Eva Finkenstadt

Gold in Tüten


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womöglich schlafende Hunde wecken. Und falls ein Dritter hinter Don Lucianos Ware her war, musste sie jede direkte Konfrontation vermeiden und einen unverfänglichen, am besten einen halb offiziellen Eindruck hinterlassen.

      Sie mietete eine Garage bei einer kleinen Spedition, die ihres Wissens völlig unbelastet war und so sauber arbeitete, wie eine Spedition heutzutage arbeiten kann; das heißt, lediglich ihren Fahrern Hungerlöhne zahlte und mit den Fahrtenschreibern trickste.

      Dann rief sie den Filialleiter der Einkaufsgesellschaft an. Sie entschied sich dafür, die Geschichte von der Spinne in der Yuccapalme zu benutzen, und machte es dringend. So weit sie es absehen konnte, waren damit alle Eventualitäten abgedeckt. Und wenn sich noch etwas Unvorhersehbares ergeben sollte, dann bot ihr diese Geschichte immer noch genügend Spielraum für Reaktionen in alle möglichen Richtungen. Doch, der Auftrag gefiel ihr.

      Wenn alles glatt lief, würde die Filiale jetzt die Orangen wieder für sie einsammeln, und dann brauchten sie nur noch eine Rechnung dranzukleben und sie nach Neapel weiterzuschicken. Aber Luisas Erfahrung nach lief sehr selten alles glatt. In diesem Fall würde es noch Probleme geben, das spürte sie genau, und sie freute sich darauf.

       Wohin mit dem Koks?

      Die Vormittagsschicht im Minimarkt endete zwischen ein und zwei Uhr, zwischen zwölf und eins trat die Nachmittagsbesetzung ihren Dienst an. Das gab den wenigen Vollzeitkräften die Gelegenheit zu einer ausgiebigen Mittagspause. An diesem Montag hatten sich Daniel und Mahmut verabredet, gemeinsam Burger essen zu gehen. Schließlich hatten sie ja etwas miteinander zu besprechen. Vorsichtig wie selten fuhren sie mit ihrem Koks im Kofferraum und hielten sich an jede einzelne Geschwindigkeitsbeschränkung.

      Sie fanden einen freien Tisch in der Ecke, und eine Gruppe lärmender Schüler am Nebentisch sorgte mit ihrer Geräuschkulisse dafür, dass sie sich ungehört unterhalten konnten.

      „Und was nun, du Held?“, fragte Daniel, kaum dass sie mit ihren Burgern am Tisch saßen. „Jetzt stehen wir ganz schön dumm da!“

      „Also erstmal hab ich uns das Leben gerettet. Das wollen wir doch mal festhalten.“

      „Ja vielleicht, mag sein – aber wie geht’s jetzt weiter?“

      „Jetzt müssen wir das Zeug nur noch verkaufen, und dann schwimmen wir in Geld und müssen nie wieder arbeiten.“

      „Und als nächstes wirst du mir jetzt wahrscheinlich erzählen, dass du zufällig einen Großabnehmer für fünfzig Kilo unverschnittenes Kokain kennst, den wir dann nur noch besuchen müssen.“

      „Naja, eigentlich nicht. Den müssen wir natürlich erst noch finden.“

      „Na prima. Und wie hast du dir das vorgestellt? Wir können ja schlecht eine Anzeige aufgeben.“

      „Darüber habe ich natürlich den ganzen Vormittag nachgedacht. Und du brauchst gar nicht so skeptisch zu gucken. Wie ich die Sache sehe, haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder wir versuchen es bei einer Rockerbande oder im Rotlichtmilieu. Also Rockbar oder Paradise.“

      Daniel lehnte sich über den Tisch und sah seinen Kollegen eindringlich an. „Mahmut, du kannst nicht einfach da reinschneien und fragen, ob jemand vielleicht kiloweise Koks kaufen will. Die hauen dir eine Keule übern Schädel und verduften mit dem Zeug. Und außerdem gibt es ja auch noch die rechtmäßigen Besitzer, die vielleicht schon nach ihrer Ware suchen. Die zählen doch zwei und zwei zusammen, wenn du überall rumrennst und verkündest, dass du was zu verkaufen hast.“

      Er lehnte sich wieder zurück und schloss seufzend: „Ich muss verrückt gewesen sein, dass ich mich auf sowas eingelassen habe.“

      „Naja, natürlich müssen wir das ein bisschen diskret machen. Dürfen nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und so. Aber da draußen laufen so viele Typen rum, die verzweifelt nach Koks suchen. Da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht einen davon finden würden.“

      „Mahmut, ich glaube, du nimmst die Sache nicht ernst.“

      „Nun sei doch nicht so pessimistisch! Lass uns heute abend mal in die Rockbar gehen, nur so ein bisschen rumhorchen. Und morgen gehen wir dann ins Paradise.“

      Daniel dachte noch einmal, er müsse verrückt gewesen sein. Aber er würde mitgehen. Natürlich würde er mitgehen. Der Himmel allein mochte wissen, was Mahmut anstellen würde, wenn man ihn allein gehen ließe.

