Wolf L. Sinak

Ich locke dich


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schien angestrengt nachzudenken, aber Jens wusste bereits, dass sie ihm nicht weiterhelfen würde.

      „Er ist etwas schlaksig in seiner Art, aber eigentlich ganz okay“, sagte sie.

      Jens erhob sich und entließ Anna aus dem Zimmer. Er nahm das Scheckheft aus der Schublade und schrieb Bunsel einen Scheck über fünf Euro aus; dieses Honorar würde den Scheißkerl mehr kränken, als gar nichts zu erhalten. Er hielt inne und zerriss den Scheck zu Konfetti.

      Er wählte die Telefonauskunft. „Ich hätte gern von allen Bundeswehrkasernen im Raum Regensburg die Nummern.“ Er erhielt lediglich eine Telefonnummer der zentralen Vermittlung der Bundeswehr und notierte sie. Eine Minute später stand er vor Frau Eisentraut, die einen Putzlappen in der Hand hielt und nicht recht zu wissen schien, wo sie ihn einsetzen sollte. Er bat sie, seiner Frau nichts von den Ereignissen zu erzählen. Das ihr entgegengebrachte Vertrauen verstand er auch als einen hingeworfenen Happen Fleisch, um sie blutrünstig an seiner Seite zu halten. Dann fuhr er ins Studio, begleitet vom Hintergrunddröhnen der Angst. Er hatte dummerweise nicht zugehört – nicht zuhören können –, wie sich die Gangster den weiteren Verlauf vorstellten, wo und wann sie wieder in Erscheinung treten wollten, um an die Kiste zu kommen. Er ging aber zu achtzig Prozent davon aus, dass sie sich Bunsel vornahmen; bestimmt ein leichtes Unterfangen für Profis, jemanden wie diesen Idioten aufzuspüren.

      Im Geräteraum herrschte Leben; fünf oder sechs Frauen fuhren Rad und eine Gruppe junger Männer – mutmaßlich Arbeitslose, denen Werner einen Sonderbeitrag einräumte – posierten wie Bodybuilder vor dem großen Wandspiegel, sich gegenseitig schubsend und lachend.

      „Sieh an, der Putzteufel für Dentalkloaken“, begrüßte ihn Werner. Jens verlor keine Zeit und bat um Hilfe.

      „Schon wieder? Ich glaube, uns holt die gute alte Zeit ein, wäre doch schade, wenn ein Team wie wir von der Welt verschwände. Mann, hatten wir ein Kerbholz, so lang wie ein Maibaum. Um ein Haar hätte der Funktionär die Zigarettenschachtel gesehen, als Wasser ins Kanu schwappte und sie davonschwamm. Wir wären von der Sportschule geflogen. Es macht mir richtigen Spaß, diesem Bunsel hinterherzujagen …“

      Jens ließ ihn nicht ausreden. „Gestern Abend hat man mich in meiner Wohnung überfallen. Zwei widerliche Typen, die Bunsel auf den Plan gerufen hat; ob Kalkül dahintersteckte, weiß ich nicht.“

      Er ließ sich einen Mineraldrink geben und berichtete die Vorkommnisse seinem Freund, dem sich der Mund immer weiter auftat, bis die Zunge erschien. Werner war ein Tausendsassa, aber was er hörte, schien er nicht genauso schnell verarbeiten zu können. An dem Punkt der Darlegung, an dem Jens einen Teil seiner Haare eingebüßt hatte, beobachtete er Werners Mundwinkel, um zu ergründen, ob sich da ein spitzbübisches Zucken abzeichnete. Aber er sah nur eine gekalkte steinerne Maske, welche Werners Züge trug.

      „Wir gehen zur Polizei“, sagte die Maske.

      „Nein.“

      Jens blickte Werner hart in die Augen. Solch ein Moment kam der Wahrheit über die Freundschaft sehr nahe. Werners Lippen bewegten sich mechanisch wie die einer Augsburger Puppe.

      „Verstehe ich das richtig: Du willst mit mir gegen – wie es aussieht – Drogengangster zu Felde ziehen …“

      „Nein, nicht gegen die. Wir müssen Bunsel finden, alles andere ergibt sich. Der Kerl mit dem Streichholz im Mund war nicht von der Sesamstraße. Drogenkriminalität ist gewöhnlich organisiert und ich glaube schon, dass sein Arm aus dem Gefängnis herausreichen und ein par Schicksalsschläge in die Wege leiten könnte.“

      Werner schüttelte den Kopf. „Das hier ist das richtige Leben und keine Filmkulisse für einen Thriller.“

      „Wenn bei mir eine Verwicklung mit Drogen öffentlich wird, bleibt etwas hängen, egal ob ich unschuldig bin oder nicht. Denke mal an unsere Vergangenheit. Hobbyschnüffler werden darin herumstochern und jeder wird Drogen für die logische Folge in unseren Lebensläufen halten.“

      „Du meinst deine Vergangenheit; unsere Gemeinsamkeiten solltest du gegen unsere Unterschiede abgrenzen.“

      Jens trank den Rest seines Mineraldrinks mit einem Mal aus. „Aber du hast mich verstanden, oder?“

      Werner nickte, holte mit der Hand aus, und sie gaben sich fünf. „Jetzt weißt du, wie es mir derzeit geht“, sagte er.

