Eva Finkenstadt

Gold in Tüten


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Schneiden Sie ihm die Eier ab und stopfen sie ihm in sein gieriges Maul.“

      Silvio zuckte ein wenig zusammen. Die Ausdrucksweise seines Chefs war manchmal wirklich nicht mehr zeitgemäß.

      „Aber unauffällig, Silvio! Wir wollen doch nicht, dass unsere Transportwege auffliegen oder unsere Connections.“

      Und mit einem Handwinken war Silvio entlassen.

       Zwei Lehrlinge machen eine Entdeckung

      „Also, was haben wir da“, murmelte Daniel halblaut. Mit einem Klemmbrett in der Hand stand er in der Garage, in die sie eben das Obst geschafft hatten.

      „Kolumbianisches Gold“, erwiderte Mahmut trocken, und verwundert sah Daniel auf. Tatsächlich stand Columbian Gold auf die Pappkartons mit den Orangen gedruckt.

      „Neue Sorte?“, fragte er, und Mahmut erwiderte: „Scheint so.“

      „Na, dann reich mal rüber“, sagte Daniel. Mahmut reichte ihm den ersten Karton, und Daniel eröffnete damit einen säuberlichen Stapel in der Ecke neben dem Kühlraum.

      „Du, das ist aber seltsam“, meinte Mahmut plötzlich. „Kolumbianisches Gold in Tüten?“

      „Was in Tüten?“

      „Weißes Pulver.“

      „Vielleicht eine Chemikalie zum Frischhalten?“

      „Eingeschweißt. Luftdicht verpackt.“

      „Na, dann wohl nicht. Zeig mal her.“

      Beide betrachteten schweigend die durchsichtige, prall gefüllte Plastiktüte.

      „Also eins ist mal sicher“, meinte Daniel schließlich, „Puderzucker ist das nicht.“ Und nach einem weiteren Moment des Nachdenkens fügte er hinzu: „Wir müssen die Polizei anrufen.“

      „Bist du wahnsinnig? Dann sind wir tot!“ Zweifelnd schaute Daniel von der Tüte in seiner Hand auf. „Natürlich sind wir dann tot! Meinst du vielleicht, das Zeug stammt von der Heilsarmee?!“

      „Wie viel ist es überhaupt?“

      Die beiden begannen alle Kartons mit kolumbianischen Apfelsinen zu durchsuchen. Es waren zwanzig Kartons, und in jedem von ihnen fanden sie fünf Tüten. Ein Vergleich mit den Orangennetzen ergab, dass jede Tüte etwa ein halbes Kilogramm wiegen mochte.

      „Wir müssen dem Chef Bescheid sagen“, sagte Daniel.

      „Spinn doch nicht! Willst du den auch noch da mit reinziehen? Wir müssen das Zeug verschwinden lassen, und zwar schleunigst!“

      „Meinst du, das ist Koks?“

      „Was soll es denn sonst sein? Kolumbien, weißes Pulver – hallo?“

      Daniel war ein ruhiger, zielstrebiger Mensch. Unter normalen Umständen hätte er sich gemächlich die Karriereleiter emporgearbeitet, mit dem Rentenalter hätte er ein ausreichendes finanzielles Polster und eine abbezahlte kleine Villa besessen, und dann wäre er ebenso ruhig und zielstrebig darangegangen, die Welt zu entdecken oder sich ein paar andere abendfüllende Hobbys zuzulegen. Die Unterschlagung von fünfzig Kilo Kokain jedenfalls war in seinem Lebensplan nicht vorgesehen.

      Mahmut war da schon deutlich impulsiver. Seine Gemächlichkeit bei der Arbeit stellte die von Daniel so sehr in den Schatten, dass die Kolleginnen ihre Frotzleien ganz auf ihn konzentrierten und Daniels Arbeitstempo völlig übersahen. Aber manchmal – wenn auch selten – bekam Mahmut regelrechte Anfälle von Hektik und Arbeitswut. In einem solchen Anfall begann er jetzt Orangen und Pulvertüten in unterschiedliche Kartons zu sortieren.

      „Der Chef wird das merken“, meinte Daniel. „Schließlich werden die Apfelsinen nachher in der Kasse fehlen. Kein Mensch klaut fünfzig Kilo Apfelsinen.“

      Mahmut drückte ihm einen Karton voller Orangen in die Hand. „Geh zur Kasse und kauf die. Anschließend stellst du sie wieder auf den Stapel.“

      „Was, von meinem Geld?“

      „Mann, bist du bescheuert oder was? Wir sitzen hier auf einem Vermögen, begreifst du das nicht? Das hier ist das pure Gold in Tüten!“

       Auf der Suche nach der Lieferung

      Don Luciano hielt viel vom Delegieren. Was man delegierte, das musste man nicht selbst tun. Wovon er nichts hielt, das war Vertrauen. In einer Organisation wie der seinen, fand er, war äußerstes Misstrauen angebracht. Und überall anders übrigens auch.

