Thomas von Kempen

Anleitung zum geistlichen Leben


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des Lebens Jesu Christi.

      2. Die Lehre Christi übertrifft alle Lehren der Heiligen. Wer den Geist besitzt, findet

      in ihr verborgenes Himmelsbrot. Doch es ist nun einmal so: Viele hören die

      Frohbotschaft oft, spüren aber nur geringe Sehnsucht nach dem Evangelium. Es fehlt

      ihnen der Christusgeist (vgl. Röm 8, 9). Wer Christi Worte ganz verstehen und

      verkosten will, muss bestrebt sein, sein ganzes Leben ihm gleichzuformen. Was nützt

      es dir, tiefgründig über die Dreieinigkeit zu reden, wenn dir die Demut fehlt? Ohne

      sie missfällst du der Dreieinigkeit. Wahrlich, gelehrte Worte machen nicht den

      Heiligen und Gerechten. Das tut allein ein tugendhaftes Leben. Das macht dich Gott

      teuer. Lieber möchte ich den Schmerz der Reue spüren, als ihre Definition kennen.

      Wenn du die ganze Bibel auswendig wüsstest und kenntest dich in allen Lehren der

      Weltweisen aus, was hättest du davon ohne die Gottesliebe und die Gnade?

      3. ,,O Eitelkeit aller Eitelkeiten! Alles ist eitel", außer Gott lieben und ihm allein

      dienen (Koh 1, 2). Das ist die höchste Weisheit: Die Welt gering zu werten! und

      dadurch nach dem Reiche der Himmel zu streben. Eitel ist es, vergängliche

      Reichtümer zu suchen und auf sie seine Hoffnungen zu setzen. Eitel ist es, nach

      Ehrungen zu verlangen und angesehene Stellungen anzustreben. Eitel ist es, den

      Trieben des Leibes nachzugeben und zu begehren, was später schwere Strafe nach

      sich zieht. Eitel ist es, sich ein langes Leben zu wünschen und sich um ein gutes

      Leben kaum zu bemühen. Eitel ist es, nur auf das gegenwärtige Leben zu achten und

      für die Zukunft kein Auge zu haben. Eitel ist es, zu lieben, was eilenden Fluges

      vorüberzieht, statt schleunigst dorthin zu eilen, wo ewige Freude wohnt. Denke oft an

      jenes Sprichwort: "Das Auge wird nicht satt vom Sehen, das Ohr nicht satt vom

      Hören" (Koh 1, 8). Sei also darauf bedacht, dein Herz von der Liebe zum Sichtbaren

      zu lösen und dich zum Unsichtbaren zu erheben. Denn die den Eindrücken der Sinne

      folgen, beflecken das Gewissen und verlieren Gottes Gnade.

       Sich selbst demütig einschätzen

       1. Echtes Wissen macht demütig.

       2. Reiches Wissen bringt Verantwortung.

       3. Tiefes Wissen führt zur Menschenachtung.

      1. "Jeder Mensch hat einen natürlichen Wissensdrang", aber was bringt die

      Wissenschaft schon ein ohne die Gottesfurcht? Besser ist ein demütiger Landmann,

      der Gott dient, als ein stolzer Philosoph, der den Lauf der Gestirne studiert, sich

      selbst aber vergisst. Wer sich selbst gut durchschaut, hält sich nicht für einen

      wertvollen Menschen und erfreut sich nicht am Lobe der Menschen. Wenn ich alles

      wüsste, was es in der Welt gibt, lebte ich aber nicht in der Liebe, was nützte es mir vor

      Gott, der mich nach meinen Werken richten wird? Mäßige die übergroße Wissbegier,

      sie lenkt dich zu stark ab, sie täuscht dich. Die viel wissen, wollen gerne beachtet und

      als Weise tituliert werden.

      2. Es gibt vieles, das zu wissen der Seele wenig oder gar nichts nützt. Sehr unklug ist,

      wer anderen Dingen nachgeht, statt solchen, die seinem Heile dienen. Viele Worte

      sättigen die Seele nicht. Das gute Leben aber ist eine Labe für den Geist und das reine

      Gewissen eine Quelle großen Gottvertrauens. Je umfassender und gründlicher dein

      Wissen ist, desto schwerer wiegt deine Verantwortung, wenn dein Leben nicht um so

      heiliger war. Brüste dich also nicht mit irgendeiner Kunst oder Wissenschaft, fürchte

      dich vielmehr wegen der dir verliehenen Einsicht. Wenn du meinst, vieles zu wissen

      und es recht gut zu verstehen, so bedenke, dass es noch weit mehr gibt, was du nicht

      weißt.

      3. "Sei nicht überheblich" (Röm 11,20; 12, 16), gestehe lieber deine Unwissenheit.

      Warum willst du dich anderen vorziehen, da es doch viele gibt, die gelehrter und

      gesetzeskundiger sind als du? Willst du etwas Nutzbringendes wissen oder lernen, so

      liebe es, unbekannt zu sein und für nichts gehalten zu werden. Das ist die tiefste und

      nützlichste Wissenschaft: sich selbst richtig zu erkennen und gering zu achten. Das ist hohe Weisheit und Vollkommenheit: von sich selber nichts zu halten und von andern

      immer eine edle, gute Meinung zu haben. Siehst du jemanden offenkundig sündigen

      und sich schwer vergehen, du dürftest dich dennoch nicht für besser halten. Denn du

      weißt nicht, wie lange du im Guten verharrst. Wir alle sind gebrechlich, aber halte

      keinen für hinfälliger als dich selbst.

      Die Lehre der Wahrheit

       1. Gott erkennen geht über alles Fachwissen.

       2. Im Lichte des ewigen Wortes (Christi) erkenne ich die Wahrheit um Welt und

       Leben.

       3. Der gesammelte Geist, der sich beherrscht, erkennt leichter.

       4. Der demütige Geist erfasst am tiefsten.

       5. Mein Wissen im Lichte des Jüngsten Gerichtes.

       6. Das wahrhaft große Wissen.

      Glücklich, den die Wahrheit (Gott) selbst belehrt, nicht durch vergängliche

      Zeichen und Worte, sondern in ihrem Wesen. Unser Denken und unser Sinn täuschen uns oft und nehmen wenig wahr. Was nützt das lange Reden über verborgene und

      dunkle Dinge? Wir werden ihretwegen nicht zur Rechenschaft gezogen, wenn wir sie

      etwa nicht gekannt haben. O große Torheit, das Nützliche und Notwendige zu

      übergehen, um Dingen nachzugehen, die nur der Neugier dienen und Schaden

      anrichten! "Wir haben Augen und sehen nicht" (Jer 5,21 und Ps 115,5). Was

      kümmern wir uns um Gattungen und Arten? Zu wem das ewige Wort (Gott) spricht,

      der bleibt vor vielen falschen Ansichten bewahrt.

      Aus einem Worte (Gottes) stammen alle Dinge, und von einem Worte reden alle

      Dinge, und das ist "der Anfang, der auch zu uns redet" (Joh 8, 25). Ohne ihn kommt

      keiner zur Einsicht, hat keiner ein rechtes Urteil. Wem alles das Eine ist, wer alles auf

      das Eine bezieht und alles in dem Einen schaut, dessen Herz kann festen Stand haben

      und dauernd im Frieden Gottes leben. O Wahrheit Gott, mach mich eins mit dir in

      ewiger Liebe! Ich bin des vielen Lesens und Hörens oft so überdrüssig. In dir ist

      alles,