Gerhard Schumacher

Marrascas Erbe


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nicht so recht und auch ich hatte Schwierigkeiten den kryptischen Andeutungen Don Remigios zu folgen. Wir baten ihn um eine chronologische Schilderung der Ereignisse und er kam unserer Bitte ohne Zögern nach.

      „Am gestrigen Nachmittag, ich wollte mich gerade durch ein kleines Nickerchen auf den Abend mit euch vorbereiten, fuhr plötzlich das Automobil unseres bisbe auf den Kirchhof und der Chauffeur übermittelte mir den dringenden Wunsch seiner Exzellenz, mich unverzüglich in Palma zu sehen. Ich hatte nicht einmal die Zeit, etwas Wäsche zusammenzupacken, es sei für alles gesorgt, erklärte der Fahrer mir, nur Eile sei geboten, mehr nicht. Wie ich sicher wisse, könne Seine Gnaden sehr ungehalten reagieren, wenn seinen Bitten nicht unverzüglich nachgekommen werde. Also, was blieb mir anderes übrig, als mich in den Fond zu setzen, mein Brevier aufzuschlagen und mich mit Gottvertrauen den halsbrecherischen Fahrkünsten des Chauffeurs anzuvertrauen. Aber immerhin kamen wir abends unversehrt im bischöflichen Palais an, wo mir ein komfortables Zimmer zugewiesen und ein reichhaltiges Abendessen serviert wurde. Das war es zunächst, der bisbe ließ sich an diesem Abend nicht mehr sehen.

      Natürlich war ich nicht nur verwundert, sondern auch einigermaßen verärgert darüber.

      Zuerst hatte ich nicht einmal Zeit, mir eine frische Unterhose anzuziehen und dann saß ich im Palais herum und drehte Däumchen.

      Doch auch dieses Rätsel sollte sich alsbald aufklären. Aber der Reihe nach.

      Wenngleich ich zugeben muß, daß die erlesenen Speisen des Nachtmahls ein wenig Eile schon gerechtfertigt hatten. Obwohl, wenn ich an die Kochkünste Bienvenidas denke, war es so toll nun auch wieder nicht. Ihr wißt ja, ich liebe sowieso mehr die bodenständige Küche unserer Insel…“

      „Komm zurück zum Thema, Remigio“, unterbrach ihn sein frare und goß Wein nach.

      „Du hast recht, Basilio, ich schweife ab. Also an diesem Abend passierte nichts mehr und nachdem ich einige Gläser Wein getrunken und eine gute Zigarre geraucht hatte, legte ich mich in die weichen Kissen meines Bettes und träumte vom Paradies.

      Am nächsten Morgen weckte mich ein Bediensteter des Palais und bedeutete mir, in einer halben Stunde würde mich der bisbe auf der Terrasse zum Frühstück erwarten, ich solle mich eiligst fertig machen. Da war sie wieder, die Hast der hohen Herren. Also tat ich, wie mir geheißen und saß alsbald unserem bisbe gegenüber, blinzelte in die Morgensonne über Palma und begutachtete die Delikatessen, die auf dem Tischchen zwischen meinem Herrn und mir standen und unserem Verzehr harrten. Einige Diener umschwirrten uns, boten Tee, Kaffee, warme Schokolade an und zogen sich endlich auf einen Wink des bisbe zurück, so daß wir ungestört waren.

      Verzeiht mir, in angenehmer Gesellschaft wäre es sicher ein ebensolches Morgenmahl geworden. Gut, es fehlte noch das eine oder andere Fläschchen Wein, aber das hätte man ja ordern können. So aber nahm sich seine Exzellenz, er scheint mir in der Tat ein überzeugter Asket zu sein, ein wenig von den geschnittenen Orangen, stand dann auf und lief fünf Schritte hin, fünf weitere her und so weiter und so fort. Dabei dozierte er in Metaphern vor sich hin, die ich zunächst nicht verstand, was aber zu guten Teilen auch daran gelegen haben mag, daß ich gar nicht zuhörte. Erst als mir auffiel, daß ich mich durch das ständige Hin und Her nicht so recht auf die Köstlichkeiten des Tisches konzentrieren konnte, lieh ich dem Monolog unseres Oberhirten mein Ohr. Ohne indes mehr zu verstehen, als die bloßen Worte, deren zusammenhängender Sinn mir nach wie vor verborgen blieb. Der bisbe schwadronierte ausschweifend über Gott, die Welt und, natürlich, unsere Mutter Kirche, die ja bekanntlich eine allein selig machende ist. Ich kam beim besten Willen nicht dahinter, weswegen ich hier saß und nicht in meinem geliebten Artà, wo ich doch eigentlich hingehörte. Könnt ihr euch meine Situation vorstellen?“

      Also wenn ich ehrlich war, konnte ich es nicht, nickte aber dennoch mitfühlend, genau wie Don Basilio, obwohl mir schien, als sei er sich durchaus nicht sicher, was er von den Erzählungen seines Amtsbruders zu halten habe.