      Deshalb verwendete er ein System, das seines Wissens der KGB einst erfunden hatte und das sich wunderbar bewährte: Jede Aktion musste von drei Leuten ausgeführt werden. Beauftrage man einen oder zwei, dann war die Gefahr groß, dass sie einen hintergingen. Waren es aber drei, dann wusste jeder, dass einer von ihnen ein Spitzel war, und es war so gut wie ausgeschlossen, dass sie sich zu irgendwelchen Eigenmächtigkeiten verabredeten. Einer von ihnen würde reden, das wusste jeder, und deshalb versuchte jeder, dem zuvorzukommen und der erste zu sein, der jede kleine Unregelmäßigkeit sofort meldete.

      Ja, fand Don Luciano, das hatte der KGB sich sehr gut ausgedacht.

      Und deshalb saß Silvio Francini jetzt mit zwei Männern zusammen, um die Suche nach dem verschwundenen Koks mit ihnen zu besprechen.

      Umberto war ein aufstrebender junger Mann, studierter Betriebswirt und mit einer Tochter des Padrone verheiratet. Er ereiferte sich.

      „Aber wie können wir diesen Container suchen, ohne alle Welt auf ihn aufmerksam zu machen? Wenn es heißt, Don Luciano sucht einen verlorengegangenen Container mit kolumianischen Orangen, dann weiß doch sofort jeder, was los ist. Nein, das ist völlig unmöglich. Wir sollten ihn abschreiben. Ich habe mir das durchgerechnet. Es ist zwar ein ordentlicher Verlust, aber es bringt uns nicht um. Viel schlimmer wäre es, wenn man uns auf unsere Transportwege käme und sie dicht machte. Das wäre dann wirklich ein Verlust, den wir so schnell nicht verkraften könnten.“

      Der dritte Mann in Silvios Büro hieß Rudolfo. Er war schon älter und seine vielen Narben bewiesen, dass er das Geschäft von der Pike auf gelernt hatte. Gerüchte besagten sogar, dass er dem Padrone mehr als einmal das Leben gerettet habe; das war aber auch der einzige Grund, fand Silvio, ihm eine so verantwortungsvolle Position anzuvertrauen.

      „Das können wir unmöglich tun“, sagte Rudolfo. „Die anderen Familien würden sich scheckig lachen. Der Verlust an Ansehen wäre wirklich schwerwiegend. Wir müssen diesen Container suchen, finden und hierherschaffen.“

      „Aber wenn wir erst gar nicht suchen, dann müssen die anderen doch gar nichts davon erfahren! Sobald wir suchen, wissen es alle.“

      Die Diskussion hatte sich schon drei Mal im Kreis gedreht, und jetzt wurde es Silvio zu bunt. Warum nur hatte der Padrone ihn mit diesen Eseln gestraft? Er griff zum Telefon und rief seinen Kontakt bei der Hafenbehörde an.

      „Hallo? Hier ist Silvio Francini vom Büro Don Lucianos. Ich hätte da mal ein kleines Anliegen.“

      Rudolfo und Umberto starrten ihn sprachlos an, und der Mann bei der Hafenbehörde musste erst einmal beruhigt werden.

      „Aber nein, mein Lieber, nein! Alles in bester Ordnung. Nein, es fehlt nichts, alles da. Doch, der Padrone ist sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit. Aber was ich sagen wollte: Wir haben hier einen Container zu viel bekommen. Der Padrone würde ihn gern an seinen ursprünglichen Adressaten weiterleiten. Könnten Sie mir den bitte raussuchen? Ich gebe Ihnen die Daten. Meinen Sie, Sie könnten das vor Mittag noch rausfinden? Wir wären Ihnen sehr verbunden. Der Padrone möchte gerne, dass alles seine Ordnung hat. Ja, ist klar. Wir erwarten dann Ihr Fax. Meinen ganz herzlichen Dank. Und schöne Grüße an Ihre liebe Frau!“

      So. Am liebsten hätte er gesagt: Da könnt ihr mal sehen, wie man sowas macht, ihr Pfeifen. Aber so etwas sagte man natürlich nicht zum Schwiegersohn des Chefs.

       Die Tüten verschwinden

      Wenn