sie dann fallen lassen. Sie hasste ihn!

      Nataschas Nackenhaare stellten sich auf und sie blickte vom Monitor hoch, Caleb stand mit verschränkten Armen am Tisch. Tascha schluckte. „Wie lange stehst du schon hier?“ Er war lautlos gewesen, wie ein Geist und ihr wurde bewusst, wie unheimlich er war. Sie stand auf.

      „Ein paar Minuten“, antwortete er.

      Er war so arrogant! Damals, hatte sie ihn da auch schon als so arrogant und kalt empfunden?

      „Ich denke es wäre gut, wenn du mich begleitest.“

      Natascha war verwirrt. „Wohin?“

      „Ich habe ja schon gesagt, wir sind nicht mehr viele und es gibt auch nur noch acht Bewahrer. Ich werde mich mit einigen von ihnen treffen, willst du mit?“

      Sie schaute sich um. „Wo ist dein Kollege?“

      „Der hat etwas zu erledigen. Was ist nun?“ Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken noch mehr solcher Wesen zu begegnen, trotzdem würde sie mitgehen, das war klar.

      Caleb fühlte sich furchtbar. Er litt erschreckenderweise unter dem tot von Sarah. Ihre Beziehung zueinander war nicht einfach gewesen. Er hatte in der vergangenen Nacht überlegt, ob er sie geliebt hatte, für ihn war diese Frage nicht so leicht zu beantworten. Gefühle waren für ihn schwer zu definieren. Darla hatte er geliebt, die Frau, die er einst geheiratet hatte und die durch die Hand ihrer eigenen Familie getötet worden war und auch Magda, die er so schwer enttäuscht hatte. Danach war er zu der Erkenntnis gekommen, dass es leichter war, sich nicht mehr mit solchen Dingen zu beschäftigen. Er konnte Gefühle ein- und ausblenden, meist ließ er sie einfach nicht zu.

      Es war seltsam gewesen auf Natascha zu treffen, obwohl er gewusst hatte, dass er ihr hier begegnen würde. Da er spüren konnte, was sie fühlte und in ihre Seele schauen konnte, wusste er genau wie sehr sie ihn hasste. Gleichzeitig war da noch etwas … Menschen, er würde sie nie verstehen, aber umso leichter war es, sie zu beeinflussen und zu manipulieren.

      Er spürte, dass sie enttäuscht war, dass Kean nicht mit ihnen fahren würde. Sie hatte Angst ganz alleine mit ihm zu sein. Aber Kean hatte etwas Wichtiges zu erledigen. Er hatte eine menschliche Freundin in der Stadt, von der nur Cale etwas wusste. Nach der Ermordung von Sarah hatte er Angst um sie. Er wollte dafür sorgen, dass sie irgendwo hin fuhr wo sie hoffentlich in Sicherheit war, weit weg von ihm. Feste Beziehungen zu Menschen, feste Beziehungen überhaupt, waren nicht gut für einen Bewahrer, sie machten ihn angreifbar.

      Das Treffen der Bewahrer fand in einer Autolackiererei auf einem Weddinger Hinterhof statt. Drei von ihnen warteten dort auf ihre Ankunft. Den einen kannte Natascha, Damian, er war der Besitzer des Raven, ein Club in den Cale sie einmal mitgenommen hatte. Ein älterer Mann, er stellte sich ihr als Jakob vor, machte sie mit den anderen beiden bekannt.

      „Frau Schiernow nun lernen wir uns kennen. Sie müssen verstehen, dass diese Situation nicht einfach für uns ist. Normalerweise ist es unser oberstes Gebot unsere Existenz und Identität geheim zu halten, aber die Vorfälle zwingen uns dazu, die Hilfe der Menschen in Anspruch zu nehmen. Wie Sie vielleicht schon erfahren haben, gibt es nicht mehr allzu viele von uns Grauen Kriegern und irgendjemand ist dabei, die Anzahl weiter zu dezimieren. Da ihre Polizei in die Sache hineingeraten ist, hielten wir es für nötig in Kontakt mit ihnen zu treten, und da Sie von uns wissen und“, er schaute zu Caleb, „noch am Leben sind, obwohl Sie in unsere Welt eingedrungen sind, schien es sinnvoll Sie als Kontaktperson zu wählen.“

      Natascha war sehr wohl bewusst, dass sie es nur Caleb zu verdanken hatte, dass sie noch nicht tot war, nachdem sie von der Existenz der Anderen Wesen erfahren hatte und sich so sehr eingemischt hatte.