      „Meinst du das neue Fitnessstudio?“

      „Die setzen uns einfach so einen Kasten vor die Nase, nur zwei Straßen weit entfernt, mit Video auf den Laufbändern, Bistro, Spielecke für Kinder und anderen Kinkerlitzchen. Wenn die öffnen, können wir einpacken. Ich glaube, die haben extra eine Konkurrenz gesucht, die sie wegpusten können. Gut fürs Marketing. Ich muss etwas unternehmen. Umbauen, anbauen, sonst etwas.“

      „Geh weiter mit den Beiträgen runter.“

      „Das reicht nicht. Lifestyle ist das Zauberwort. Wir brauchen neue Geräte und eine neue Sauna, eine Saunalandschaft … und Investoren.“

      Jens blieb gelassen. Er wusste, dass er angesprochen war. Werner würde keine Bank für einen weiteren Kredit finden. Im Stillen hatte Jens seinen finanziellen Teil am Studio bereits unter Verlust verbucht, als die Mitgliederzahlen rückläufig wurden und er von dem geplanten neuen Superstudio in der Nachbarschaft erfahren hatte. Er beabsichtigte nicht, noch mehr Geld zu verlieren. Auch wenn für Werner das Studio die Existenz bedeutete.

      „Marlies“, sagte Werner.

      Jens drehte sich um. Sie betrat gerade das Studio. Ihr Gesicht war blass, keine Spur von den östrogenbleckenden Augen, die ihn in seiner Wohnung angehimmelt hatten. Sie grüßte mit fester, lauter Stimme und lächelte Jens für eine Tausendstelsekunde an. Dann verschwand sie in der Umkleidekabine für Angestellte.

      „Ich denke an das paradiesische Gefühl, als dein Kopf in ihrem Bauch steckte“, sagte Werner. „Marlies würde dir auch helfen. Sprengstoff würde sie sich um die Taille binden und in die Luft gehen mitsamt dem Ungeziefer.“

      Jens kommentierte das nicht. Er sah sie etwas später noch einmal, als sie die Kabine verließ und zum Laufband ging. Ihre muskulösen Beine steckten in einer roten Gymnastikhose und erinnerten an Eisschnellläuferinnen, Typ Sprinter.

      „Also, du bist im Boot?“, fragte er.

      „Wenn wir das leisten, was wir früher geleistet haben, sollten wir keine Angst haben. Nicht vor Verbrechern und nicht vor der Konkurrenz.“ Werners Lächeln fiel dürftig aus. Dafür atmete Jens auf. Sie besprachen noch ein paar Details, dann fuhr er auf den Ziegelberg.

      Das mit Ornamenten verzierte Haus, in dem Steffi und ihre Tochter wohnten, war vor ein paar Jahren renoviert worden und zeigte glaubwürdig Details aus der Gründerzeit. Dass Steffi lange durch den Spion schaute und überlegte, wie sie sich verhalten sollte, spürte er, wie ein Arthrosekranker seine Gelenke spürt. Sie öffnete und sah gut aus, zum Anbeißen, auch ohne Hilfestellung der südtiroler Sonne. Erstaunt lächelnd und wortlos bat sie ihn herein. Sie ging vor ihm her, gekleidet in einen engen, gerippten Pullover und eine knappe Hose. Beide Kleidungsstücke bewegten sich geschmeidig gegenläufig wie die Wirbel eins Reptils. Jens wünschte, sie trüge etwas Weites aus Sackleinen. Überall hingen Bilder, kleine und große Blickfänge, die auch dem Geist ein Zuhause gaben. Sie nahmen im Wohnzimmer Platz und schenkten sich beide Wasser ein.

      „Willst du unverbindlich mit mir essen gehen? Ich habe im Fall Bunsel mit dir über Anna zu reden.“

      „Anna? Hat sie was verbockt?“

      „Gehen wir essen?“

      „Nein. Tut mir leid … heute jedenfalls nicht. Was ist mit Anna?“ Ihr Ton war fordernd, fast feindselig. Jens achtete auf seine Atmung. Wenn er seine Praxis retten wollte, musste er auf seine Atmung achten. Nervosität und sexuelle Fernlenkung durch Saunagefühle waren Gift. Er nahm die Steuerung des Zwerchfells in die Hand, hob und senkte den Bauch und fühlte sich leichter. Wäre es nicht ungebührlich gewesen, er hätte sich auf die Couch gelegt und die Augen geschlossen, um in sich hineinzuhorchen.

      „Anna