      Als die beiden nach ihrer Pause wieder zurück in den Laden kamen, wartete der Chef schon auf sie. Es war ein Fax gekommen, das die kolumbianischen Orangen wegen möglicher Qualitätsmängel zurückrief, und fast die Hälfte davon war schon verkauft gewesen. Über die beiden ging Das Große Donnerwetter nieder, das jeden Verkäuferlehrling erwartet, der frische Ware ins Regal räumt, bevor die ältere verkauft ist. Sie ließen es mit gesenkten Köpfen über sich ergehen und trugen es mit Fassung.

       Unter Rockern

      Die Rockbar war eine Institution. An Wochenenden waren Daniel und Mahmut schon darin gewesen. Die Rocker hatten keine Berührungsängste zu Normalbürgern und ihre Öffnungszeiten richteten sich nach dem Bockprinzip; so war ihre Kneipe zu einer beliebten Anlaufstelle für späte Nachtschwärmer geworden.

      „Wenn wir jetzt zufällig die Leute fragen, denen das Zeug eigentlich gehört, dann sind wir toter als tot“, knurrte Daniel noch vor der Eingangstür, und Mahmut meinte: „Vertrau mir doch einfach.“

      „Lieber nicht“, murmelte Daniel noch halblaut vor sich hin. Dann setzten sie sich an die Bar.

      Getreu der alten Regel, dass der Barmann im Zweifel am besten Bescheid weiß und die besten Tipps für alle Lebenslagen parat hat, versuchten sie ein Gespräch mit dem Rocker hinterm Tresen anzuknüpfen. Der erwies sich aber als ziemlich wortkarg und wollte nicht so recht auf die beiden eingehen.

      Schließlich fragte ihn Mahmut ganz direkt: „Sag mal, was würdest du eigentlich machen, wenn du zufällig fünfzig Kilo Koks finden würdest?“

      „Einen großen Bogen drum herum“, erwiderte der Rocker trocken; und einen großen Bogen machte er fortan auch um Daniel und Mahmut und sprach mit ihnen nur noch das Nötigste.

      „So geht das nicht“, sagte Mahmut. „Wir müssen mit den Leuten ins Gespräch kommen.“

      Er ging zu drei Männern hinüber, die sich am anderen Ende des Tresens miteinander unterhielten, und fragte: „Kann ich diesen Barhocker hier haben?“

      Der breiteste von den dreien blickte auf und antwortete: „Nimm ihn. Und wenn du mich noch einmal im Gespräch störst, schlag ich dir die Nase platt.“

      Mit einem Barhocker in den zitternden Händen kam Mahmut zurück und sagte zu Daniel: „Weißt du, was der zu mir gesagt hat? Weißt du, was der gesagt hat? Er schlägt mir die Nase platt, hat er gesagt!“

      Daniel fand, mit so etwas habe man rechnen müssen. Aber Mahmut war nachhaltig verstört. Er trank sein Bier aus, bestellte entgegen seiner Gewohnheit kein neues und ging früh nach Hause.

      Daniel hatte es weniger eilig. Er saß nicht lange allein an der Bar, ein anderer einzelner Gast gesellte sich zu ihm. Daniel erinnerte sich an Mahmuts Frage von vorhin, die er gar nicht mal so ungeschickt gefunden hatte, und fragte in unverbindlichem Plauderton: „Sag mal, was würdest du eigentlich machen, wenn du zufällig fünfzig Kilo Koks finden würdest?“ Und als der Mann ihn verwundert ansah, fügte er hinzu: „Ich meine, andere überlegen sich schon mal, was sie mit einer Million im Lotto machen würden, das ist doch auch so eine Frage, oder?“

      „Wie sollte man denn fünfzig Kilo Koks finden?“

      „Angenommen, jemand hat es im Wald vergraben und dein Hund buddelt es aus?“

      „Hast du denn einen Hund?“

      „Nein.“

      „Hätte aber gut zu dir gepasst. Du siehst so aus, als könntest du einen haben“, meinte der Mann. Dann begann er begeistert zu erzählen, wie toll