Anika Alex

Insel der Sirenen


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zu Nahe kommen darf, um es nicht in die Flucht zu schlagen. Diese plötzliche Angst vor ihnen muss die Männer kränken, dessen ist sie sich bewusst.

      Und was ist mit Magnus?

      Tja, Jana hielt sich zur falschen Zeit am falschen Ort auf. In dem Moment war er wie von Sinnen und hätte jeden angegriffen. Ihr Kopf weiß das, aber sie kommt von ihrer Angst nicht los, die sich fest in ihre Eingeweide krallt und sie Nachts kaum schlafen lässt.

      ‚Ist ein Monat nicht lang genug?‘, denkt sie ärgerlich. Sie wünscht sich, wie vor dem Angriff, fröhlich zu sein und ihr Leben zu genießen. Die immerwährende Furcht, erneut in Panik zu geraten und die Kontrolle zu verlieren, blockiert ihre Lebensfreude enorm.

      Sie soll einen Psychologen aufsuchen und mit ihm darüber reden. Wie soll das gehen? Sie sind auf Tour! Alle paar Tage eine andere Stadt.

      Ihre Freunde finden es immer wieder faszinierend wie sie die Zuschauer in Wallung bringen kann, wie sie Hochspannung erzeugt und bei ihnen Begeisterung hervorruft. Die Energie, die vom Publikum ausgeht berauscht Jana. Auch wenn sie sonst eher der zurückhaltende Typ ist, auf der Bühne ist sie völlig verändert. Ihr fällt es leicht, die Zuschauer in ihren Bann zu schlagen. Privat ist sie ruhig, aber bereits als Kind moderierte sie die „Show“, wenn ihre Geschwister ihre „magischen“ Fähigkeiten trainierten. Die begeisterte Masse pulsiert bei jeder Show, die sie leitet.

      Die Aufführung geht ihrem Ende zu, in einer Viertelstunde werden die Vier die Bühne verlassen. Damian steht in der Mitte, wie der Fels der er ist. Er misst fast zwei Meter und hat breite Schultern, wie alle ihre „Brüder“. Seine schwarzen Haare und die dunkelblauen Augen, sein markantes Gesicht und nicht zuletzt seine einnehmende Präsenz stellen ihn in den Mittelpunkt des Geschehens. Egal wo er steht, alle Blicke richten sich auf ihn. Klaglos übernimmt er alle schwierigen Aufgaben und hat bei den Absprachen das letzte Wort. Aus Erfahrung wissen sie, seine Entscheidungen, denen oft lange, heftige Diskussionen vorausgehen, zu schätzen, da sie durchdacht und stimmig sind. Ihn lachen zu hören ist wunderbar, weil es viel zu selten vorkommt.

      Neben ihm steht Daniel, er scheint etwas schmaler zu sein und ist mit seinem umwerfenden Lächeln ein echter Frauenschwarm.

      ‚Und ich schwärme am meisten für ihn‘, denkt Jana schmachtend. Er nimmt das Leben leicht und genießt es in vollen Zügen, geht aber wichtigen Herausforderungen nicht aus dem Weg.

      Ihm gegenüber steht Alicia, mit ihrem extrem hellblondem Haar und den Augen, deren blau fast weiß erscheinen. Alicia ist schön, stolz und unwirklich, als wäre sie nicht von dieser Welt. Zwischen diesen Hünen wirkt sie zierlich mit ihren ein Meter achtzig. Sie ist immer aktiv und der einzige Grund, warum sie so lange, ruhig auf einem Fleck stehen kann, ist ausschließlich ihrer Konzentration geschuldet.

      Neben ihr steht Nicolas. In Größe und Statur wie seine Freunde, mit schwarzen Haaren und dunkelbraunen Augen, ein Hingucker aber das sind sie alle drei. Er und Daniel ähneln sich charakterlich und verbringen viel Zeit miteinander.

      Magnus mit seinen dunkelbraunen Haaren und grünen Augen fehlt. Seine Art auf Fremde zuzugehen und gute Laune zu verbreiten, macht ihn zu einem der liebenswertesten Menschen, die sie kennt, zumindest bis er sie angriff.

      Jetzt kommt das große Finale, aber der Effekt lässt zu wünschen übrig. Das Finale zu sechst ist viel überwältigender. Das spürt auch das Publikum.

      Nach der Show kommen die Vier von der Bühne.

      „Wann moderierst du wieder, wir brauchen dich in der Show“, fordert Damian sie wie immer nach dem Auftritt auf.

      Jana verdreht genervt die Augen. Stets die gleiche Leier, als wäre sie schon bereit dazu und könnte raus auf die Bühne! Wie soll das gehen? Sie kommt so schon nicht klar! Ihr Arm ist noch im Gips und die Angst wegatmen kann sie auch noch nicht, weil ihre Rippen dann höllisch schmerzen. Während der Show würden die Männer hinter ihr stehen und das ist in ihrem derzeitigen Zustand unmöglich.

