Gerhard Schumacher

Marrascas Erbe


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hier und da mal ein Buch genommen, ein wenig geblättert, mehr nicht. Aber Don Basilio hat natürlich recht, es ist schon merkwürdig, daß nirgendwo der Kauf eines Buches vermerkt ist. Vielleicht finden wir in den Büchern irgendeinen Hinweis, der uns weiterbringt. Es könnten auch Botschaften oder Nachrichten zwischen den Seiten auf ihre Entdeckung warten.“

      „Vorsicht“, warnte mich Don Basilio, „zuviel Optimismus scheint mir nicht angebracht. Ich habe lediglich von einer Möglichkeit gesprochen, inwieweit sie in unserem Sinne wirklich etwas bringt, gilt es abzuwarten. Versprechen Sie sich nicht allzu viel davon, Don Diego, denken Sie an die Haushaltskladde, die hat auch nichts gebracht.“

      „No Senyor“, fuchtelte Don Remigio dazwischen, „das ist nicht richtig. Die Kladde hat dich immerhin auf die Idee mit den Büchern gebracht, denn weil in ihr nichts über deren Kauf verzeichnet ist, bist du erst darauf gekommen. Alles, was recht ist.“

      Dennoch wäre ich am liebsten sofort in die Bibliothek hinabgestiegen und hätte mit der Suche begonnen. Aber meine beiden Mitstreiter winkten ab. Inzwischen war die Sonne untergegangen und sie hatten rechtschaffen Hunger. Morgen sei bekanntlich auch noch ein Tag und überdies hätte Bienvenida für heute Abend pollastre in Knoblauchsoße angekündigt und das wollten sie nicht versäumen, was ich nach kurzer Überlegung durchaus nachvollziehen konnte.

      Also verschoben wir den Bibliotheksbesuch und begaben uns hungrig in die Bar El Ultim, in der Consuela längst unseren Tisch eingedeckt hatte.

      So ausgezeichnet das Essen war, so wohlschmeckend der Wein und so anregend die Gesellschaft der beiden Freunde, ich konnte es kaum erwarten, die Bibliothek in Augenschein zu nehmen und zappelte innerlich vor mich hin wie ein aufgeregtes Kind kurz vor der Bescherung am Weihnachtsabend.

      Die beiden pares aber ließen sich Zeit mit ihren Betrachtungen von der Welt, kabbelten sich freundschaftlich um Nebensächlichkeiten und schienen ein Amüsement daran zu haben, den Abend ohne anderen Grund als den, sich gegenseitig ins Bockshorn zu jagen, mehr und mehr in die Länge zu ziehen. Das Geplänkel der beiden, obwohl nicht ohne Humor und Augenzwinkern vorgetragen, begann mich zu langweilen, denn meine Sinne drängten immer intensiver nach einer Begutachtung der Bibliothek. Alles, was mich davon abhielt, sah ich in diesem Moment als vergeudete Zeit an und überlegte krampfhaft, wie ich den Heimweg antreten konnte, ohne meine beiden Gefährten zu kränken.

      Während ich noch darüber nachdachte, mich schnell aus der zechenden Runde zurückziehen zu können, kam mir der Chauffeur Álvaro unverhofft aber höchst willkommen zur Hilfe. Er hatte sich im Laufe des Nachmittags vor der Küchentür zu seiner Angebeteten wieder einmal in eine Art Liebesrausch getrunken, der ihm die kühnsten Schwüre, und die wüstesten Drohungen, vermeintliche Nebenbuhler Bienvenidas betreffend, über die Lippen kommen ließ. Das wäre nun schon seit Wochen nichts Bemerkenswertes, wandte sich Consuela an mich, wenn nicht die Lautstärke von Schwüren und Drohungen heute Abend ein Maß übersteigen würde, das sie, und vor allen Dingen el cap, sie zeigte auf ihren Mann Pablo, nicht mehr akzeptieren könnten. Die anderen Gäste fühlten sich durch das abwechselnde Geschrei und Gejammer des verrückten xofer belästigt. Sie bat mich doch inständig, ihn zur Räson zu bringen, sonst würde ihr Mann ihn vor die Tür setzen und das ginge erfahrungsgemäß nicht ohne größere Blessuren, Kopfschmerzen und sonstige Unannehmlichkeiten für den Hinausgeworfenen vonstatten.

      Ungeachtet der Tatsache, daß außer uns dreien kein anderer Gast in der Bar El Ultim anwesend war, der sich hätte belästigt fühlen können, ergriff ich natürlich sofort den mir gereichten Strohhalm zum Ausstieg aus der Abendrunde, hakte den trunkenen Álvaro unter und verabschiedete mich Richtung Heimstatt, was Don Remigio und Don Basilio zwar mit Murren aber ohne eine Möglichkeit des Eingreifens billigen mußten.

      Froh über die unerwartete Unterstützung zerrte ich Álvaro ohne Zögern ins Freie, stolperte mit ihm recht unansehnlich schwankend die Straße hinunter und ließ ihn irgendwann, ich weiß heute nicht mehr genau, wie ich es geschafft hatte, denn der Chauffeur war gut anderthalbe Köpfe größer als ich selbst, in sein Bett fallen, wo er sich nach anfänglichem Sträuben schließlich heiser schnarchend erst in die Kissen und dann in sein Schicksal fügte.