      „Remigio“, sprach er dann auch zu dem pare, „was erzählst du uns hier? Es kann doch nicht sein, daß der bisbe dich völlig grundlos nach Palma und wieder zurück hat chauffieren lassen, nur damit er ein wenig Gesellschaft beim Frühstück hat. Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Also, nun spann uns nicht weiter auf die Folter der Heiligen Inquisition und verrate uns endlich, was seine Exzellenz von dir wollte.“

      Don Remigio lachte vergnügt vor sich hin. Ihm bereitete dieses Spiel sichtbares Vergnügen, zumal ich derweil eine neue Flasche Wein aus dem Kellerverschlag geholt hatte.

      „Du mußt genau zuhören, mein lieber Basilio. Ich habe ja keineswegs gesagt, es sei sinnlos gewesen, was der bisbe da von sich gab. Ich habe lediglich gesagt, ich habe den Sinn des Gesagten nicht gleich verstanden. Das ist, du mußt es zugeben, ein großer Unterschied. Also weiter im Text.

      Wie ich noch so darüber nachdachte, was dieses Audienz bedeutete, fiel plötzlich der Name unseres verehrten Freundes und Gastgeber hier, Don Diego de alemany, was mich natürlich aufhorchen ließ. Verkürzt dargestellt, war der bisbe der Meinung, ich sollte mich lieber um das Seelenheil Don Diegos kümmern und ihn zurück in den Schoß unserer Mutter Kirche holen, denn mit ihm zusammen irgendwelchen Schimären nachzujagen, was ja bekanntlich zu nichts führen könne. Der Unglückstod unseres Bruders Xavier Marrasca sei für sich genommen schon von unheilvoller Tragik gewesen, da sei es völlig unnötig, in alten Geschichten zu wühlen, von denen keiner mehr sagen könnte, ob sie wahr oder erfunden seien. Zumal Don Xavier, wie mir bekannt sein dürfte, unsere Mutter Kirche über seinen Tod hinaus großzügig bedacht habe, wie übrigens seine ihm jüngst in die Ewigkeit gefolgte vídua, Dona Maria, ebenso. Es gäbe nicht den geringsten Grund, diese Verfügungen, die dem Wohl der Armen und Bedürftigen dienten, durch Neugier und Sensationshascherei in Gefahr zu bringen. Und in diesem Stil ging es weiter, eine geschlagene Stunde lang. Seine Exzellenz wurde an keiner Stelle konkret, wiederholte lediglich in immer anderen Worten und schöneren Wendungen das Gesagte, spazierte dabei unverändert auf und ab und ging auch nicht auf meine Frage, was genau an meinem Verhalten er mir denn vorwerfe, ein. Als er in eine neue Orangenscheibe biß und deshalb kurz in seiner Predigt innehalten mußte, bat ich ihn, mir doch einige Hintergründe zu erklären, damit ich nicht versehentlich Falsches täte. Er schüttelte den Kopf und sagte nur, es gäbe keine Hintergründe, die erklärungsbedürftig seien. Ich solle mich nur an das halten, was er mir gesagt habe, das und nichts anderes sei im Sinne unserer Kirche. Sodann hielt er mir den Ring zum Kuß hin, gab mir seinen Segen und ich war in die Obhut des Chauffeurs entlassen, der plötzlich, von mir zunächst unbemerkt, auf der Terrasse aufgetaucht war. Kurz, bevor ich durch die Pforte ging, rief der bisbe mich noch einmal an, sah mir in die Augen und fragte mich, ob ich verstanden hätte, was er von mir wollte. Ich nickte, was sollte ich sonst tun, und schon saß ich im Automobil, das der Chauffeur in hohem Tempo zurück nach Artà lenkte, wobei er mit lautem Hupen Hühner, Schafe und Ziegen von der Straße jagte. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, der Chauffeur lebte eine ausgeprägte sadistische Ader aus, die er sich im langjährigen Dienst bei seiner Exzellenz zugelegt hatte. Aber wie auch immer, er brachte mich unbeschadet wieder in den Schutz meiner Gemeinde. Und hier bin ich also, freut euch ihr Lieben“, schloß er seinen Bericht.

      Dann nahm Don Remigio einen kräftigen Schluck aus dem Weinglas und wischte sich in bekannter Manier mit dem Ärmel über den Mund. Während wir beiden Zuhörer noch ungläubig über das soeben Gehörte sinnierten, ergriff er erneut das Wort.

      „Das Beste, meine lieben Freunde, das Beste kommt immer zum Schluß. Ich fragte mich natürlich, warum mich der bisbe schon einen Abend zuvor nach Palma kommen ließ, obwohl er doch erst am nächsten Morgen Zeit für mich hatte. Nun gut, es konnte ihm plötzlich etwas Wichtiges dazwischen gekommen sein, das ist bei den hohen Herren immer möglich, habe ich recht? Doch weit gefehlt, erst als ich wieder in den vier sicheren Wänden meiner Kirche war, erfuhr ich von Rubén, meinem sacristan, den wahren Grund. Kurz nachdem ich nämlich Richtung Palma verschwunden waren, erschienen drei Abgesandte vom bischöflichen Ordinariat bei Rubén in der Kirche, wiesen sich aus und schlossen sich dann in der casa parroquial ein. Sie hatten die ganze lange Nacht Zeit, alles zu durchsuchen. Und sie taten es gründlich, wenngleich ich sagen muß, sie taten