      Damian bemerkt sofort, dass sie genervt ist und kommt lauernd, geradewegs auf sie zu geschlendert.

      Jana versteift sich, denn am liebsten würde sie wegrennen, aber natürlich tut sie das nicht. Zumindest hält sie sich so lange zurück, wie es ihr irgendwie möglich ist. Sie wird jetzt nicht einfach weglaufen, das hat sie früher auch nie getan.

      Wie ein Panther schleicht er auf sie zu und kommt ihr dabei viel zu nah. Zum Glück stellt sich Alicia zu ihr, streicht ihr beruhigend über den Rücken und legt freundschaftlich den Arm um sie.

      Sie atmet erleichtert aus, ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie vor Anspannung die Luft angehalten hat. Traurig über diese extreme Reaktion bleibt Damian eine Armlänge vor ihr stehen, streicht zärtlich über ihre Wange und flüstert sanft:

      „So kann das nicht weitergehen, deine Angst macht uns allen das Leben schwer, wir werden dir helfen dieses Problem zu lösen! Die Tour ist hier zu Ende, ich habe den letzten Auftritt wegen Krankheit abgesagt. Nachdem ihr zwei ausgefallen seid, habe ich mich mit unserem Agenten auseinandergesetzt und entschieden ein paar Monate auszusetzen. Mit zwei Ausfällen in der Show können wir unsere Fans nicht zufriedenstellen, das ist euch mit Sicherheit nicht entgangen“, teilt er seinen Freunden seine Entscheidung mit, die sie einen Monat lang hinausgezögert hatten.

      „Wir haben einen Brief von einem Anwalt bekommen. Wir sind zu einer Testamentseröffnung von einer Frau Rivera eingeladen. Der Anwalt erwartet uns morgen! Alle!“, wechselt Damian das Thema und mustert zur Bestätigung alle der Reihe nach.

      „Weißt du was Genaueres?“, will Alicia neugierig wissen. Damian schüttelt verneinend den Kopf.

      Jana schottet sich, seit sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, regelrecht ab, um ihre Freunde mit ihren Ängsten nicht zu belasten.

      Konsequent geht sie ihnen aus dem Weg und sperrt sich in ihr Zimmer ein. Die meiste Zeit lässt sie ihr Essen dorthin bringen, damit sie nicht ins Restaurant gehen muss und bittet um eine Frau als Servicekraft.

      Heute hat Alicia sie aus ihrem Zimmer geholt, für eine Gruppenbesprechung. Da kann sie sich natürlich nicht drücken, schließlich gehört sie immer noch zur Truppe und möchte das auch nicht ändern. Sie hat große Angst, ihre Freunde zu verlieren, wenn sie ihre Phobie nicht bald in den Griff bekommt.

      Mehrfach hat sie gesehen wie verletzt ihre Freunde auf ihr Zurückschrecken reagieren, wenn sie ihr zu nahe kommen. Trotzdem sind sie der Meinung, sie würde sich abgrenzen und dieses Alleinsein täte ihr nicht gut. Alicia sitzt neben Jana, die angespannt auf ihrem Stuhl hin und her rutscht und streichelt ihr beruhigend über den Rücken.

      „Ich bin noch nicht soweit, ich kann das noch nicht“, murmelt sie mit einem Kloß im Hals. Verzweifelt schaut sie zu Damian in dem Versuch ihn zu überzeugen, dass sein Angebot, mehr Zeit mit der Gruppe zu verbringen, noch zu früh für sie ist.

      „Die Ärzte haben behauptet mit Atemübungen kann ich die Ängste kontrollieren. Aber wie soll ich das mit meinem gebrochenen Rippen machen? Jedes Mal, beim Versuch, tief durchzuatmen fährt mir ein Schmerz in die Seite und das wird noch ein paar Wochen so bleiben“.

      Jana ist den Tränen nah. Können ihre Geschwister das nicht verstehen? Im Moment ist sie einfach nicht in der Lage längere Zeit mit ihren Freunden oder anderen Menschen zu verbringen.

      „Du machst es für uns alle noch schlimmer, indem du dich abschottest, oder sind deine Ängste in den letzten Wochen weniger geworden?“

      „Es tut mir leid Damian, aber ich kann nur ein paar Minuten mit euch zusammen in einem Raum sein. Bitte gib mir noch Zeit und versuch es zu verstehen. Ich habe keine Angst vor euch, sondern vielmehr die Sorge, eine falsche Bewegung könnte mich in Panik versetzten. Das verletzt euch! Dadurch bin ich angespannt, es ist ein Teufelskreis“.

      „Da müssen wir jetzt durch! Deine Genesung ist wichtiger, auch wenn uns deine Angst schmerzt, sind wir uns einig! Du musst mehr Zeit mit und verbringen!“, stellt Damian klar.

      „Es ist nicht unsere Schuld!“, brummt Daniel verzweifelt. „Hast du eine Ahnung wie wird