Peter Padberg

Tarris


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Prinz Gannio. Aber das, was wir von Euch wollen – oder besser gesagt erwarten – hat nichts mit dem zu tun, was Ihr Euch vorstellen könnt“, antwortet Gandaros. Gannio erkannte die Stimme von Gandaros sofort, der ihn über so lange Zeit in den magischen Fähigkeiten unterrichtet hatte und für ihn mehr ein Vater geworden war, als König Geminiano es jemals gewesen war. Der Prinz drehte sich auf der Stelle um, rannte auf Gandaros zu und lag ihm Sekundenbruchteile später in den Armen. „Ser Gandaros, was tut Ihr hier? Was für eine freudige Überraschung . Wie lange bleibt Ihr? Könnt Ihr mir helfen?“ Obwohl Gannio in den letzten zwei Jahren zu einem stattlichen, jungen Mann herangewachsen war, freute er sich wie ein kleines Kind über das Wiedersehen. Tränen rannen über seine Wangen. „Auch ich freue mich sehr, Euch wiederzusehen, mein Prinz. Ich habe gehört, dass Ihr eine schwere Zeit seit meiner Abreise gehabt habt, aber diese Zeit endet heute. Auch wenn die Zukunft nicht weniger schwierig sein wird“, antwortete Gandaros, während er den Prinzen fest in seine Arme schloss. „Wir haben nicht viel Zeit und ich muss Euch einiges erklären. Wo können wir ein wenig reden?“ „Lasst uns in mein Studierzimmer gehen. Dort gibt es einen Tisch für Besprechungen, der groß genug für uns vier ist und außerdem werde ich Euch dort ein Glas Wein anbieten können“.

      Das Studierzimmer, das sich direkt über dem Raum der Wachen befand, machte seinem Namen alle Ehre. Neben den Bücherregalen und Lesepulten verfügte es über ein kleines Labor, in dem hunderte von Pflanzen und kleinen Phiolen, aber auch Destilliergeräte und komplizierte Systeme und Gerätschaften zu finden waren. Sie setzten sich an einen größeren, runden Tisch, der über und über mit offenen Büchern bedeckt war. Gandaros warf einen Blick auf die Bücher und stellte überaus erfreut fest, dass Gannio in seinem Gefängnis nicht untätig gewesen war.

      Gandaros kam ohne Umschweife zur Sache. „Wie Ihr spätestens vorhin bei dem Blick aus Eurem Fenster gesehen habt, gibt es zurzeit Angriffe auf Napoda. Euer Vater hat bisher kaum etwas gegen die Angriffe unternommen und hatte dies auch nicht vor. Er ist aus irgendeinem Grund vollkommen verzweifelt und glaubt nicht daran, dass Napoda die Angriffe der Piraten überstehen kann. Glücklicherweise konnten wir ihn davon überzeugen, uns zu erlauben, eine Abwehr zu organisieren. Wir dürfen alle Freiwilligen einsetzten, die dazu bereit sind, der Stadt zu helfen und bisher war jeder, den wir fragten, zur Hilfe bereit. Wir werden gleich, wenn unser Gespräch beendet ist, einen Kriegsrat in der Halle des Krieges abhalten. Alle Hauptleute der Stadt werden dorthin kommen. Zola, die Ihr gut kennt, unterstützt die Kapitäne bereits im Seekampf, da die Piraten über neue, gefährliche Schiffe verfügen und außerdem magische Unterstützung aus dem Nordosten bekommen haben. Aber über dieses Thema werden wir uns später unterhalten müssen.“

      Nun ergriff Orma das Wort. „Gerade in den bevorstehenden Kämpfen benötigen die Soldaten und auch das Volk einen Anführer, der aus unseren Reihen stammt und zu dem sie aufblicken können. Euer Vater steht für diese Aufgabe nicht zur Verfügung und daher möchten wir Euch bitten, diese Verantwortung zu übernehmen. Ihr habt die entsprechende Ausbildung erhalten und wir denken, dass es an der Zeit ist, die für Euch seit langer Zeit vorgesehenen Aufgaben zu übernehmen. Gandaros, Zola und auch ich werden Euch beraten und unterstützen, wo immer es geht oder nötig ist. Wollt Ihr die Stadt im Kampf gegen die Piraten führen?“

      Prinz Gannio war sichtbar überrascht über die Wendung der Dinge. Vor einer Stunde noch war er ein Gefangener seines eigenen Vaters und durfte den Turm nicht verlassen. Nun sollte er das Kommando über die Streitkräfte übernehmen und die Stadt vor einem Piratenangriff retten. Gannio gab sich einen Ruck. „Wenn Ihr glaubt, dass dies im Sinne der Stadt ist und ich helfen kann, dann stehe ich selbstverständlich zur Verfügung. Wie wird es nun weitergehen?“ Gandaros sah ihn ernst an, so als wenn er prüfen wolle, ob der Prinz der Aufgabe gewachsen sei. „Ihr werdet nun mit Orma und Sindo zum Kriegsrat gehen. Ich werde auch dorthin kommen, nachdem ich mein Reittier geholt habe. Orma wird Euch den Hauptleuten als den neuen General der Streitkräfte vorstellen und ich denke, sie werden froh sein, wieder einen Anführer zu haben. Dann werden wir gemeinsam überlegen, wie wir die Abwehr an Land organisieren und wir wie die Flotte unterstützen können.“

      Die Halle des Krieges war ein großer, runder Raum, der von mehreren Reihen von Sitzen umrahmt war, wobei jede Sitzreihe etwas höher war als die vor ihr liegende. Es war Platz für viele Homuae und fast alle Plätze waren bereits von den Hauptleuten der Streitkräfte belegt. Die Sitzreihen waren an einer Seite des Kreises unterbrochen. Dort befand sich das Rednerpult, zu dem sich gerade Orma auf den Weg machte, der sich eine leichte Rüstung angezogen hatte und ein Kurzschwert an seiner linken Seite trug. Als er sich hinter das Pult gestellt hatte, wurde es schnell totenstill in dem Raum.

