Peter Padberg

Tarris


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dachte Gandaros. Der Wind im Kreis um die Schiffe verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde und die Wellen prallten gegen die Schiffsrümpfe und schäumten über die Reling. Unspektakulär versanken die Schiffe, nachdem sich zu viel Wasser in ihnen befand. Gandaros konnte beobachten, wie sich die Wrokorks gegen die Haie wehrten. Einige der Fische schienen ohne Grund zu zerplatzen, bevor erst der eine, dann der andere der beiden Wrokorks gebissen und dann zerfetzt und gefressen wurde. Als dieses Kapitel offensichtlich geschlossen worden war, flog Zosch schnell zur Seeschwalbe.

      Als die Piraten noch einhundert Schritte entfernt waren, gab Gannio den Befehl zum Wechsel der Formation. Die Mitte der Phalanx beschleunigte ihre Schritte unter der Führung des Prinzen, der die Spitze bildete. Dadurch entwickelte sich ein Dreieck, dessen Mitte sich schneller vorwärts bewegte als die Schenkel. Als das Dreieck geometrisch perfekt war, nahmen auch die weiter hinten postierten Soldaten Geschwindigkeit auf und die dreieckige Phalanx, die nach wie vor an jeder Stelle durch aneinander angrenzende Schilde geschützt war, pflügte sich selbst wie einen Rammbock in die Masse der Piraten hinein. Je weiter sie vorstießen desto mehr nahm die Geschwindigkeit ab und desto härter wurden die Kämpfe.

      Gannio, der die Spitze des Dreiecks war, wusste nicht, ob er schon viele Piraten getötet hatte. Er wusste nur, dass sein Arm am nächsten Tag, wenn er ihn denn erleben sollte, schwer sein würde. Ununterbrochen schlug er auf die Piraten ein, die sich in seinem Weg befanden. Er ließ sich nicht auf einen Kampf Mann-gegen-Mann ein, sondern führte den Rammbock unablässig weiter und weiter, bis er mit erhobenem Schwert direkt vor Sindo stand, der ihn bewundernd anschaute. „Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr so kämpfen könnt, mein Prinz und General. Meine Anerkennung!“ Gannio nickte ihm kurz dankend zu und befahl dann ohne Zögern. „Verstärkt die Mitte mit Eurer Reserve – sofort. Sie sind nun geteilt und wir können sie erledigen. Ich habe unsere Truppen in der Straßen zu den Toren verstärken lassen. Dort kommen sie nicht durch!

      Was nun folgte, war Schlachterei. Die an Land gegangenen Piraten wurden zwischen den zahlenmäßig weit überlegenen Napodianern blutig aufgerieben, bis sich einige wenige hunderte von ihnen schließlich ergaben. Tausende tote Piraten lagen auf den Kais und im Hafenbereich. Nachdem Zascha von dem Schiffsarzt versorgt worden war, griffen Gandaros und Zosch in die Seeschlacht ein und setzten viele Schiffe in Brand. Diejenigen Piraten, deren Schiffe noch manövrierfähig waren, beschlossen in Richtung Hafenanlagen zu segeln und wurde von den Katapulten unter Feuer genommen. Diejenigen, die die Hafenlagen erreichten, trafen auf übermächtige Landstreitkräfte und wurden vernichtet oder gefangen genommen.

      Die Halle des Krieges wirkte fast leer. Außer dem Prinzen waren Zola, zwei Fledermäuse, Orma und Gandaros in dem großen Raum. Alle sahen ein wenig erschöpft aus und Prinz Gannio hatte einen dicken, blutigen Kratzer auf der Stirn. „Was denkt Ihr über den Angriff, Prinz Gannio?“, fragte Gandaros und brach damit die Stille in der Halle. Sie hatten es sich auf den unteren Bänken bequem gemacht. Gannio überlegte einen Moment. „So etwas gab es noch nicht. Die Piraten haben es in der Vergangenheit nie gewagt, direkt gegen Napoda vorzugehen. Auch wenn der Angriff nicht erfolgreich war, ist es doch eine neue Stufe der Gewalt. Hinzu kommt, dass die Piraten ohne die Verteidigung, die Ihr organisiert habt, wahrscheinlich in die Stadt eingedrungen wären und geplündert, gebrandschatzt und geschändet hätten. Auch die Menge der Schiffe, mit denen sie angegriffen haben, ist beängstigend. Der dritte Punkt ist die magische Unterstützung, die sie bekommen haben. Wie sollen wir solchen Angriffen begegnen, wenn Ihr nicht hier seid, Ser Gandaros und Lady Zola?“ „Um mit Eurer letzten Frage zu beginnen“, antwortete der Magae. „Ich hatte ursprünglich geplant, Euch zum Tarutos zu schicken und dort die Ausbildung Eurer magischen Fähigkeiten fortzusetzten. Ihr müsst insbesondere darauf vorbereitet werden, wie Ihr Euch zu verhalten habt, wenn die Magie in Euch sich gegen Euch auflehnt und Euch bekämpft. Ihr seid in einem Alter, in dem Ihr jederzeit mit dieser Auflehnung rechnen müsst! Auf der anderen Seite verstehe ich natürlich, dass Ihr Napoda im Moment nicht verlassen könnt. Ihr habt das Generalsamt übernommen und seid der Prinz dieses Landes. Da Euer Vater – vorsichtig gesagt – zurzeit seinen Aufgaben nicht nachkommen kann, werdet Ihr auch hier helfen müssen. Mir selbst wäre es am liebsten, wenn Zola wieder hier in Napoda bleibt und Eure Ausbildung fortsetzt. Dies setzt natürlich voraus, dass sie sich dafür bereiterklärt.“ Gandaros und auch die anderen schauten Zola an. „Ihr wisst, Gandaros, dass ich sehr froh wäre, wenn ich wieder hier in meiner Heimat leben könnte. Gerne helfe ich dem Prinzen und werde ihn weiter ausbilden. Ich denke jedoch, dass er, wenn die Lage etwas ruhiger ist, auf jeden Fall zum Tarutos reisen sollte, um alle Aspekte der Magie kennen zu lernen.