      Ich verschloß die Haus- und auch die Gartentür, legte die Riegel vor, entnahm dem Kellerverschlag einen Gran Reserva der Tempranillo-Traube, etwas Besonderes mußte es schon sein zu dieser besonderen Stunde, löschte die Lichter und begab mich schließlich in die dritte Etage des Häuschens, in der die Bibliothek untergekommen war.

      Vom Stockwerk darunter klang das heisere Schnarchen Álvaros in allerlei Variationen herauf. Nie zuvor hatte ich bemerkt, wie nuancenreich das Schnarchen sein kann, es deckte, wenn auch in einer ungewöhnlichen Skala, alles ab, was der musikalische Laie sich an Tönen so vorzustellen vermag. Aus wohltuender Erfahrung wußte ich, daß der Chauffeur nach ungefähr 20 Minuten das Schnarchen einstellte und in einen geräuschlosen Schlaf verfiel, aus dem nur ab und zu ein unterdrückter Schrei oder ein unverständlich gestammeltes Wort von seinen Träumen Auskunft gab.

      Ich verzichtete darauf, das elektrische Licht anzumachen, entzündete nur einige Kerzen, die ihr warmes Licht über die Regale mit den Büchern flackerten, schob den Ledersessel in die Mitte des Raumes und setzte mich hinein.

      Mit der Erwähnung der Bibliothek am frühen Abend hatte Don Basilio ihr in meinem Bewußtsein plötzlich einen völlig anderen Stellenwert zugewiesen, als das zuvor der Fall gewesen war. Bisher hatte ich sie unachtsam durchquert, wenn ich zur Dachterrasse wollte oder umgekehrt. Sicher, ab und zu habe ich den Regalen ein Buch entnommen, kurz darin geblättert und es dann wieder an seinen Platz zurückgestellt. Der erste intensivere Kontakt fand mit der Entdeckung des Unterschranks und den zwei Schubladen, die sowohl die Kladde als auch die Fotografien beherbergten, statt. Seit der Bemerkung des pare hingegen, den Kauf der Bücher betreffend, ging mir die Bibliothek nicht mehr aus dem Kopf und so war ich froh, endlich die störende Umwelt hinter mir gelassen zu haben (Don Remigio und Don Basilio mögen mir die harschen Worte verzeihen, sie wissen, wie angenehm ich ihre Gesellschaft empfinde und auch, daß ich es keinesfalls persönlich meine), und ganz alleine in dem bisher von mir noch unentdecktem Reich sein zu können. Selbst Álvaro hatte ein Einsehen und das Schnarchen erwartungsgemäß inzwischen eingestellt. Es herrschte, wenn auch nicht absolute, so doch immerhin ausreichende Stille, die Eigenheit des Ortes zu spüren. Ich will das nun nicht verallgemeinern, aber in diesem Moment vermeinte zumindest ich, sie zu spüren. Eine andere Person war ja auch nicht da, die mir mein Gefühl hätte bestätigen können.

      Andächtig also saß ich inmitten der Bibliothek und blickte um mich herum. Der Raum war rechteckig und seine Wände vom Boden bis zur Decke mit Regalen verstellt. Diese wiederum steckten dicht an dicht voller Bücher. Die keinen Platz mehr stehend in den Fachböden gefunden hatten, lagen quer auf ihresgleichen oder aber schräg übereinander. Die Türe zum Rest des Hauses, Ein- und Auslaß gewährend, war, auch oberhalb des Sturzes, eingerahmt von den vollgestellten Regalen und wirkte aus meiner Sicht im ledernen Sessel mehr wie ein störender Fremdkörper, der das symmetrische Gefüge, die stille Erhabenheit des auf Papier gedruckten und dann in edle Tierhaut gebundenen Wortes, störte. Selbst die beiden Fenster zur Straße waren mit Büchern zugestellt, was mir, ich gestehe es beschämt, bisher überhaupt noch nicht aufgefallen war.

      Keine Ahnung, wie lange ich so dagesessen bin, eine Stunde, vielleicht auch zwei oder aber auch nur eine halbe. Das Gefühl für Zeit hatte mich verlassen und war einem mir bis dahin unbekannten Zustand der Schwerelosigkeit, sowohl des Geistes als auch des Körpers, gewichen. Ich ließ nur die vielen hundert Buchrücken drum herum, stehend, liegend, zur Seite gekippt, nicht im Einzelnen, sondern in ihrer geballten Masse aus den Regalen auf mich einwirken. Als ich aus meiner Trance erwachte, war gut die Hälfte des Weins getrunken, obwohl ich mich weder dessen noch daran nicht erinnern konnte, überhaupt das Glas gefüllt zu haben.

      Dann aber war der Rausch, ebenso unerwartet wie er mich überfallen hatte, auch wieder verschwunden und übrig blieb die Wärme des Kerzenlichts, sein flackernder Tanz über die Bünde der Buchrücken und die Schatten, die sich an der Decke wanden. Ich stand aus meinem Sessel auf und schritt langsam die Buchgestelle ab, suchte ein System, eine Ordnung oder einfach nur ein Prinzip zu erkennen, nach dem die gebundenen