      „Hauptleute von Napoda! Wir haben uns heute hier versammelt, um die Verteidigung unserer Stadt gegen die Piraten zu organisieren. König Geminiano hat dafür mächtige Verbündete gewonnen, die uns in dem bevorstehenden Kampf unterstützen. Gandaros, tretet bitte vor!“ Der Magae kam aus den hinteren Reihen am Eingang hervor und stellte sich neben Orma. „Unser König hat Gandaros gebeten, die Verteidigung zu organisieren. Er lässt ihm dabei freie Hand.“ In der Runde setzte Gemurmel und Getuschel ein. Offensichtlich waren viele der Anwesenden verwundert, dass der König selbst nicht den Oberbefehl übernehmen wollte. „Ihr wisst, dass Gandaros der Anführer des Hohen Rates der Erfahrenen ist und der Rat der Erfahrenen Napoda immer geholfen hat, wenn dies notwendig war. Auch wenn Gandaros und auch Zola, die ihn zu uns begleitet hat, eine große Unterstützung sein werden, so ist Gandaros doch kein General oder jemand aus unserem Volk.“ Zustimmende Rufe kamen von den Hauptleuten. „Daher war das Erste, was Gandaros unternahm, einen neuen General ins Amt zu heben. Ich bin sicher, er hat jemanden gewählt, der auch Euch zusagt!“ Prinz Gannio betrat vollständig gerüstet und mit Schwert und Klemmdolch bewaffnet die Halle und ein Raunen ging durch den Raum. Kaum einer der Hauptleute erkannte den Prinzen, der in den letzten zwei Jahren auf Mannesgröße gewachsen war und in der Rüstung und mit Bewaffnung wie ein erfahrener Krieger wirkte. Zudem verbarg der Wangenschutz seines goldglänzenden Helms sein Gesicht. Es dauerte jedoch nicht lange, bis erste Rufe erschallten. „Es ist der Prinz. Prinz Gannio ist frei. Der Prinz ist zurück.“ Gandaros trat in die Mitte des Raumes zu dem Prinzen und wandte sich an die Runde. „Verehrte Hauptleute von Napoda. Ich weiß, dass Ihr nur ungerne einem Führer folgen würdet, der nicht aus Napoda stammt. Ich habe daher überlegt, wer das Amt des Generals übernehmen könnte und die Lösung war naheliegend. Es gibt nur einen in dieser Stadt, der die entsprechende Ausbildung hat und der zudem schon immer für dieses Amt bestimmt und designierter Nachfolger von Maturi war. Den Göttern sei Dank ist es uns gelungen, auch den König von dieser Tatsache zu überzeugen. Er gab mir freie Hand, jeden zu rekrutieren, der sich rekrutieren lassen wolle. Daher wählte ich den Prinzen und er ist bereit für die Aufgabe. Wollt Ihr Prinz Gannio in den Kampf folgen?

      Die Antwort war überzeugend. Jubel brach in der Halle aus und kaum einen hielt es auf den Sitzen. Einige der Hauptleute gingen zum Prinzen, um ihn willkommen zu heißen und nicht wenige klopften ihm auf die Schultern. Orma mahnte zur Ruhe und kurz darauf begannen die Beratungen, die aber schnell abgeschlossen waren, da es für alle erdenklichen Angriffsvarianten eine Vielzahl von vorbereiteten Verteidigungsplänen gab. In den nächsten Stunden würde eine gewaltige Streitmacht von 15.000 Homuae einsatzbereit sein und die Küstenlinie verteidigen. Die Unterstützung der Flotte durch Katapulte und Schleudern würde sofort starten. Napoda war entfesselt.

      Als Gandaros sich auf seiner Fledermaus den Hafenanlagen näherte, zogen bereits erste Brandgeschosse ihre flammenden Bahnen in Richtung der Piratenschiffe. Gandaros hielt direkt auf das Schiff des Admirals Osarobo zu und landete auf dem Achterdeck nur wenige Schritte neben dem Admiral, der die Fledermaus skeptisch musterte. „Gandaros, Ihr seid es. Das hätte ich mir denken können. Danke für die Unterstützung. Ihr seid eine gute Hilfe gewesen! Wer ist der andere Magae, der noch gegen die Piraten vorgeht? Ist es Zola?“

      „Ja, es ist Zola. Und auch ich werde gleich wieder ins Geschehen eingreifen. Ich wollte Euch nur informieren, dass wir in Napoda eine Verteidigung auf die Beine stellen. Prinz Gannio wurde soeben von den Hauptleuten als neuer General akzeptiert – und wie Ihr wahrscheinlich gemerkt habt, haben Katapulte und Schleudern ihre Arbeit bereits aufgenommen. Bitte weist Eure Flotte an, den Schwerpunkt Eurer Kampfaktivitäten