Peter Padberg

Tarris


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kommende Homuae und Wagen sehen, die sich sehr langsam in seine Richtung bewegten – es war eine Karawane. Die Wagen hatten Räder mit sehr breiten Laufflächen, damit sie nicht in den Wüstensand einsanken. Diese verursachten das leise Geräusch, das ihn geweckt hatte. Die Homuae der Karawane sahen weder kriegerisch noch wie Sklavenhändler aus, so dass er sein Feuer wieder entzündete, vor das Gebäude trat und den Ankömmlingen zuwinkte. Dies war eine gute Gelegenheit, um Neuigkeiten aus den südlichen Gebieten zu erfahren.

      Zwei Berittene lösten sich aus der Karawane und näherten sich in langsamen Trap Gandaros. Beide trugen Kleidung, wie sie in den Städten des Südens üblich war: Leichte Schuhe, weite bunte Hosen, die mit vielen Ziernähten versehen waren sowie eine Weste, in die an vielen Stellen Metalle eingearbeitet waren, die tagsüber in Sonne glitzerten. Alles stand sogar jetzt, wo es dunkel war, in einem starken Kontrast zu der fast schwarzen Haut der beiden Homuae. Es war keineswegs Kleidung, die für eine lange Reise oder einen Ritt durch die Wüste geeignet war. Gandaros begrüßte sie nicht in der „gemeinen Zunge“, die überall auf Tarris gesprochen wurde, sondern in der Sprache der Städte des Südens. „Seid willkommen und Gott sei mit Euch! Es ist schon spät und hier ist ein guter und sicherer Platz zum Lagern. Wollt Ihr Euch zu mir setzten und Euch ein wenig mit mir unterhalten? Ich bin Gandaros vom Rat der Erfahrenen und Ihr seid mir herzlich willkommen!“ Die beiden wechselten einen Blick und schauten dann Gandaros ehrfurchtsvoll an. Offensichtlich wussten sie, wer er war und hatten schon die eine oder andere Geschichte über ihn gehört. „Gott sei auch mit Euch und herzlichen Dank für Euer Angebot hier rasten zu dürfen. Wir werden es gerne annehmen – wann haben wie schon die Gelegenheit, mit so einem berühmten Magae wie Euch sprechen zu dürfen. Unsere Namen lauten Anayu und Angabluu und wir wollen diese Karawane zum Tarutos führen. Aber wenn Ihr erlaubt, erzählen wir Euch später mehr. Wir müssen den Homuae der Karawane mitteilen, dass wir hier sicher rasten können und Ihr uns vor den Geistern der Toten Stadt beschützen werdet. Die Rast wird uns gut tun, da wir schon lange ohne Pause reisen. Ohne Euch hätten wie es nicht gewagt, an diesem Ort zu verweilen.“

      Kurz darauf hatten mehr als 300 Homuae damit begonnen, ihr Lager vor der Halle mit den milchigen Glasscheiben aufzuschlagen. Sie stellten Ihre Wagen quer über die drei Straßen, die sich vor dem Gebäude trafen, wodurch das Lager sich ein wenig geschützt fühlen konnte und die zahlreichen Pferde, Esel und Kamele nicht fortlaufen konnten. Nachdem bereits die ersten Lagerfeuer brannten, kehrten Anayu und Angabluu zusammen mit einigen Mitgliedern der Karawane zu Gandaros zurück, der sie am Eingang erneut willkommen hieß. Sie brachten Feuerholz, Speisen und Getränke mit. Gandaros war hoch erfreut, als er sah, dass sie ein kleines Weinfass mitgebracht hatten und schaute sich die Neuankömmlinge an. Es waren ein alter Mann und eine nicht weniger alte Frau. Ein freudiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er erkannte, dass die alte Frau Zola war, ein ehemaliges Mitglied des Rates der Erfahrenen. Vor vielen Jahren hatte sie den Tarutos verlassen und war in ihre Heimat Napoda zurückgekehrt, um dort dem Herrscher im Kampf gegen die Piraten zu unterstützen. Sofort ging er auf sie zu und nahm sie in seine Arme.

      „Drückt nicht zu fest Gandaros, ich bin kein junges Mädchen mehr!“ sagte Zola, ebenfalls mit einem freudigen Lächeln. Anayu, Angabluu und der dritte Homuae machten einen überaus verblüfften Gesichtsausdruck, als sie sahen, dass die beiden sich gut kannten. Anayu ergriff das Wort. „Lasst uns ein größeres Feuer und es uns gemütlich machen. Dann können wir uns etwas besser kennen lernen und ein wenig essen und trinken.“ Nachdem das Feuer etwas höher flackerte und es sich alle im Kreis darum bequem gemacht hatten, sah Gandaros den Zeitpunkt gekommen, seine Neugierde zu befriedigen. „Nun verratet mir, was eine Karawane mitten in der Wüste in der Toten Stadt zu suchen hat. Ich bin hoch erfreut, dass ich hier Gesellschaft habe – aber was tut Ihr hier?“ Unerwarteter Weise antwortete nicht einer der beiden Anführer, sondern Zola, die sich aber zuerst an Anayu und Angabluu wandte. „Bitte verzeiht mir, Anayu und Angabluu, dass ich das Wort ergreife. Aber da Gandaros ein alter Bekannter von mir ist, denke ich, dass ich ihm das berichten kann was er wissen muss. Und vor allem kann ich ihm erklären, was hier im Süden passiert ist, seit er das letzte Mal in Napoda war.“ Ohne eine Antwort oder ein Zeichen des Einverständnisses der beiden abzuwarten, sprach sie weiter.

