Peter Padberg

Tarris


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Kreaturen, für die wir Homuae nichts weiter als Nahrung sind. Sie sind schlau und man kann sogar mit ihnen sprechen. Jedoch denken sie ganz anders, als wir es tun. Sie sind nicht böse – nur anders. Vor langer Zeit habe ich mich mit ihrer Königin unterhalten. Es war in einem sehr kalten Winter. Sie vertragen die Kälte nicht und werden dann unbeweglich. Zu diesen Zeiten kann man es wagen, auch ohne Schutz zu ihnen zu gehen. Die Karruum sind während des Wechsels vom alten auf das neue Zeitalter von unserem Nachbarplaneten Neska nach Tarris gekommen. Dort lebten sie, als Sol wuchs und Neska unbewohnbar machte. Sie kommen in den letzten Jahren immer häufiger aus ihren Städten unter der Erde hervor und gehen auf Nahrungssuche.“ Fanir sah ihn an. „Woher wisst Ihr dies alles? Warum hat mein Vater mir nicht über Euch und all diese Dinge erzählt?“ „Er hätte Dir dies alles und noch viel mehr nach Deinem fünfzehnten Geburtstag erzählt. Auch ich würde Dir dies alles nicht erzählen, wenn mich nicht sehr außergewöhnliche Dinge dazu zwingen würden.“ Gandaros dachte wieder einen Moment nach.

      „Lass uns einen Spaziergang zum Horn machen. Ich habe Dir noch einiges mehr zu erzählen“. Sie machten sich auf den Weg und gingen schweigsam nebeneinander her. Gandaros brach schließlich das Schweigen. „Du hast Dich gestern während des Kampfes außergewöhnlich schnell bewegt. Ich habe bereits gestern vermutet, dass Du Magie eingesetzt hast. Allerdings konnte ich die typischen Veränderungen in Deiner Umgebung nicht spüren. Dies ist ebenso außergewöhnlich wie der frühe Zeitpunkt, zu dem sich die Magie in Deinem Leben bemerkbar gemacht hat. Du musst sehr vorsichtig damit umgehen. Magie ist wie ein Lebewesen, das sein Leben beginnt, wenn es ein geeignetes Behältnis findet – zum Beispiel einen Homuae wie Dich. Je länger die Magie Partner eines Homuae ist und je häufiger sie eingesetzt wird, desto heftiger versucht sie, die Kontrolle über das Lebewesen zu erlangen, in dem sie wohnt. Es wird im Laufe der Zeit immer schwieriger, sie zu kontrollieren. Dies endet in einem Machtkampf, der mehrere Tage dauern kann. Dabei kann die Magie verlöschen oder das Lebewesen sterben. Für das Lebewesen ist der Kampf in jedem Fall überaus schmerzhaft und es braucht Wochen oder Monate, um sich davon zu erholen. Siegt jedoch der Homuae und bezwingt die Magie, wird er sie lange Zeit in seinem Sinne einsetzen können – sozusagen als treuen und verlässlichen Gefährten. So erging es mir vor vielen, vielen Jahren. Es geschieht jedoch nur sehr selten. Dein Vorfahre Farnos und ich waren die einzigen in den ersten 50 Sonnenumläufen des neuen Zeitalters, die die Magie in diesem Kampf überwanden! Der weitaus größte Teil der magisch begabten Lebewesen, die ich im Laufe meines Lebens kennengelernt habe, musste jedoch den Preis zahlen. Dieser ist hoch und schrecklich. Bemächtigt sich die Magie des Lebewesens, hört dieses nahezu auf zu denken und verwandelt sich in ein Monster. Es lebt davon, andere Lebewesen zu jagen und zu fressen. Dafür setzt es die wenigen ihm noch gebliebenen magischen Fähigkeiten ein. Es verwandelt sich im Laufe der Zeit auch körperlich. Einem Homuae wachsen Klauen und der Kopf wird deutlich kantiger und größer; er wird zu einem sogenannten Wrokork. Die Kraft eines solchen Lebewesens nimmt erheblich zu, da alle seine Muskeln stark wachsen. Für einen veränderten Homuae stellt es keine Schwierigkeit dar, einen großen Baum auszureißen! Im Gegenzug nehmen Reaktionen und Schnelligkeit ab. Zusammenfassend können solche Wesen nur bedauert werden. Nach einiger Zeit verschwinden sie in einer Art Zwischenwelt, aus der sie mit Magie zurückgeholt werden können. Passiert dies, werden sie deutlich gefährlicher, da sie dann ihre ursprüngliche Beweglichkeit und Schnelligkeit zurückerlangen.

       Jedoch gibt es noch eine weitere Möglichkeit: Ich habe bereits drei Lebewesen kennen gelernt, zwei Homuae und eine Jorka, deren Verstand sich nach der Niederlage gegen die Magie nach einiger Zeit noch einmal gewehrt und die Magie in einem zweiten Versuch besiegt hat. Auch wenn bei allen dreien nur wenig Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Kampf lag, hatte sich ihr Geist in schrecklicher Weise verändert. Sie waren in jeder Hinsicht böse geworden und strebten unaufhaltsam nach Macht. Die enorme Verknüpfung mit der Magie führt bei solchen Wesen zu außergewöhnlichen und mächtigen magischen Fähigkeiten. Aber auch ihre körperlichen Fähigkeiten sind denen normaler Lebewesen deutlich überlegen. Besonders gefährlich ist ihr Wunsch, Wege zu anderen Welten zu öffnen, um dunkler Magie Zugang zu unserer Welt zu verschaffen. Bisher ist es mir gelungen, zwei der drei in die Abgründe zu verbannen. Einer der beiden veränderten Homuae lebt jedoch im Nordosten und hat dort bereits ein gewaltiges Imperium geschaffen.“

