Louis Geras

Zwiebelsuppe à la Jules


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kam hinter den Tresen hervor, wobei er mit einen nun schon etwas schmutzig wirkenden Geschirrtuch geschäftig über den Tresen wedelte, und nahm die Bestellung auf.

      Von seiner fülligen Gestalt verdeckt öffnete sich die Tür abermals und ließ einen Schwall kalter Luft in den verrauchten Raum, ohne das Alex erkennen konnte, ob jemand den Raum betrat oder verließ. Es war ihm auch egal, da er sein Glück kaum fassen konnte, als Jules - gut gelaunt über die erfolgreichen Geschäfte der letzten Stunden - ihm einen Rest seiner Zwiebelsuppe anbot.

      Jules‘ Zwiebelsuppe - original Französisch, wie er mit starkem französischem Akzent betonte - war bekannt für seinen exzellenten Geschmack und Alex war wahrhaftig dankbar dafür letztlich in dieser Nacht noch etwas Genießbares zu bekommen. Bis sie der Wirt aufgewärmt hätte, würde er einen Cognac zu sich nehmen, teilte er gut gelaunt dem Wirt mit.

      Jules verschwand hinter seiner Theke, um kurz darauf einen Cognac-Schwenker vor Alex abzustellen.

      Alex griff danach und so wie er es in vielen Filmen gesehen hatte, fing er an das Glas vor seiner Nase hin und her zu schwenken, wie man es von Kennern kennt. Konnte jedoch keine Geruchsveränderung wahrnehmen, was wahrscheinlich an der dicken Luft im Bistro lag. Schließlich zuckte er die Schultern und kippte - ohne weitere Achtungsbezeugungen gegenüber der goldbraunen teuren Flüssigkeit - den Cognac hinunter.

      Im nächsten Moment brannte es höllisch in seinem Hals, so dass er nach Luft schnappte und loshustet, was seinerseits wieder Tränen in seine Augen trieb. Trotzdem winkte er todesmutig Jules mit seinem Glas zu, dass dieser als professioneller Wirt sofort verstand, ihm ein Lächeln und ein „Qui!“ entlockte und Alex ein neues gefülltes Glas bescherte. Dieses Mal war Alex bereits vorgewarnt und er trank das Hochprozentige langsamer und gelassener, so dass ihm ein neuerlicher Hustenanfall erspart blieb.

      Eine angenehme Wärme breitet sich kurz darauf in seinem Inneren aus und verdrängte etwas die leere Kälte, gegen die Alex in letzter Zeit ständig anzukämpfen hatte.

      Britta

      Als Britta Sanders zum zehnten Mal die Nummer ihres Freundes wählte, war sie den Tränen nahe. Er hatte es ihr versprochen. Er hatte ihr versprochen, dass er sie anrufen würde. Wütend drückte sie die Tasten. Eigentlich war es keine Wut, sondern eher Verzweiflung.

      Seit fast drei Tagen hatte er sich nicht gemeldet. Es war halb acht Uhr abends. Das war seine Zeit. Da rief er immer an. Nur nicht heute. Und auch nicht gestern und vorgestern. Und nun hatte sie es bereits zum zehnten Mal in der letzten halben Stunde versucht. Aber er ging einfach nicht ans Telefon. So als hätte er endgültig genug von ihr. Von ihr und ihren Vorstellungen von Liebe. Er hatte sich beim letzten Treffen über ihre Anrufe beschwert. Sie klammere zu viel, sagte er und warf ihr vor, sie erwarte mehr, als er ihr zurzeit geben könne. Aber ständig darauf zu warten, dass er sich bei ihr melden würde, war eine Qual.

      Wiederum erklang die monotone Stimme der Telefonsprecherin, die sie aufforderte später noch einmal anzurufen. Nahe daran das Telefon in die nächste Ecke zu schleudern, suchte sie ihren Weg durch die Menschenmassen. Alle strebten nach Hause. Rusch Hour. Fremde Gesichter, gesenkte Augen, distanzierte Blicke. Niemand schien sie wahrzunehmen. Die meisten sahen durch sie hindurch. Nur wenige blickten ihr kurz in die Augen. Gleichgültig, desinteressiert.

      Wie hatte es einer ihrer Ex-Freunde einmal treffend ausgedrückt: „Hübsch, aber kein Hingucker. Keine Modellmaße, keine langen Beine, keine blonden Haare, Sommersprossen. Sei froh, dass du mich abbekommen hast.“

      Mit einem Wort: Er war ein Arschloch. Eingebildet, großkotzig, ständig pleite. Er hatte ihr viel Geld gekostet, bis sie begriff, dass sie ohne ihm besser gestellt war.

      Giovanni, ihr jetziger Freund, hingegen war anders. Er war gebildet, weltgewandt, charmant und großzügig. Er sah unheimlich gut aus. Geradezu jugendlich, obwohl er gut und gerne fünfzehn Jahre älter war, als Britta. Schwarzes dichtes Haar - nur ein wenig graumeliert an den Schläfen - schlanke sportliche Figur, legere Boutiquen-Kleidung. Teuer und exklusiv, elitär.

