Wolf L. Sinak

Ich locke dich


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Fragen bin ich sehr korrekt. Glauben Sie mir, ich fühle mich geehrt, welch großes Vertrauen Sie mit einem Vorschuss in meine Arbeit setzen. Aber das kann und darf ich nicht annehmen, einfach so eine Geldsumme … Ich glaube, Sie verstehen mich.“ Er schwieg und sah in ihr linkes Auge, das zur Kompensation der Sehleistung aufgerissen war, vielleicht auch wegen ihrer Verwunderung.

      Sie zuckte mit der Schulter. „Gut, es war nur so eine Idee. Und wenn ich es mir richtig überlege, eine recht eigenwillige Idee. Sympathie demonstriert man nicht mit ein paar Scheinchen. Dazu noch bei einem Zahnarzt.“

      „Na, sehen Sie … Nebenbei gesagt, sind mir als Zahnarzt eintausend Euro nicht den Weg zur Bank wert, sie abzuheben.“ Er stellte sich vor, wie ein Ölscheich lachen würde, dem man einen Euro Wechselgeld herausgibt, und lachte so. „Sie sagten, es wäre nur so eine Idee gewesen. Hat Sie jemand dazu ermuntert?“

      „Nein, wer denn?“

      Jens spielte den Nachdenkenden. „Vielleicht Doktor Bunsel, der es gut mit mir meinte.“

      „Moment mal, wieso ist das wichtig?“ Sie ergriff den Haltebügel überm Bett und zog sich etwas hoch. „Sie müssen zugeben, nach dem Vorfall hier mit meinem Zahn und jetzt mit dem Aufhebens um den Vorschuss sollte ich doch etwas beunruhigt sein.“

      „Meine Befürchtung ist lediglich, dass irgendein Umstand in meiner Praxis Sie beeinflusst haben könnte. Es gilt, für alle Zeiten vorzubeugen.“

      Sie atmete erleichtert aus. „Ich bin am nächsten Morgen aufgewacht und verspürte den Wunsch, in meine Zahngesundheit zu investieren. Sie sehen also, eine Unregelmäßigkeit in Ihrer Praxis gibt es nicht.“

      „Vielleicht kann ich mich ein wenig revanchieren für das, was Ihnen widerfahren ist. Sie baten mich doch kürzlich, einen Vortrag zu halten.“

      Frau Zarusch schaute zur Seite. „Das ist mir jetzt aber peinlich. Ich habe Doktor Bunsel gefragt. Tut mir leid. Ist er überhaupt noch da?“

      Jens schüttelte den Kopf. Ohne richtig bei der Sache zu sein, ließ er sich sagen, wann und wo die esoterische Veranstaltung stattfinden sollte. Bunsel war ein Lügner hoch drei, aber es war nicht auszuschließen, dass er trotzdem dort hinging.

      Er klopfte sanft auf Frau Zaruschs Hand. „Ich überweise Ihr Geld zurück und mache alles wieder gut. Auch ohne den Vortrag zu halten.“

      Mit der Willensstärke eines übernächtigten LKW-Fahres bohrte Jens seinen Blick in die Straße und fuhr nach Heinrichsgrün zum Fitnessstudio. Was er jetzt brauchte, war Krafttraining. Wenn man sich mit einem zur Tonnenlast gewordenen Gewicht auf die letzten Wiederholungen der Übung konzentrierte und einem fast die Hände abfielen, war das eine effektive Methode, um abzuschalten. Er konnte sich einschließen und sicherer als zu Hause fühlen und spät am Abend würde er in einem der komfortablen Liegestühle einschlafen.

      Er fuhr auf den von einer Mauer umgebenen Parkplatz des Studios. Drinnen trainierte eine Handvoll Leute. Werner erklärte einer Frau mit krummem Rücken und schlaksigen Armen die Handhabung des Zugapparates. Wie doch die Körperhaltung Neulinge zu erkennen gibt, dachte Jens.

      „Na endlich.“ Werner kam ihm entgegen. „Glaubte schon, die Mafia hat dir die Kehle durchgeschnitten.“

      „Hast du ein paar Klamotten für mich? Meine Trainingstasche steht zu Hause.“

      Werner holte einen kleinen Stapel Wäsche und nahm Jens zur Seite. „Um die Frau musst du dich kümmern. Ein Fisch an der Angel. Bei der ist ein Jahresvertrag drin.“ Werner räusperte sich. „Halb acht kommt Marlies und gibt ne Stunde Pump. Vertragt euch … jedoch nicht zu sehr.“

      Bevor sein Lachen die Ohren erreichte, fing Jens an, ihre beider Planung bezüglich Bunsel zu wiederholen. Werner sollte die Umgebung von Möllers Frühstückspension inspizieren. Logisch betrachtet, kam selbst Jens die Sache töricht vor; er suchte die Stecknadel, während ein Orkan ihm den Heuhaufen um die Ohren fegte. Realitätsbezogen müsste er jetzt auf einem Polizeirevier sitzen und eine Anzeige erstatten. Und Werner stand ins Gesicht geschrieben, dass er sich nicht traute, die Aktion in Frage zu stellen.