      Gandaros war erleichtert, dass Zola einverstanden war. Tarris brauchte ein starkes Napoda und ein starkes Napoda würde es nur mit einem vom Volk und vom Militär akzeptierten Anführer geben. „Damit wäre Eure letzte Frage geklärt. Um zu den ersten beiden zurückzukommen. Die Piraten sind nur ein Teil des Problems, das nicht nur Napoda, sondern ganz Tarris betrifft.“ Gandaros erläuterte erneut die Befürchtungen des Rates der Erfahrenen. Er ging auf jedes Detail, das ihm bekannt war, ein und daher vergingen zwei Stunden wie im Flug. Auch Orma hörte aufmerksam zu und selbst Zosch und Zascha schienen zu lauschen und jedes Detail zu verstehen. Gandaros endete mit „Ihr seht, dass das Problem größer sein könnte, als wir alle heute annehmen. Und daher wird der Rat der Erfahrenen alles daran setzten, die freien Völker von Tarris in einer Allianz zu einigen, um einer möglichen Invasion aus dem Nordosten wiederstehen zu können. Ihr habt gesehen, wie sich die Vorgehensweise der Piraten geändert hat und ich möchte Euch, Gannio, in Eurer Eigenschaft als General und zukünftiger Herrscher von Napoda bitten, die Allianz ohne Einschränkungen zu unterstützen. Aber seid Euch bewusst, dass es auch zu Auseinandersetzungen außerhalb des Herrschaftsbereiches von Napoda kommen kann.“

      Gandaros sprach dann wieder zur gesamten Runde. „Auf jeden Fall solltet Ihr die Kampfkraft von Napoda deutlich erhöhen. Ich denke, dass alleine die Piraten im Osten trotz der heutigen Niederlage über mindesten 20.000 Mann verfügen, die jederzeit einsatzbereit sind!“ Gandaros Ausführungen wurden jäh unterbrochen, als die Türen der Halle des Krieges heftig aufgestoßen wurden und mit einem dumpfen Knall gegen die Wand krachten. Herein kamen ein Schreiberling, ein Hauptmann der Königsgarde und zehn Soldaten, die ebenfalls der Garde angehörten. Der Schreiberling kniete vor dem Prinzen nieder, was gegenüber einem Prinzen eine eher ungewöhnliche Geste war. „Mein Prinz, verzeiht, dass ich Eure Unterredung störe“, begann der Schreiber mit gebeugtem Kopf. „Ich bringe eine sehr schlechte Nachricht.“ Jeder im Raum dachte sofort an die Piraten. Hatten sie eine Reserve? Waren sie doch noch nicht geschlagen? „Euer Vater, König Geminianos. Er, er hat ….., er hat sich selbst an einem der Galgen vor der Stadt aufgehängt. Er, er ist …. tot.“ Im Saal des Krieges herrschte Totenstille. Über eine lange Zeit sagte keiner der Anwesenden ein Wort, aber auch Anzeichen von Trauer blieben aus. Sie waren fassungslos.

      Nach langen Minuten ergriff schließlich Orma stockend das Wort. „Wo befindet sich der König jetzt?“, war das erste, was ihm einfiel, aber die Antwort war überraschend. „Er hängt nach wie vor an dem Galgen, keiner hat es bisher gewagt, ihn herunterzuholen. Wir wollten Euch fragen, was wir nun mit ihm tun sollen.“ Orma wandte sich an den Hauptmann. „Hauptmann, besorgt Euch bitte unverzüglich eine Kutsche und dann nehmt Eure Männer und holt Euren König von dem Galgen herunter. Bringt ihn in die Königshallen in seine Gemächer. Wir werden auch schnellstens dorthin gehen und überlegen, was als nächsten zu tun ist.“ Die Soldaten, denen ihr Unbehagen anzusehen war, verließen auf der Stelle die Halle des Krieges und machten sich auf den Weg, den König vom Galgen abzuscheiden. Gannio, Gandaros, Orma und Zola machten sich auf den Weg in Richtung Königshallen, während die Fledermäuse zielstrebig zu den Gärten flogen.

      In der folgenden Nacht musste viel organisiert werden. Sie beschlossen, die übliche dreitägige Trauerfeier mit der Krönung von Prinz Gannio abzuschließen und die Feier anschließend einen Tag weiterlaufen zu lassen, damit jeder die Gelegenheit erhielt, auf König Gannio anzustoßen. Der Königsrat, dem neben dem König einige Berater und hohe Offiziere angehörten, vertrat vehement die Ansicht, dass die gefangenen Piraten ohne Ausnahme während des Festes hingerichtet werden sollten, aber der junge König legte sein Veto ein. Er wollte seine Regentschaft nicht mit einer solchen Hinrichtungsorgie