      Sein einziger Nachteil war, dass er verheiratet war. Und das nicht mit ihr. Seine Frau - von der er sich natürlich schon seit langen emotional getrennt hatte – war krankhaft Eifersüchtig und hatte ihn finanziell in der Hand. Daher konnte er sich zurzeit keine Scheidung leisten. Aber er suchte, gemeinsam mit seinem Anwalt und Steuerberater, nach einer Lösung des finanziellen Debakels, damit er mit Britta endgültig immer zusammen sein könne.

      Britta verstand ihn. Sie konnte nicht von ihm verlangen, dass er sein ganzes Geld, seine Zukunft für sie opferte, nur damit er sie heiraten konnte. Naja, eigentlich verstand sie ihn nur teilweise. Britta hätte sofort auf das Geld verzichtet, nur um ihm nahe zu sein. Sie seufzte laut auf.

      Ihre Schritte hatten sich verlangsamt. Links und rechts neben ihr hasteten die Menschen an ihr vorbei. Sie fühlte sich losgelöst von der Wirklichkeit. Als würde sie in Zeitlupe dahingehen und alles andere in Zeitraffer vorbeiströmen. Niemand schenkte ihr Aufmerksamkeit. Trotz der vielen Menschen um ihr herum, fühlte sie sich einsam. Die Vorstellung alleine in ihrer Wohnung zu sitzen und auf Giovannis Anruf zu warten, vermieste ihr den Feierabend.

      Sie sah sich um. Vor ihr lag der Eingang zu einem Kino. Die Spätvorstellung würde in Kürze beginnen. Den Film hatte sie schon zweimal gesehen. Einmal mit ihrer Freundin Julia, die sich bei ihr eingenistet hatte, und einmal mit Giovanni. Wenn sie den Film sich noch einmal ansah, konnte sie sich vorstellen, dass Giovanni neben ihr saß und ihre Hand hielt. Wie gesagt: alles war besser als alleine zu Hause zu sitzen.

      Im letzten Moment – der Ticketverkäufer wollte gerade seine Schicht beenden – erreichte sie den Schalter. Als sie das Geld in die Tasse legte, bereute sie es bereits. Der Monat war noch lang, und wie immer das Geld knapp. Trotzdem nahm sie das Ticket und betrat den abgedunkelten Kinosaal. Vorsichtig tastete sie sich bis zu ihrem Sitz und setzte sich nieder.

      Links und rechts neben ihr raschelte und wisperte es. Geräusche von Chips-Tüten und geschlürfte Getränke drangen an ihre Ohren. Die Tüten und Pappbecher leerten sich. An deren Stelle trat zärtliches Gewisper, welches sich entsprechend der Handlung steigerte. Filmgestöhne vermischten sich schließlich mit realen Gestöhne einige Reihen hinter ihr.

      Je länger Britta im Kino saß, umso unerträglicher wurde es. Schließlich hielt sie es nicht mehr länger aus. Sie sprang auf und rannte den Seitengang entlang, vorbei an dem Pärchen, das im Schein des Filmes sie aufgebracht anstarrte, hinaus auf die Straße. Draußen blieb sie für einen Moment stehen und atmete mehrmals tief durch. Dabei warf sie ihren Kopf in den Nacken. Der sternenübersäte Nachthimmel breitete sich schwarz-samtig über ihr aus. Nur noch vereinzelt waren Fenster erleuchtet. Die Straße selbst war leergefegt. Brittas Magen knurrte. Ihr Kühlschrank war leer. Und die Restaurants hatten um diese Uhrzeit bereits geschlossen. Frustriert machte sie sich langsam auf den Heimweg.

      Zwei Straßen weiter leuchtete über dem Eingang zu einem Bistro der Name ‚Jules‘. Das Innere war noch beleuchtet und der Duft nach französischen Essen hing in der Luft. Sie blieb stehen, schnupperte, zögerte noch kurz. Dann drückte sie vorsichtig die Tür auf. Warme Luft strömte ihr gemeinsam mit leiser Musik entgegen. Rauchschwaden durchzogen den Gastraum. Einige wenige Gäste saßen an den Tischen.

      Sie steuerte einen der kleinen runden Tische an und knöpfte die Jacke auf. Der Wirt – ein schnurbärtiger Franzose – eilte an ihr vorbei und trug eine Suppe auf dem Tablett, welche herrlich duftete. Britta setzte sich nieder und als der Wirt sich mit einem charmanten Lächeln an sie wandte und sie nach ihren Wünschen fragte, sagte sie: „Bitte, könnte ich auch noch so eine Suppe bekommen?“

      Zwiebelsuppe

      Gerade erst war Jules mit einem Tablett erschienen, auf dem sich eine heiße Schüssel mit der hochgepriesenen französischen Zwiebelsuppe befand. Der wunderbare Duft, der sich davon ausgehend verbreitete, schwebte durch den Raum und überlagerte für einen Moment sämtliche anderen Gerüche.