Peter Padberg

Tarris


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blickte zunehmend sorgenvoll während des Berichtes von Zola. Er hatte sie als eine sehr weise und überlegte Frau kennengelernt und zweifelt ihre Einschätzung der Lage nicht an. „Im Tarutos werdet Ihr bestimmt den Schutz erhalten, den Ihr sucht und Euch ein wenig erholen können. Ich selbst bin auch auf dem Weg dorthin und ich denke, wir sollten zusammen bis dort reisen.“ Er wandte sich an Zola. „Ich teile Eure Sorgen hinsichtlich der Lage in Napoda, aber nicht nur dort gibt es Probleme. Ich bin auf dem Weg zum Rat, um über die Lage in ganz Tarris zu sprechen … und um etwas zu bitten. Wir beide können uns auf dem Weg bis zum Tarutos ausführlich darüber unterhalten. Wir sollten nun die trüben Gedanken bis morgen zur Seite schieben. Lasst uns etwas essen und trinken.“ Die Stimmung wurde besser während des Essens, konnte jedoch nicht als wirklich gut bezeichnet werden. Alle gingen nachdenklich zu Bett.

      Sie benötigten fünf weitere Tage, bis sie den Tarutos deutlich über dem Flimmern des Wüstensandes erkennen konnten. Zusammen mit der Karawane benötigte Gandaros deutlich länger, als wenn er alleine geritten wäre, jedoch konnte er die Gelegenheit nutzen und viele Einzelheiten von dem erfahren, was in den letzten zwei Jahren in Napoda passiert war. Diese Informationen würden sich noch als hilfreich erweisen. Auch war die Reise durch die eintönige gelbe Sandwüste, die nur in größeren Abständen durch kleine Ansammlungen von säulenartigen, dunkelgründen Kakteen mit violetten Blüten unterbrochen wurde, mit Begleitern wesentlich angenehmer.

      Der Tarutos war als erloschener Vulkan ein fast perfekter Kegel, der nur an seiner Spitze abgeflacht war. Er diente dem Bund der Erfahrenen seit hunderten von Jahren als Heimat. Magae und Gelehrte aller Völker von Tarris trafen sich hier und versuchten gemeinsam, dem Wohl von Tarris zu dienen. Der schwarze Stein, aus dem der Tarutos bestand, hob sich in starkem Kontrast von dem gelben Wüstensand und dem blauen Himmel ab. Im unteren Drittel konnten die Ankömmlinge den riesigen, höhlenartigen Durchgang zur Stadt im Inneren des Berges erahnen, der im tiefen Schatten lag. Eine hohe und massive Mauer, in der sich zwei Tore befanden, durchzog den Eingang von Westen nach Osten. Die Mauer war für Verteidigungszwecke durchaus geeignet und befand sich etwas zurückversetzt in dem riesigen Tunnel, so dass sich auf den Wehrgängen der Mauer befindende Verteidiger nicht vor einem Angriff vom oberen Tunnelrand fürchten mussten. Nachdem Zola und Gandaros kurz mit dem Anführer der kleinen Wachmannschaft gesprochen hatte, wurden beide Tore für die Karawane geöffnet. Den Ankömmlingen bot sich ein faszinierendes Bild. Der Tunnel wurde von einem Licht erleuchtet, das teils in Blau- und teils in Rottönen direkt aus der glatten, felsigen Wand zu kommen schien. An den Rändern des Durchganges standen langgestreckte Gebäude, die als Kasernen für Soldaten angelegt worden, jedoch größten Teils nicht besetzt waren. Es gab Trainingsplätze für Schwertkämpfer, Bogenschützen und auch Magae zwischen den Kasernengebäuden und an manchen Stellen hörten die Mitglieder der Karawane, wie Stahl auf Stahl schlug oder wie sich magische Blitze donnernd entluden. Der Tunnel ersteckte sich hunderte von Schritten durch die Wand des Berges, bevor sie einen Blick auf das von Sonnenlicht durchflutete Innere des Tarutos werfen konnten.

      Dass es so hell war, lag daran, dass in die leicht überhängenden, inneren Wände des Berges große spiegelnde Fläche eingelassen waren, die über ein ausgeklügeltes System das Licht von Sol in jeden Winkel des Bergesinneren reflektierten. Das Weiterkommen der Gruppe stoppte, da alle erstaunt und begeistert das Bergesinnere musterten. In der Mitte der kreisrunden Fläche des Vulkanbodens befand sich ein sehr hoher Wehrturm, der den Rand des Vulkans leicht überragte. Zwischen Turm und Rand des Schlotes betrug der Abstand fast 300 Schritte in jede Richtung. Der Turm selbst hatte ebenfalls einen Durchmesser von 300 Schritten – es war ein gewaltiges Gebäude! Aus den inneren Wänden des Berges waren direkt aus dem Stein Häuser, Hallen, Plätze, Säulen und große Tempel herausgearbeitet. Da der Berg nach oben hin enger wurde, befanden sich in den unteren Etagen größere Hallen und Plätze und im oberen Teil eher kleinere Wohnkavernen. Auf der dem Eingang gegenüber liegenden Seite entsprang in fast 400 Schritten Höhe ein größerer Bach dem Fels und stürzte in einen kleinen See. In dem feinen Wassernebel, der dabei entstand, schimmerte ein tagsüber nicht verblassender Regenbogen. Durch die höhere Luftfeuchtigkeit, die von dem Wasserfall erzeugt wurde, wuchsen überall nicht nur Palmen und Kakteen, sondern Pflanzen die aus dem tiefsten Inneren eines Regenwaldes stammen konnten.

