Eva Finkenstadt

Gold in Tüten


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der ganze Minimarkt in hellen Flammen gestanden hätte, er hätte nicht schneller arbeiten können.

      Der Chef des Minimarkts hielt ebenso wie Don Luciano viel davon, Arbeit zu delegieren. Im Gegensatz zu diesem hielt er auch viel davon, Verantwortung abzugeben. Seiner Ansicht nach bereitete es so viel Mühe, die Angestellten ständig zu überwachen, dass man die Arbeit dann ebenso gut auch gleich selbst erledigen konnte. Also ließ er es bleiben. Natürlich behielt er Neueinstellungen eine Zeitlang unauffällig im Auge; aber sobald er sich von ihrer Zuverlässigkeit, ihrer Ehrlichkeit und ihrer Kompetenz überzeugt hatte, konnten seine Angestellten mehr oder weniger tun und lassen, was sie wollten. Auf diese Weise hatte er im Lauf der Jahre ein Team zusammenbekommen, das sehr selbstständig und mit Freude arbeitete.

      Zur Zeit saß er in seinem Büro am Computer und überließ den Laden sich selbst, überzeugt davon, dass alles seine gewohnten, ruhigen Gänge ging.

      Diese Einstellung ihres Chefs kam Daniel und Mahmut jetzt zugute. Niemand hielt sie auf, als sie einzeln und so unauffällig wie möglich volle Kartons zu Daniels Auto schafften und dort im Kofferraum verschwinden ließen. Zudem wurden die kolumbianischen Orangen auf die Obstwagen vor der Ladentür gebracht und dort so platziert, dass sie sich so schnell wie möglich verkauften.

      Gegen halb elf ließ der vormittägliche Kundenansturm im Minimarkt etwas nach und Marlies nutzte die Zeit für eine Zigarettenpause. Kaum war sie um die Ecke verschwunden, da schleppte Mahmut zwei Kisten voller kolumbianischer Orangen zur Kasse, um sie zu kaufen und anschließend wieder im Lager verschwinden zu lassen. „Wir kriegen nämlich Besuch“, erklärte er, und Anna, Marlies’ Kassenvertretung, nickte verständnisvoll. Sie ging wie selbstverständlich davon aus, dass Familien, die aus dem Nahen Osten stammten, viele Mitglieder hatten und kiloweise Orangen verzehrten.

      Wenn die Morgenschicht zu Ende war und die Nachmittagsbesetzung Dienst hatte, wollten Daniel und Mahmut ihre fingierten Einkäufe wiederholen und weitere zwanzig Kilo kaufen, und damit würde dann das Verschwinden von fünfzig Kilo Orangen hinreichend erklärt sein. Und das Kassensystem eines deutschen Einzelhändlers kann sich nicht irren – das sei das Finanzamt vor!

       Die Spur führt nach Deutschland

      Zur gleichen Zeit erhielt Silvio Francini in Neapel ein Fax, aus dem hervorging, dass die Orangen Don Lucianos eigentlich für die Filiale einer deutschen Einkaufsgemeinschaft in der Nähe von Frankfurt bestimmt waren.

      Versonnen blickte Silvio auf das Papier in seinen Händen. Die Hafenbehörde hatte zügig reagiert. Eine deutsche Einkaufsgesellschaft also, die wiederum viele kleine Einzelhändler belieferte. Deren Orangen waren bei Don Luciano gelandet, und es musste doch mit dem Teufel zugehen, wenn die nicht im Austausch den Container bekommen hatten, der für Italien bestimmt gewesen war.

      Den Ort, an dem die Filiale sich befand, hatte er erst googeln müssen. Aber auch das hatte ihm nicht viel weitergeholfen.

      Sie mussten jetzt handeln, und zwar so schnell wie möglich. Jede Sekunde zählte. Noch mochte es nicht zu spät sein, die Ware wiederzubekommen. Aber wenn sie erst einmal entdeckt wäre – es wäre nicht abzusehen, was dann geschehen konnte. Schlimmstenfalls hatten sie die deutsche Polizei auf dem Hals. Silvio hatte gehört – wenn er es auch nicht so recht glauben konnte –, die könne man nicht bestechen.

      „Das ist also die Lage“, sagte er. „Wir haben in Deutschland keine Interessen und folglich auch keine Vertreter. Das sind die Geschäfte in anderen Händen. Vielleicht könnten wir bei den anderen Familien nachfragen, ob die nützliche Verbindungen haben. Aber das kann natürlich nur die allerletzte Lösung sein. Hat jemand eine bessere Idee?“

      Zu Silvios Überraschung hatte Umberto, der Schwiegersohn, einen Vorschlag, der sich außerdem auch noch gut anhörte.

