Louis Geras

Zwiebelsuppe à la Jules


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Leid taten, ließ sich dazu verleiten, ihr doch noch etwas Nettes zu sagen. „Ihr Freund ist ein Idiot.“, sagte er mit vollkommen überzeugten Tonfall. Und als sie ihn unsicher ansah, fuhr er fort: „Wenn ich es wäre, würde ich Sie keinen Moment alleine lassen.“ Zögernd lächelte sie und hauchte ein „Danke!“

      Aber ehe Alex fortfahren konnte, nickte sie ihm verabschiedend zu, ging zum Tresen, wo sie Jules um die Rechnung bat und zahlte. Als sich die Tür hinter ihr schloss, blieb der Raum unangenehm leer zurück.

      Alex blickte ihr nachdenklich nach. Er war offensichtlich nicht die einzige Person, die derartige Probleme hatte. Was ihn zugegebenermaßen etwas tröstete. Gleichzeitig ärgerte er sich für seine Schwäche, für seine Unhöflichkeit und für sein Unvermögen mit anderen Menschen klar zu kommen. Nur so konnte er es sich erklären, dass jede seiner bisherigen Beziehungen gescheitert war. Er hatte Angst auch dieses Mal zu versagen.

      Als Jules die letzte Runde ausrief, bestellte er noch schnell zwei Cognacs und kaum standen sie vor ihm entleerte er sie hinter einander.

      Zahlte dann, und wankte heimwärts.

      Der nächste Tag begann mit Kopfschmerzen und Übelkeit. Alex brauchte bis in die späten Nachmittagsstunden, dass er es aus dem Bett schaffte. Nach einem kurzen Abstecher auf die Toilette schleppte er sich in die Küche, wo er das Risotto auf den Tisch stehend vorfand. Inzwischen hatte es einen eigenwilligen Geruch angenommen. Augenblicklich kam die Übelkeit wieder. Er unterdrückte den Brechreiz und entleerte angewidert den Teller in den Müll, kramte ein einigermaßen sauberes Glas aus der Spüle und löste darin sein letztes Aspirin auf, welches er ganz hinten in einer der Schubladen des Küchenschrankes entdeckt hatte.

      Nach dem ersten Schluck schleppte er sich ins ausgeräumte und daher nun weitläufige Wohnzimmer.

      Das einzige Möbelstück, welches sich noch darin befand, war ein alter ledernder Bürostuhl. Einige Stellen des Leders waren zwar durchgewetzt und so mancher Nahtfaden gerissen - daher lösten sich bereits Teile von der Lehne und das Innenleben kam zum Vorschein – aber es war trotzdem sein Lieblingsstuhl.

      Christina hatte ihn gehasst und Alex war stolz darauf, dass er jeden ihrer Anschläge gegen dieses einzigartige Lieblingsstück hatte abwehren können. Nun da seine Beziehung zu Christina so prekär geendet hatte, war er für Alex zu einem Symbol seines Widerstandes geworden. Das der Lederstuhl ziemlich hinüber war und im Grunde genommen in den Müll gehörte, war Alex nicht wichtig. Außerdem war es ein Glück gewesen, dass er so schäbig war, denn nur so war er Christinas gierigen Händen entronnen.

      Alex schob ihn vor das Fenster und ließ sich darauf niederfallen, was mit sich brachte, dass er sich die Hälfte des Glasinhaltes über sein letztes sauberes T-Shirt schüttete.

      Aber was machte dies schon aus. Alex wusste, dass er so nicht weiterleben wollte. Er musste etwas ändern. Aber er war zu sehr mitgenommen, als dass er sich zu mehr als diesen Gedanken aufraffen konnte.

      Mit leeren Augen stierte er aus dem Fenster. Die Sonnenstrahlen durchstießen immer wieder die Wolkendecke und wärmten die noch kühle Erde. Die Bäume hatten zu blühen begonnen und die Vögel zwitscherten so laut, dass Alex sie durch die geschlossenen Fenster hörte. Alles schien in Aufregung versetzt zu sein. Die Vögel verbreiteten hektisches Treiben. Mit Höllentempo flogen sie von Baum zu Baum oder verschwanden in den dichten Büschen um im nächsten Augenblick wieder, verfolgt von einen Rivalen, heraus geschossen zu kommen.

      ‚Frühling‘, dachte Alex, ‚Sollte man sich da nicht frisch verlieben, sich die Lebensgeister neu entfachen und das Leben freudig erwarten? ‘

      Alex‘ Seufzer verhallte ungehört im ansonsten leeren Raum. Das Glas fiel klirrend um, als er es auf den kalten Holzboden stellte und rolle einige Zentimeter weiter. Einige Tropfen bildeten Perlen auf den Parkett und die Sonne zauberte einen Regenbogen an die Mauer, als sie sich im Glas brach.

      Alex verlor sich beim Anblick darin. „Die Liebe muss so farbenfroh, wie dieser schillernde Lichtstrahl sein.“, sinnierte Alex mit einem Lächeln auf den Lippen.

