Louis Geras

Zwiebelsuppe à la Jules


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er das Büro, wanderte lautlos langsam durch die langen, mit weichen Teppichen ausgelegten Gänge zum Lift und fuhr mit den leise vor sich hin summenden Lift vom fünften Stock ins Erdgeschoss, ohne irgendjemanden, den er kannte, zu treffen. Was ihn nicht weiter betrübte.

      Nachdem sich die elektronischen Eingangstüren leise gleitend hinter ihm wieder geschlossen hatten, blieb er stehen, blinzelte in das Sonnenlicht und atmete die angenehme Frühlingsluft tief ein. Dann wandte er sich noch einmal um und sein Blick wanderte über die graue Fassade des Hochhauses in der sich das Büro der Werbeagentur befand. Während er hinaufsah zu den geschlossenen Fenstern seiner Abteilung, hatte er plötzlich das unbestimmte Gefühl, dass er dieses Gebäude, in dem er die letzten fünf Jahre gearbeitet hatte, nicht mehr betreten würde.

      „Eine Woche Urlaub.“, murmelte er gedankenverloren vor sich hin. Aber trotzdem empfand er diese unbewusste Abschiedsstimmung

      … und eine seltsame Erleichterung.

      Als er seine Wohnung in der westlichen Vorstadt erreichte, war es fast achtzehn Uhr. In einer Stunde würde es Dunkel sein. Der Abendverkehr verstopfte die Straßen und hektisches Treiben von unzähligen Stadtbewohnern erschwerte das Fortkommen zusätzlich, da er bei jedem Zebrastreifen stehen bleiben musste.

      Seinen Parkplatz vor dem Wohnblock hatte der Freund seiner Nachbarin wieder belegt - (Dieser Trottel wird es nie lernen!) - so dass er sein Auto kurzerhand direkt dahinter abstellte, was, wie er aus Erfahrung bereits wusste, einen unglaublichen Wutausbruch von Seiten des Freundes von Maria Lingard, heraufbeschwören würde.

      Er betrat das Treppenhaus und schlich sich leise die Stufen hinauf. Als er jedoch seine Wohnungstür erreichte, öffnete sich einen Stock über ihm hastig eine andere.

      Susanne Weichselbaum klapperte mit ihren Pantöffelchen heraus und beugte sich, mit einer Hand die wasserstoffblonden Haare zurückhaltend, über das hölzerne Geländer. Wie so oft in den letzten Wochen hatte sie offensichtlich auf ihn gewartet. Nur mit einem leichten Morgenrock in Pink bekleidet – er reichte kaum aus um ihren üppigen Körper ganz zu umhüllen -, flötete sie einen Gruß zu ihm herunter.

      Seit Christinas spektakulärem Auszug hatte sie keine Hemmungen mehr sich ihm ständig aufzudrängen. Sie nützte jede Gelegenheit um sich bei Alex bemerkbar zu machen. Brachte den Müll gerade hinunter, wenn er nach Hause kam. (Als hätte sie den ganzen Tag keine Zeit!) Fragte nach Zucker, Mehl oder Klopapier. (Als wär er ein Kaufhaus mit riesigen Lager!) Flehte um Hilfe, weil sich der Abfluss verstopft hatte (Sah er etwa aus wie ein Klempner?), oder versuchte Alex sonst irgendwie zu angeln.

      Alex blickte genervt zu ihr hoch. Um ihren Aufdringlichkeiten zu entgehen, hatte er in den letzten Wochen angefangen, sich möglichst leise ins Haus zu schleichen, jeden Rhythmus in seinem Tun zu vermeiden und sich auch sonst nicht bemerkbar zu machen. Doch heute – Alex war inzwischen schon überzeugt, dass dieser Tag mit einem bösen Fluch belegt war - hatte sie ihn erwischt.

      „Hallo, Alex.“, flötete sie lautstark durchs Treppenhaus. „Mein Kaffee ist alle. Könnest Du mir etwas borgen?“ Während sie das sagte, drückte sie ihren Rücken durch, so dass sich ihre üppigen Brüste einen Weg ins Freie suchten, jedoch zum Glück vom hölzernen Geländer aufgefangen wurden, über welches sie sich beugte. Das stark geschminkte Gesicht und die knallroten aufgeworfenen Lippen gaben Alex den Rest.

      Ohne noch ein Wort von sich zu geben, flüchtete er in seine Wohnung und warf die Tür mit einen lauten Knall hinter sich zu.

      „Wenn das kein Grund ist um Schwul zu werden, was dann?“, knurrte er in den leeren Vorraum, der vor ihm lag. Für einen Moment erschien es ihm, als würden seine Worte in der großen Leere des Raumes widerhallen.

      Christina hatte vor etwas mehr als drei Wochen endlich ihre Schuhe geholt. Seit dieser Stunde war der Vorraum ungewöhnlich kahl und leer. Alex hatte immer noch Probleme damit, dass wenn er den Raum betrat, die weiße Wand ihm entgegen knallte, denn die Regale, in denen die Schuhe gestanden hatten, waren ebenso verschwunden.