      „Ein Kommilitone von mir hat sich in Frankfurt selbstständig gemacht“, erzählte er. „Betreibt eine Beraterfirma für genau diese Art von schwierigen Fällen. Wir könnten ihn anrufen. Er ist sehr einfallsreich und kennt viele wichtige Leute.“

      Natürlich wollte der Schwiegersohn Pluspunkte sammeln beim Chef, das war Silvio klar. Schließlich hatte der Padrone noch keinen Nachfolger benannt. Allerdings vergab der Don keine Pluspunkte. Es war ein weit verbreitetes Missverständnis, das nie aufgeklärt wurde; denn bisher profitierte die Familie davon, dass jeder versuchte, beim Don zu punkten. Altmodisch, wie er war, würde der Padrone eines Tages seinen Nachfolger nach der Persönlichkeit auswählen, nicht nach irgendwelchen Verdiensten, dachte Silvio.

      Aber sei’s drum; ein guter Vorschlag war ein guter Vorschlag, egal von wem und warum er kam. Silvio ließ sich die Karte der Beratungsfirma geben und ging damit hinein zu Don Luciano.

      „Was soll das heißen?“, rief der Don. „Irgendwelche stinknormalen Obstverkäufer haben meinen Koks?“

      „So sieht es fast aus, Padrone.“

      „Was für eine verdammte Schweinerei! Wir haben hart dafür gearbeitet! Nehmt ihnen das Zeug wieder ab, aber pronto.“

      „Wir arbeiten daran. Umberto hat vorgeschlagen, diese Agentur hier einzuschalten. Er kennt den Inhaber persönlich. Wenn Sie mal einen Blick darauf werfen wollen?“ Und Silvio überreichte die Visitenkarte von Umbertos Studienkollegen.

      „Wenn der Typ unzuverlässig ist, dann drehe ich Umberto seinen verfluchten Hühnerhals um, egal, was seine Frau dazu sagt.“

      „Ja, Padrone.“

      „Der Kerl ist ein Schleimscheißer und geht mir ganz fürchterlich auf die Nerven. Meine Tochter muss den Verstand verloren haben.“

      „Ja, Padrone.“

      „Ach, wissen Sie was, Silvio, ich rufe da selbst an. Will doch mal sehen, was das für ein Mensch ist, den Umberto uns empfiehlt.“

      Und Don Luciano griff zum Hörer, um mit Frankfurt zu telefonieren.

       Luisa übernimmt den Auftrag

      Umbertos Freund Friedhelm nannte sich zwar Berater, aber er betrieb eine sehr eigenwillige Agentur. Er war spezialisiert auf Fälle, die Tatkraft, Einfallsreichtum und gute Verbindungen zu allen möglichen Kreisen erforderten und die einen ansehnlichen Profit abwarfen.

      Als Don Luciano in Frankfurt anrief, saß Agenturchef Friedhelm gerade mit seiner Assistentin Luisa bei einem späten Vormittagskaffee. Der Anruf aus Neapel kam ihm gerade recht; sie hatten in den letzten Wochen einige gute Aufträge abgeschlossen, bis auf einen alle erfolgreich, und hatten zur Zeit wenig mehr zu tun als auf die Bezahlung ihrer Rechnungen zu warten.

      „Das ist was für dich, Luisa“, sagte Friedhelm, als er das Telefonat beendet hatte. „Ein Herr aus Neapel, der sich selbst Don Luciano nennt – mit einer Selbstverständlichkeit, als gäbe es keine Nachnamen auf der Welt. Er vermisst einen Container voller Orangen aus Kolumbien, die versehentlich nach Deutschland geliefert worden sind. Drei Mal darfst du raten. Jedenfalls sollen wir ihm das Zeug unauffällig wieder herbeischaffen.“

      „Könnte eine Falle sein“, meinte Luisa und ließ gelangweilt ihren Kaffee in der Tasse kreisen.

      „Könnte. Muss aber nicht. Jedenfalls hab ich den Auftrag angenommen. Sie haben einen Container nach Neapel geliefert bekommen, der eigentlich für ein deutsches Verteilzentrum bestimmt war. Und jetzt glauben sie, dass die hier ihre Ware haben. Die genauen Daten krieg ich noch per Fax.“

      „Wenn wir Glück haben, wissen die Deutschen von nichts“, meinte Luisa. „Es könnte aber auch eine absichtliche Verwechslung gewesen sein, und in dem Fall müssen wir uns auf Widerstand gefasst machen. Dann kriegen wir Ärger mit dem, der die Container umgeleitet hat.“

      „Du übernimmst den Auftrag also?“

      „Ja klar.“

      Luisa mochte Aufträge mit vielen Unwägbarkeiten, bei denen sie improvisieren musste. Sie gaben ihr das Gefühl, besonders wach und klar zu sein, konzentriert bis in die Fingerspitzen. Ein Artist auf dem Hochseil mochte sich ähnlich lebendig fühlen.

      Bei