      Werner verabschiedete sich von seinen trainierenden Schützlingen und übergab die Frau in die Obhut von Jens. Sie war ein leptosomer Typ und der Zugapparat das Richtige für ihren Rücken. Jens widmete ihr eine halbe Stunde, bis ihre Schultern noch tiefer hingen und er den Zeitpunkt zum Aufhören für gekommen sah, um sie vor Muskelkater zu bewahren. Sie fragte, wo sie duschen könne, und Jens erkannte beim Nachblicken, dass in ihrem müden Gang eine Portion Jubel mitschwang. Er zog sich um und ging auf das Laufband am Fenster. Draußen lag der Parkplatz still und spärlich beleuchtet wie ein Friedhof. Ein paar Minuten später fuhren Autos auf, und am Tresen fanden sich Marlies und eine Handvoll Frauen für den Pump-Kurs ein. Hinten auf den Matten stretchten ein paar Männer ihre Muskeln nach getanem Training. Und über allem spannten die hochräumige Leere des alten Fabrikgebäudes und die nüchterne Deckenbeleuchtung, die nur jeder dritten Lampe Saft abgab. Jens verließ das Laufband und zimmerte sich gedanklich einen Trainingsplan. Seine lange Trainingspause erhob Anspruch auf eine sorgfältige Auswahl der Geräte. Wie immer begann er mit dem Bankdrücken. Die Langhantelstange ruhte quer über der Bank auf beiden Ablagen. Er bestückte jedes Ende mit zehn Kilogramm Eisen, legte sich unter die Stange und umfasste sie in Brustbreite. Dann atmete er tief durch und drückte die Stange hoch, ließ sie langsam herunter, bis sie seinen Brustkorb berührte und drückte sie wieder von sich weg. Nach zehn Wiederholungen waren seine Muskeln warm. Er legte noch zwei Zehn-Kilo-Scheiben auf und schlenderte hinüber zum Fenster. Auf dem Parkplatz stand ein Dutzend Autos. Die trauten sich nicht, hereinzustürmen und ein Blutbad anzurichten. Nicht, solange außer ihm noch jemand trainierte. Er ging zurück zur Bank und drückte die Stange so oft, bis er ermattet auf der Bank lag. Das hatte ihm die ganze Zeit gefehlt.

      Er blickte zur Glasscheibe der Eingangstür, welche die Schwärze des Universums hatte, und ging hinüber zum Kursraum, wo laute Musik durch die Glastür drang. Dahinter erhellten Lichtblitze die sich rhythmisch bewegenden Körper mit ihren Langhanteln. Marlies stand vor den Frauen mit Headset am Kopf und Funkgerät am Gürtel und gab Befehle, trug selbst eine Langhantel auf den Schultern und bückte sich, wobei sich ihre gewaltigen Oberschenkelmuskeln nach außen bogen wie Blattfedern. Jens sah eine Weile zu und kümmerte sich dann wieder um sein eigenes Training.

      Eine halbe Stunde später verließen die Frauen vom Kurs das Studio. Marlies war nicht unter ihnen. Anscheinend saß sie in der Sauna. Ihn kümmerte nur, dass sie da war. Er überlegte, wie er sie in ein Gespräch verwickeln konnte, ohne den Anschein zu erwecken, an ihre gemeinsame Affäre anknüpfen zu wollen.

      „Wo ist Werner so dringend hin, dass du ihn vertreten musst?“

      Jens drehte sich um. Marlies stand da mit feuchten Haaren und fügte hinzu: „Wenn Werner das Studio verlässt, dann ist entweder Feierabend oder seine Wohnung steht in Flammen.“

      „Ein sehr privater Termin, so was soll es auch in Werners Leben geben“, sagte Jens und erschrak. Hinten aus der Sauna kam ein dicker Mann – dick wie Jurek. Sein noch rot erhitztes Gesicht erinnerte Jens an den Werkunterricht in der Gießerei, wo ihn als Kind fasziniert hatte, wie ungeheuer lange große Mengen Eisen zum Abkühlen brauchten. Als der Mann seine Tageskarte bezahlte, fragte Jens ihn, ob er schon mal trainiert hatte.

      „Ich wollte nur die Sauna inspizieren. Sehr groß ist die ja nicht“, sagte er zu Marlies.

      „Alles relativ“, gab Marlies zurück. „Unsere Philosophie besteht darin, jedermann zu optimieren. Willst du Muskeln, kriegst du welche. Willst du Pfunde loswerden, zeigen wir dir, wo und wie lange du dich abstrampeln musst, bis du die Zierlichkeit erreicht hast, den Saunakasten wie einen Bahnhofssaal zu empfinden.“

      Der Dicke lachte befreit und ungläubig zugleich. Als er ging, zog er einen Luftwirbel mit hinaus.

      „Ein Korpulenter ist mehr wert als fünf Dünne“, sagte Marlies, die ihr Schmunzeln noch nicht abgelegt hatte.

      „Inwiefern?“

      „Wenn du Korpulente vorzeigen kannst, können sich andere