Bett gehst.“
Sina war natürlich klar: Ihre Mutter sagte das nur, weil sie allein sein wollte mit Jörg, und das nahm sie ihr gewaltig übel. Protestieren konnte sie ja wohl kaum. Das hätte die Peinlichkeit nur noch verschlimmert. Notgedrungen stand sie auf und reichte Jörg die Hand.
Er erhob sich ebenfalls. Richtig höflich. „Gute Nacht, Sina“, sagte er. „Schlaf schön!“ Dabei zwinkerte er ihrer Mutter zu und die lachte zurück, als ob sie ein Geheimnis teilen würden. Wahrscheinlich war er ebenfalls froh, dass sie verschwand. „Bis bald!“, rief er ihr nach.
„Bestimmt knutschen sie jetzt“, dachte Sina voll Groll, während sie in der Küche laut mit dem Geschirr herumklapperte. Eine grässliche Vorstellung! Obwohl sie ihre Mutter verstehen konnte. Jörg war wirklich ein super Typ. Einer, der ihr gefallen könnte – nein, der ihr gefiel.
Ein anderer Gedanke durchzuckte sie: Hatte ihre Mutter sie mehr oder weniger auffällig ins Bett geschickt, weil sie ein bisschen eifersüchtig war, dass Jörg ihr so viel Beachtung schenkte? „Quatsch! Spinn hier nicht rum!“, rief sie sich sofort selbst zur Ordnung.
Und Jörg? „Bis bald“, hatte er zum Abschied gesagt. War das nur eine Floskel, oder meinte er es ernst? Wünschte er sich echt, ihr schnell wieder zu begegnen?
Bevor sie ins Bett ging, rief sie noch eben Jenny auf dem Handy an, wie sie es ihr versprochen hatte. „Der Typ ist klasse“, erzählte sie. „Ich hätte nichts dagegen, wenn der jetzt öfter käme.“
„Prima“, erwiderte Jenny. „Halte mich weiter auf dem Laufenden!“
Kapitel 3
Auf dem Laufenden hielt Sina ihre Freundin tatsächlich, manchmal mehr, als der lieb war. Jörg verbrachte inzwischen fast jeden Abend und die Wochenenden bei ihnen. Und jedes Mal schwärmte Sina ihr hinterher was vor. Jenny musste sich ausführliche Berichte darüber anhören, was er gesagt, gemacht, getan, gefragt und wie er ausgesehen hatte.
„Gibt’s eigentlich noch ein anderes Thema für dich als Jörg?“, erkundigte sie sich einmal spitz.
Sina war bisher nicht aufgefallen, dass sie dermaßen oft von ihm sprach.
„Ich bin mal gespannt“, sagte Jenny, „ob ich ihn genauso sensationell finde wie du, wenn ich ihm mal begegne.“
„Du bist bestimmt hin und weg“, antwortete Sina im Brustton der Überzeugung. „Du kannst gar nicht anders. Jeder muss Jörg cool finden.“
Je länger sie ihn kannte, desto mehr hing sie an ihm. Sie wartete abends auf ihn, freute sich, wenn er kam, und kaum dass er wegging, fehlte er ihr bereits.
„Ich kann mir nicht mehr vorstellen, wie es ohne Jörg war“, sagte sie einmal zu ihrer Mutter.
„Das möchte ich mir gar nicht vorstellen“, erwiderte die.
Jörg war unglaublich herzlich zu ihr. Er fragte jeden Abend, wie es ihr ging, und Sina wusste, das war nicht nur so dahergeredet, er wollte es wirklich wissen. Er merkte auch immer sofort, wenn sie etwas bedrückte. Dabei war er keineswegs aufdringlich, er bohrte nie nach, trotzdem schaffte er es, dass sie sich ihm anvertraute. Sie erzählte ihm beinahe alles, was sie bewegte. Sogar mehr als ihrer Mutter.
Zum Beispiel, dass Jenny sich in den Nachbarsjungen verknallt hatte und der sich in sie. Darüber war Sina alles andere als glücklich. „Jenny ist meine beste Freundin“, klagte sie. „Und jetzt zähle ich kaum noch für sie. Ich höre nur noch „Daniel, Daniel“, den ganzen Tag. Und sie hat nachmittags nie mehr Zeit für mich.“
Jörg legte den Arm um sie. „Ich denke, das ist normal, wenn man frisch verliebt ist. Das ändert sich bestimmt bald wieder.“
„Meinst du?“ Sie schaute ihn zweifelnd an.
Er drückte sie kurz an sich. „Ich bin doch auch verliebt“, fügte er lächelnd hinzu. „Und trotzdem habe ich ein gutes Verhältnis zu meinen Freunden.“
Einen winzigen Moment – nur den Bruchteil eines Augenblicks – stellte Sina sich vor, er wäre in sie verliebt. Schnell verscheuchte sie den Gedanken wieder.