      Fanir und Gandaros hatten bereits das Dorf hinter sich gelassen und befanden sich auf dem Weg zur Plattform unterhalb des Gipfels des Horns. Gandaros blickte hinunter auf Hornstadt und erinnerte sich an die Pracht und Größe, die diesen Ort vor vielen, vielen Jahren ausgezeichnet hatte. Bevor Gandaros das Gespräch fortsetzte, überlegte er, wie er Fanir erklären konnte, was dieser tun müsse, ohne ihn zu verängstigen. Schließlich beschloss er, heute nur das Nötigste zu erklären – auch dies würde Fanir sehr beunruhigen.

      „In Deiner Familie gab es einst ein Schwert, das von Vater zu Sohn oder Tochter weitergeben wurde. Es wurde in früheren Zeiten Sternenstaub genannt. Seine Bezeichnung beruht darauf, dass die zerstörerische Kraft der Schmiedekunst des alten Zeitalters mit der Magie des Steinbrockens, der unsere Sonne zwar nicht zerstörte, aber veränderte, kombiniert wurde. Dieses Schwert ist einzigartig und eines der kostbarsten Artefakte, die es heute gibt. Hat Dein Vater es Dir gegeben? Sein Träger kann seine eigene Magie mit der des Schwertes verbinden und es so zu einer wirklichen Macht werden lassen!“ Fanir zögerte mit seiner Antwort und überlegte, ob er auch dieses Geheimnis preisgeben solle. Außer seiner Mutter wusste kein lebendes Wesen, dass er dieses Schwert besaß und es gut versteckt hatte. Es sah anders aus als andere Schwerter und es war deutlich ausgewogener als die in Hornstadt üblichen Waffen. Daher hatte er die Kopien gefertigt. Sternenstaub konnte im Vergleich zu anderen Schwertern nicht mit brutaler Gewalt, dafür aber mit hervorragender Präzision und unglaublicher Geschwindigkeit geführt werden. Es war in einem sehr guten Zustand und hatte keine Gebrauchsspuren. Die Klinge war vom Heft bis zur Spitze leicht gebogen, war an nur einer Seite geschliffen und schien von innen heraus rot zu leuchten. Oberhalb des Griffes, der mit einem Fanir unbekannten, fast weichen Metall überzogen war, das sich der Hand anpasste, befand sich ein roter Edelstein, der in die Klinge eingelassen worden war. Er erweckte den Eindruck, mit der Klinge verwachsen zu sein. Wie Wurzeln einer Pflanze zogen sich von dem Edelstein rote Fäden durch die Klinge. Die Klinge selbst bestand aus einem ungewöhnlichen Metall. Es sah aus, als wenn tausende von Schichten dünner, verschiedener Metallsorten gefaltet und anschließend geschliffen worden wären. Fanir zögerte weiter mit seiner Antwort.

      Während diese Zögerns beobachtete ihn Gandaros sehr genau und je länger Fanirs Zögern dauerte, desto mehr breitete sich ein glückliches Lächeln auf Gandaros‘ Gesicht aus. „Ich sehe, dass sich das Schwert in Deinem Besitz befindet! Dies ist eine überaus glückliche Nachricht! Meine Forschungen haben mir gezeigt, dass dieses Schwert eine der sehr wenigen Möglichkeiten sein wird, den überlebenden der drei dunklen Magier daran zu hindern, unsere Welt den Wesen der dunklen Magie zu öffnen! Aber hab‘ keine Angst! Die Macht Dakarons, dies ist der Name des dunklen Magiers, ist noch nicht stark genug, die Pforten zu öffnen. Er wird ohne diese Schwert noch lange Zeit benötigen, um das Wissen zu erlangen, die Pforten zu öffnen. Jedoch wird es ihm schnell gelingen, falls er in den Besitz des Schwertes kommen sollte. Daher wird es wichtig sein, dass Du es weiterhin versteckt hältst und niemandem – absolut niemandem – von ihm erzählst. Wirst Du dies tun?“ Fanir runzelte die Stirn. Er hatte das Schwert immer versteckt gehalten und es so gut wir noch nie benutzt. „Warum sollte ich? Es ist ein gutes Schwert – wesentlich besser als die beiden Kopien, die ich von ihm gefertigt habe.“ Gandaros dachte darüber nach, welche Folgen ein unbedachter Einsatz des Schwertes für Tarris haben könnte. Auch dachte er noch einmal darüber nach, in wie weit er Fanir heute schon ins Vertrauen ziehen könne. Schweren Herzens fuhr er fort: „Außer Deinem Schwert gibt es drei weitere Artefakte, die in der Lage sind, ein Tor zu einer anderen Welt zu öffnen – oder auch für immer zu verschließen. Dakaron, der selbst in einer bestimmten Art und Weise Teil der dunklen Magie ist, wird versuchen, ein solches Tor zu öffnen. Die dort vorhandenen magischen Geschöpfe werden nach Tarris strömen und ihm helfen, die bekannte Welt in einem gigantischen Krieg zu unterwerfen. Eine dunkle Zeit würde dann anbrechen, in der Dakaron Herrscher über Leben und Tod und seine Verbündeten eine schreckliche Geißel sein werden. Alle Geschöpfe unserer Welt müssten ihm gehorchen und dienen – oder sterben!