      „Seit Ihr das letzte Mal bei uns in Napoda gewesen seid, Ser Gandaros, sind nun fast zwei Jahre vergangen und seitdem haben sich einige Dinge geändert. Ein oder zwei Monate, nachdem Ihr uns verlassen hattet, es war im Frühjahr 3215, bat einer unserer grausamsten Feinde, der Piratenfürst Geaulli Drake, um ein Gespräch mit König Geminiano. Nachdem König Geminiano zugestimmt und dem Piratenfürsten freies Geleit zugesagt hatte, segelte er mit fünf Schiffen in unseren Hafen und ging dort vor Anker. Zwei der Schiffe waren riesige, neuartige Galeeren, über die die Piraten bisher nicht verfügt hatten. Sie waren mit großen Rammspornen ausgestattet, die aus Metall oder mit Metall überzogen waren und die bedrohlich im Wasser glitzerten. Es war offensichtlich, dass er mit diesen neuen und gefährlichen Schiffen seinen Verhandlungsstandpunkt stärken wollte. Neben König Geminiano nahmen auf unserer Seite der ganze Beraterstab und auch sein Sohn Gannio, den Ihr gut kennt, an dem Treffen teil. Geaulli Drake brachte drei seiner Kapitäne mit, die genauso wie er selbst schwer bewaffnet kamen. Geaulli Drake erklärte, dass er sich mit seinen Piratenbrüdern weiter im Osten verbündet habe und er vom Herrscher des Ostens, dem Großherzog Dakaron, genauso wie viele andere Piratenfürstentümer der gesamten Südküste Tarris‘, Kaperbriefe erhalten und Unterstützung zugesagt bekommen hätten. Er drohte offen, dass er in Zukunft nicht nur die Schiffe von Napoda und kleine Dörfer angreifen, sondern auch gegen Napoda selbst vorgehen würde. Dies könne nur verhindert werden, wenn Geminiano sich bereit erklären würde, Zahlungen für die Sicherheit seines Volkes zu leisten. Eine solche Dreistigkeit hatte keiner der Ratsmitglieder erwartet und so herrschte bedrücktes Schweigen in dem Beratungsraum, bis Gannio das Wort ergriff. Für ihn in eher ruhiger Weise – Ihr kennt ihn ja – teilte er den Piraten mit, dass Napoda sich keinesfalls von Piraten erpressen lassen wolle. Er fügte auch hinzu, dass Drohungen das Miteinander zwischen Piraten und dem freien Napoda wohl nicht weiterbringen würden und bat die Piraten, unverzüglich die Stadt zu verlassen. Nachdem keines der Ratsmitglieder etwas hinzufügte, beschimpfte einer der Piratenkapitäne den Prinzen, wie er als kleines Kind es wagen könne, sie der Stadt zu verweisen. Gannio lächelte und wiederholte seine Aufforderung an die Piraten, die Stadt zu verlassen. Daraufhin zog der Kapitän seinen Degen, stand auf und wollte auf Gannio losgehen. Die Wächter reagierten und durchbohrten den Kapitän mit Pfeilen. Ohne ein weiteres Wort trugen die anderen Piraten den Kapitän aus der Halle zu ihren Schiffen. Sie hinterließen eine rote Blutspur auf dem hellen Marmorboden der Palasträume. Es war absehbar, dass es keine weiteren Verhandlungen geben würde.

      Der erste Angriff erfolgte zwei Monate später. Die Piraten griffen mit fast zwanzig Schiffen an, konnten jedoch unter großen Verlusten von unserer Flotte gestoppt werden. Die neuen Galeeren versenkten einige unserer Schiffe und viele Soldaten starben. Nach diesem Angriff gab Geminiano plötzlich die Schuld seinem Sohn, da er bei dem Treffen mit den Piraten diese erzürnt hatte – eine dumme Anschuldigung – und ließ ihn unter Hausarrest stellen. Seit dieser Zeit hat er seine Gemächer nicht mehr verlassen. König Geminiano scheint nicht nur nicht mehr einschätzen zu können, was sinnvoll und angebracht ist, sondern wird zunehmend wahnsinnig. Als seine Berater ihn davon überzeugen wollten, dass Gannio nicht für die Angriffe der Piraten verantwortlich gemacht werden könne, ließ er sie alle vor der Stadt aufhängen. Sie hängen noch immer dort, wenn auch die Krähen nicht mehr viel von ihnen übrig gelassen haben. Er hat die Flotte vor Napoda zusammengezogen, so dass die Dörfer in Richtung Osten schutzlos den Piraten ausgeliefert sind. Da er beschädigte Schiffe nicht mehr reparieren lässt, werden es mit jedem Angriff der Piraten weniger. Ich befürchte, es verbleiben nur wenige Monate Zeit, bis die Piraten Napoda plündern werden! Die Stimmung in der Stadt ist fast schon so schlecht wie die in den Dörfern Richtung Osten. Die Homuae, die mit mir unterwegs sind, stammen aus drei Dörfern, die sich weiter im Osten befinden. Sie konnten die andauernden Angriffe der Piraten nicht mehr ertragen und wollten in Napoda Schutz suchen. Geminiano hat ihnen aber den Zutritt zur Stadt versagt. Da sprach dann auch ich mit ihm, leider ebenfalls ohne Erfolg. Er sagte mir, ich solle mich zur Hölle scheren und die Leute aus den Dörfern gleich mitnehmen. Dies tat ich und wir sind nun auf dem Weg zum Tarutos, um dort um Schutz zu bitten. In Napoda gibt es nun