      „Uns als Bewahrer obliegt es die Krieger zu schützen und es gestaltet sich als sehr schwierig. Derjenige oder diejenigen ...“ Jakob hielt inne und wenige Sekunden danach ging die Tür zu der Werkstatt auf und eine weitere Person kam herein. Natascha kannte auch diesen Mann, es war Nathan, Calebs Freund. Er sah heruntergekommen aus, unrasiert, ungekämmt und auch die katholische Priesterkleidung änderte nichts an seinem ungepflegten Erscheinungsbild. Ein Hauch von Alkohol wehte ihr entgegen, als der Mann an ihr vorbeiging und sich neben die anderen stellte. Jakob sprach weiter: „Nun, derjenige oder diejenigen die die Grauen Krieger abschlachten müssen sehr mächtig sein. Sie sind in der Lage uns Andere Wesen trotz unserer Fähigkeiten zu ermorden. Es scheint so, als würden sie auch nicht vor uns Bewahrern haltmachen. Ich denke der tot von Sarah“, Nathan atmete hörbar laut aus, „war ein Kollateralschaden, sie war dort, wo eigentlich einer von uns hätte sein sollen.“

      „Das hat mir Caleb bereits erzählt.“ In ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme dünn und schwach, sie fühlte sich nicht wohl.

      Jakob nickte. „Sie wissen eine ganze Menge, mehr als die meisten Menschen in diesen Zeiten und Sie werden sicher noch mehr erfahre. Ich bitte Sie, versuchen Sie zu verstehen, was wir sind und was wir tun. Helfen Sie uns, damit wird auch ihnen geholfen. Unsere Aufgabe ist auch für die Menschheit von großer Bedeutung. Gibt es uns nicht mehr, wird ein dunkles Zeitalter hereinbrechen. Und bitte schweigen Sie so wie Sie es bisher getan haben. Die meisten von uns Leben ein ganz normales Leben. Einige tun es nicht und diese unter Kontrolle zu halten ist unsere Aufgabe.“

      „Ich habe bisher nichts gesagt und werde bemüht sein es weiterhin nicht zu tun.“ Plötzlich war die Angst verschwunden. Natascha konnte nicht sagen wieso, aber dieser Mann, der vor ihr stand und sie durch die dicken Brillengläser anschaute, hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Jakob nickte. „Wir kommen nicht mehr so häufig zusammen, es ist zu gefährlich. Halten Sie sich an Gabriel“, er schaute zu Caleb herüber, „er wird auf Sie aufpassen und helfen Sie uns als Mittlerin.“ Natascha nickte.

      Das Treffen war bald beendet. Die Bewahrer hatten keine Spur, es war, als würde eine undurchdringliche Mauer von diesen Mördern ausgehen. Tascha rief sich ins Gedächtnis, dass auch die Bewahrer und die Grauen Krieger erbarmungslose Mörder waren. Auch, wenn es dafür einen guten Grund gab, so war das alles doch sehr beängstigend für sie.

      „Wer ist Gabriel?“ Caleb und Natascha liefen gerade über den Hof.

      „Ich, es ist einer meiner alten Namen und Jakob kennt mich, seit dem ich Gabriel war, darum benutzt er ihn manchmal.“

      Sie liefen schweigend ein paar Schritte. „Wie viele Namen hattest du? “

      „Drei.“

      Bedeutete das, dass er dreimal gestorben war?

      „Nein!“

      Die Antwort überraschte sie, sie hatte ihren Gedanken nicht ausgesprochen. „Hör auf damit! Wie machst du das? Ich dachte, du könntest nur Gefühle von anderen empfinden.“

      „Kann ich auch nur, aber Gefühle sind beinahe genauso verräterisch wie Gedanken.“

      Natascha musste schlucken, das konnte ja heiter werden.

      Nathan, der nach ihnen die Lackiererei verlassen hatte, hatte sie nun eingeholt und drängelte sich vorbei. Er rempelte Caleb absichtlich und äußerst unsanft an.

      „Du hast sie auf dem Gewissen, das