      Mit diesem Gedanken schlief er ein.

      Die Kälte, die zurückblieb nachdem sich die Sonne der anderen Hausseite zugewandte hatte und dort letztendliche unterging, weckte Alex. Stöhnend richtete er sich auf und rieb sich sein steifes Genick. Es war schon wieder Nacht und die Laternen vor seinem Wohnzimmer warfen ihr fahles gelbliches Licht durch die Fenster in den dunklen Raum. Schatten zeichneten sich auf den Wänden und dem Boden ab. Düster und beängstigend wirkten sie auf Alex‘ Gemüt. Es fröstelte ihn. Hunger machte sich knurrend bemerkbar. Deutlich vernahm er es aus seiner Magengegend. Er tappe im Finstern wieder in seine Küche, aber bis auf ein vertrocknetes Käsestück und ein verdächtig grünlichschimmerndes Stück Wurst fand er nichts mehr im Kühlschrank. Er musste unbedingt einkaufen gehen, schaffte es aber nur bis in sein Schlafzimmer, wo er sich hungrig und einsam wieder in seinem Bett verkroch. Dort wälzte er sich unruhig von einer Seite zur anderen. Jedoch fand er keinen Frieden. Mit offenen Augen lag er da und verfolgte mit seinem Blick die Lichter der vorbeifahrenden Autos, die sich über die Decke seines Zimmers bewegten. Er war nicht müde, was kein Wunder war, da er den ganzen vergangenen Tag geschlafen hatte. Es hatte keinen Sinn hier liegen zu bleiben. Auch wurde das Hungerknurren bedenklich laut. Schließlich erhob er sich doch und zog sich einen Pulli über das verschmutzte T-Shirt und schlüpfte in seine noch immer mitten im Raum stehenden Schuhe.

      Die Türe schloss er dieses Mal leise und genauso leise schlich er auch das Stiegenhaus die Treppe hinunter. Die Angst, von seiner Nachbarin erwischt zu werden, motivierte ihn zu fast vollkommener Lautlosigkeit. Ein Ninja wäre vor Neid erblasst, ob dieser Leistung.

      Erleichtert atmete er auf, nachdem er die Haustür hinter sich geschlossen hatte. Ein Blick nach oben bestätigte ihn in seiner Annahme, dass Susanne Weichselbaum noch wach war. Er grinste vergnügt und streckte ihr, wie ein kleiner Rotzlöffel, die Zunge heraus. Er konnte sich nicht zurückhalten und kicherte leise vor sich hin. Jedoch blieb ihm das Lachen im Hals stecken, als er sich umdrehte um mit seinem Autoschlüssel sein Auto aufzusperren. Denn obwohl er mehrmals auf den Fernbedienung der Autotür drückte, leuchteten nirgends die Lichter seines Beetles auf. Verwundert betrachtete er seinen Schlüssel, schüttelte ihn und probierte es von neuen. Aber erst als er verärgert an sein vermeintliches Auto trat, um es klassisch - mit Schlüssel im Schloss - aufzusperren, bemerkte er zu seiner Verwunderung, dass da nicht sein Auto auf den Parkplatz stand. Erstaunt registrierte er das fremde Fahrzeug. Dann fiel ihm ein, dass er sein Auto dahinter geparkt hatte. Er umrundete das Fahrzeug und stand … vor nichts.

      Suchend drehte er sich mehrmals um die eigene Achse. Schließlich hielt er inne. Sein Kopf drehte sich und plötzlich begriff er. Es war weg. Sein Beetle war spurlos verschwunden. Er war fassungslos. Wie war das möglich? Er hatte ihn hier abgestellt. Genau hier hatte er gestanden. Alex war sich da ganz sicher. Irgendwo in seinem von Erinnerungslücken durchlöcherten Gehirn tauchten gelbe drehende Lichter auf und das boshafte Vergnügen, welches er empfunden hatte, als der Abschleppdienst das Auto auflud und davon fuhr. Nun hatte sich seine Boshaftigkeit gegen ihn gewandt. Er hatte sich selbst mit Schadenfreude bedacht. Es geschah im Recht.

      Trotzdem trat er wütend gegen das Auto, das schon wieder seinen Abstellplatz belegte. Alex war überzeugt, dass Bruno, der Freund der Nachbarin, den Abschleppdienst gerufen hatte. Als sich die Alarmanlage kreischend einschaltete, fiel Alex ein, dass der Mann mindestens einen Meter neunzig groß war und nach seinen Schultermaßen nach zumindest einem mittelgroßen Gorilla entsprach. Gehetzt warf er einen Blick in Richtung Haustür und beschloss der Klügere zu sein... und nachzugeben.

      Anstatt auf den Mann zu warten, rannte er den Gehsteig entlang in entgegengesetzter Richtung. Erst als der Alarm verstummte verlangsamte er seinen Schritt und ging nun gemächlich dahin, als würde ihn dies Alles nichts angehen.

      Britta II

      Der Morgen brach mit dem Presslufthammer im Kopf an. Mühsam