      An der Seite des Turmes in der Mitte des Vulkans öffnete sich eine kleine Tür, aus der ein gedrungener Mann trat. Er trug Sandalen, einen Lendenschurz und eine rote Kette, die sich stark von seiner hellen Haut abzeichnete. Er stütze sich auf einen weißen Stab, der am oberen Ende, das ihn um mehrere Fuß überragte, blau glänzte. Er kam nur langsam näher und es dauerte eine ganze Weile, bis er die Ankömmlinge erreichte, die nach wie vor fasziniert das Innere des Berges bestaunten. Als er sie erreicht hatte, nickte er zuerst Zola und Gandaros zu und wandte sich dann an die beiden Anführer Anayu und Angabluu, die ihn um drei Köpfe überragten. „Herzlich willkommen im Tarutos beim Bund der Erfahrenen und Gott sei mit Euch! Ich bin Kilalurak und bin der erste Sekretär hier im Tarutos. Was verschafft uns die Ehre Eures Besuches?“ Anayu und Angabluu blickten erstaunt auf ihn hinunter, da sie zum ersten Mal in ihrem Leben einem Eskimaten gegenüberstanden. Angabluu erzählte kurz ihre Geschichte; wer sie waren und warum sie zum Tarutos gezogen waren. Kilalurak nickte wieder, überlegte kurz und sprach dann mit überraschend lauter Stimme an die ganze Gruppe von Ankömmlingen. „Eure Anführer haben mir berichtet, warum Ihr hierhergezogen seid. Selbstverständlich seid Ihr willkommen, der Bund der Erfahrenen wird niemandem, der sich in Not befindet, seine Hilfe versagen. Ich denke, es ist das Beste, wenn Ihr erst einmal hinter dem Turm am See Euer Lager aufschlagt. Wir werden dann beraten, wie wir Euch auf zur Zeit nicht bewohnte Häuser und Kasernen verteilen können, damit jeder von Euch erst einmal ein Dach über dem Kopf hat – auch wenn es hier nicht schneit oder regnet“, fügte er mit einem Blick nach oben hinzu. „Ich schicke Euch jemanden, der Euch den Lagerplatz zeigt“, sagte er und fast im gleichen Moment öffnete sich erneut die kleine Seitentür des Turmes und eine junge Frau näherte sich der Gruppe.

      Kilalurak wandte sich nun an Zola und Gandaros, wobei er den sonst üblichen, sehr höflichen Ton außer Acht ließ. Er freute sich sehr, sie zu sehen. „Alte Freunde, schön, dass Ihr Euch noch einmal hier sehen lasst – und dann auch noch beide auf einmal! Kommt mit. Lasst uns in den Turm gehen und uns ein bisschen über alte Zeiten unterhalten. Das ist ja nun wirklich eine Überraschung! Und mit diesen Worten umarmte er erst Zola und schüttelte dann heftig Gandaros die Hand. Zum Abschluss wollte er Gandaros noch auf die Schultern klopfen, erreichte jedoch nur seinen Rücken, woraufhin Gandaros schmerzhaft das Gesicht verzog. Die junge Frau erklärte bereits der Karawane, wo sie sie hinbringen würde.

      Der Saal des Hohen Rates befand sich direkt unter der Wehrplattform des Turmes und es war der einzige Raum der Stadt, von dem aus man in die Wüste schauen konnte. Er befand sich ein wenig höher als der obere Rand des Vulkans und Gandaros bot sich ein fantastischer Blick, der von nichts begrenzt wurde. Im Süden konnte er in weiter Ferne das Meer und den dicht bewachsenen, grünen Küstenstreifen erahnen, im Norden, Westen und Osten sah er ein faszinierendes Spiel von Licht und Schatten, dass durch den untergehenden Sol und die leicht hügelige Wüstenlandschaft verursacht wurde. Nachdem sie sich während eines kurzen Imbisses unterhalten hatten, bat er Kilalurak, schnellstmöglich den Rat einzuberufen. Abgesehen von Magras und Karameen, die in Wogende Ebene und in Hornstadt weilten, waren einschließlich ihm selbst und Zola alle Mitglieder des Rates versammelt. In der Mitte des Raumes stand ein großer runder Tisch, an dem auch 50 Personen Platz gefunden hätten. Der Tisch bestand aus einem zwei Schritte breitem Reifen aus Stein, der eine Landkarte von Tarris umfasste, die kunstvoll dreidimensional aus Holz geschnitzt worden war. Jeder einzelne Berg, jede Bucht, jeder Fluss, jede Einzelheit war aus dem Holz herausgearbeitet worden. Wälder, Wüsten, Felder und Wiesen waren farblich dargestellt. Es wäre eine perfekte Abbildung von Tarris gewesen, wenn nicht im Laufe der Zeit Festungen oder Dörfer verschwunden und Städte gewachsen wären.

      Während Gandaros noch das Farbenspiel der Wüste betrachtete, trafen die anderen Ratsmitglieder in dem Raum ein und setzten sich an die für sie vorgesehenen Plätze des Tisches. Insgesamt gab es zurzeit dreizehn Mitglieder im hohen Rat der Erfahrenen, die aus allen Teilen von Tarris stammten. Offizieller Anführer des Rates war Gandaros, der aber selten im Tarutos zugegen war. Daher lag die Verantwortung für schwierige Entscheidungen häufig bei Kilalurak,