Erst hinterher begann sie zu überlegen: War dieser Einfall wirklich so abwegig? Manchmal hatte sie nämlich den Eindruck, dass Jörg mehr zu ihr hielt als zu ihrer Mutter und sie gegen sie in Schutz nahm.
Wie neulich zum Beispiel. Da bekam sie einen Eintrag ins Klassenbuch, weil sie zum dritten Mal zu spät zum Unterricht erschien. Möglicherweise würde ein schriftlicher Tadel folgen, das stand noch nicht fest. Ihrer Mutter verschwieg sie die Angelegenheit zunächst und sie fragte Jörg, ob sie beichten sollte oder ob es klüger wäre, erst mal abzuwarten.
„Ich würde es ihr sagen“, antwortete er. „Danach fühlst du dich bestimmt besser. Außerdem musst du sie vorwarnen, damit sie nicht aus allen Wolken fällt, falls plötzlich ein Tadel ins Haus flattert.“
„Aber wie soll ich ihr verklickern, dass ich dreimal zu spät gekommen bin? Darüber regt sich bestimmt furchtbar auf.“
„Hm.“ Jörg dachte kurz nach. „Was hältst du davon, wenn ich es ihr schonend beibringe? Nachher, wenn wir entspannt zu zweit bei einem Glas Wein im Restaurant sitzen?“
Dankbar nahm Sina sein Angebot an. Eine Last war ihr von der Seele genommen. Jörg würde das schon hinkriegen!
Normalerweise mochte sie es nicht, wenn er und ihre Mutter allein ausgingen. Sie fühlte sich dann ganz elend, von aller Welt verlassen und grenzenlos einsam.
Auch jetzt, trotz Jörgs Angebot, pikste dieser Stachel wieder. Warum konnten sie nicht entspannt zu dritt bei zwei Gläsern Wein und einem Glas Mineralwasser im Restaurant sitzen? Oder noch besser im Wohnzimmer?
Am allerschönsten wäre es ja, wenn sie allein mit Jörg entspannt irgendwo sitzen könnte, wenn es sein musste, sogar in einem Restaurant, obwohl sie nur ungern hinging, weil es dort immer so schrecklich nach Essen stank.
Was den Tadel anging, schaffte es Jörg, ein Drama abzuwenden. Am nächsten Morgen sagte ihre Mutter nur: „Stell deinen Wecker demnächst auf zehn Minuten früher“, und damit war die Sache erledigt.
Sina atmete auf. „Danke, wegen des Tadels“, flüsterte sie ihm später in einem unbeobachteten Moment ins Ohr, und er zwinkerte ihr zu.
„Wann guckst du dir Jörg an?“, fragte sie ihre Freundin, als die ausnahmsweise einmal nicht von ihrem Daniel redete, und erstaunlicherweise antwortete Jenny: „Ich kann nachher bei dir vorbeikommen.“ Im selben Atemzug fügte sie hinzu: „Daniel muss nämlich zum Handballtraining.“
Jörg war wirklich unheimlich nett zu Jenny. Er begrüßte sie herzlich mit: „Hi, Jenny!“, und es klang wie: „Endlich lerne ich dich mal kennen!“ Als ob er schon ewig darauf gewartet hätte und sich riesig darüber freuen würde! Dabei kannte er Jenny doch bloß vom Hörensagen! Vielleicht interessierte er sich für sie, weil sie ihre Freundin war?
Sina wartete begierig darauf, Jennys Meinung über Jörg zu hören. Als sie später in ihrem Zimmer hockten, überfiel sie sie sofort: „Und? Wie findest du ihn?“
„Wirklich ein cooler Typ!“, antwortete Jenny.
Sofort fing Sina wieder an zu schwärmen: „Der ist sooo nett! Und lustig. Und fair. Und immer gut gelaunt. Dazu sieht er noch klasse aus!“
„He, he, he!“ Jenny grinste. „Pass bloß auf, dass du dich nicht in ihn verguckst!“
Sina schwieg verdutzt.
Jenny hatte das mehr zum Spaß gesagt, aber ihre Bemerkung ging Sina nicht mehr aus dem Kopf. Wäre es möglich, dass sie sich in Jörg verliebte? Oder – ihr wurde ganz flau – war es am Ende schon passiert?
„Nein, nein“, beruhigte sie sich selbst, „das ist kompletter Blödsinn.“
War es das wirklich? Sina lag im Bett und dachte nach. Jörg und ihre Mutter waren ins Kino gegangen. Sie gingen oft donnerstags