      Achtlos warf er seine Jacke auf das einzige im Vorraum zurückgebliebene Möbelstück - einen alten wackligen Stuhl, der nicht zur übrigen Vorzimmereinrichtung gepasst hatte - und schlüpfte aus seinen Schuhen, die er, um die Leere etwas auszufüllen, in der Mitte des Zimmers stehen ließ.

      Geradeaus lag das Wohnzimmer. Da es ihm jedoch graute dorthin zu gehen – Christina hatte auch hier alles Brauchbare mitgenommen - bog Alex nach links ab, um in die Küche zu gelangen.

      Es war der einzige Ort den Christina so belassen hatte, wie er gewesen war. Wahrscheinlich könnte Alex ihren Aufenthalt in diesem Raum an seinen Fingern abzählen, wenn er wollte. Daher hatte sie ihn verschont.

      Als Alex Christina kennen lernte – vor etwas mehr als drei Jahren – hatte sie ihm sofort zu verstehen gegeben, dass die Küche sie nicht interessiere. Sie sagte: „Die Küche ist ein Ort der Unterdrückung der Frau. Ich werde nicht für Dich kochen, geschweige denn putzen. Schließlich bin ich emanzipiert und außerdem kostet einer meiner Fingernägel mehr als vierzig Euro.“

      Eigentlich hätte Alex sich so seine Gedanken darüber machen müssen, aber Alex war verliebt, und dementsprechend blind, taub und bescheuert. Daher hatte er diese Aussage nicht so wörtlich genommen. Doch nachdem sie einige Wochen später bei ihm eingezogen war, wurde ihm bewusst, dass sie es vollkommen ernst gemeint hatte. Vom ersten Tag an war klar, wer für die Küche zuständig war. Und das war nicht Christina!

      Alex hingegen kochte für sein Leben gern. Während er Zwiebeln schnitt, Nudeln abgoss oder Zucchini raspelte – Alex liebte Zucchini-Salat, ganz im Gegensatz zu Christina - hatte er die besten Ideen und letztens - beim Anbraten des Steaks - entwickelte er eine neue Marketingstrategie für ihren Hauptkunden von der seine Vorgesetzten begeistert gewesen waren.

      Alex legte das Messer weg und holte einen der Töpfe heraus. „Verdammt noch mal“, durchfuhr es ihn plötzlich, ‘“Letztens… das war…das war…“, Alex stand mit dem Topf in der Hand da und überlegte, „… vor mehr als sechs Monaten. „ Als er den Topf auf die Herdplatte stellte, stieß er erstaunt hervor. „Was, zum Teufel noch einmal, habe ich bloß die letzten sechs Monate getan?“

      Er stand da und starrte in den leeren Topf, als würde sich darin die Antwort befinden. Es wurde ihm bewusst, dass er in den letzten Monaten rein gar nichts getan hatte. Er hatte seinen Job vollkommen vernachlässigt, hatte sämtliche Kontakte zu seinen Freunden abgebrochen und seine Wohnung sah - dort wo sie noch bewohnbar war, weil Möbeln vorhanden - aus, wie ein Schweinestall.

      Alex fuhr sich durch sein kurzes dunkles Haare und ließ sich erschüttert auf den Barhocker neben dem Herd plumpsen. Verwundert über diese Erkenntnisse der letzten fünf Minuten murmelte er: „Wenn ich mein Chef wäre, ich hätte mich schon längst gefeuert.“

      Der Appetit war ihm nun restlos abhandengekommen. Die geschnittenen Zwiebeln blieben am Brett liegen, dass nur wenig Spielraum zwischen dem ungewaschenen Geschirrbergen fand und Alex schlurfte niedergeschlagen ins Schlafzimmer und verkroch sich in seinem Bett, welches momentan aus einer am Boden liegenden Matratze bestand. Das dazugehörende Gestell war gemeinsam mit der Kommode und dem Kleiderkasten - berstend voll mit Christinas Kleidungsstücken – ebenfalls verschwunden.

      Alex wunderte sich immer noch, wie schnell Christina beim Ausräumen gewesen war. Sie musste eine ganze Kompanie von Trägern zur Hilfe mitgebracht haben. Nur so konnte er sich erklären, dass sie innerhalb des Zeitraums, zwischen seinem Verlassen der Wohnung am Morgen und seiner Heimkehr abends, so gründlich alles ausräumen konnte.

      Als er an jenem Abend, vor zirka zwanzig Tagen, die Wohnung betreten hatte, dachte er im ersten Moment, er hätte sich in der Wohnungstür geirrt und nur durch einen dummen Zufall, sperrte sein Schlüssel auch dieses fremde Schloss auf. Er war zurück auf den Gang getreten und hatte sich, verunsichert durch die Leere des Vorraumes, das Namensschild neben der Tür genauer betrachtet. Aber darauf stand, wie nicht anders zu erwarten: ‚Alexander Wolf und Christina Perner‘. Wobei zugegebenermaßen Christinas Name schwer leserlich war, da er ihn in einem Anfall von Frust und Wut mit schwarzer Farbe übermalt hatte. Trotzdem schimmerte