Ole R. Börgdahl

Alles in Blut


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»Natürlich hätte ich auch einen Schlüssel für die Wohnung, aber dann würde ich ja nur noch mit Schlüsseln herumrennen.«

      Bruckner nahm die Erklärung hin. Ich ließ ihn vorangehen. Das Apartment war zum Glück möbliert, so würden wir bei unserer Unterhaltung sitzen können. Ich habe nicht immer im Kopf, welche Wohnungen möbliert sind und welche ganz leer stehen. Diese hier war zwar klein, aber recht gut ausgestattet. In eine Ecke des Raumes waren zwei Sessel und eine schmale Couch gequetscht, davor ein winziger Beistelltisch. Ein Futonbett stand quer an der gegenüberliegenden Wand und war mit zahlreichen Kissen zu einer Art Couch umfunktioniert. Die Küchenecke besaß eine Zweierkochplatte. Immerhin waren es Ceranfelder, über denen eine ausziehbare Dunstabzugshaube schwebte. Daneben war eine Mikrowelle in den offenen Hängeschrank eingelassen. Ein Dreiersatz Tassen und Teller sowie ein Besteckkasten standen auf den Regalbrettern und gehörten ebenfalls zum Inventar, genauso wie die formschöne blaue Kaffeemaschine, die die umfangreiche Ausstattung abrundete.

      »Einen Senseo?«, fragte ich.

      Bruckner überlegte, schüttelte dann aber den Kopf. »Danke, jetzt bitte keinen Kaffee mehr.«

      Er holte ein Kaugummi hervor, packte es aus und schob es sich in den Mund.

      »Das ist der Bonus«, erklärte ich, während er zu kauen begann.

      Bruckner schluckte kurz und sah mich fragend an. »Bitte?«

      »Die Kaffeemaschine und achtzig von den Pads.«

      Ich öffnete den Unterschrank und zeigte auf die Tüten mit den Kaffeeportionen.

      »Wer die Wohnung nimmt, bekommt das alles als Bonus, aber bisher hat sich noch niemand überzeugen lassen.«

      »Die Gegend ist doch ganz nett«, bemerkte Bruckner. Er ging zum Fenster, schob die Gardine ein Stück zur Seite und sah hinunter auf die Straße. »Ist das ihr Wagen, der schwarze Beetle?«

      »Yes, jawohl«, sagte ich fröhlich.

      »Der stand vorhin noch nicht da«, meinte Bruckner, »obwohl ich eher getippt hätte, dass Sie eine Limousine fahren.«

      »Ich liebe es aber sportlich. Eine Limousine ist mir in Hamburg zu umständlich und so habe ich den genommen. Das ist ein 21th-Century-Beetle.«

      »Hab die Werbung gesehen. Dann ist der ganz neu?«

      »Nagelneu, den habe ich erst seit ein paar Tagen. Ist ein 2.0 TSI mit 200 PS. Den Vorgänger hätte ich nie genommen, war mir zu kugelig. Davor hatte ich einen TT, der ist mir aber geklaut worden.«

      »Hier in der Gegend?«

      »Nein, in Sternschanze.«

      »Wollte ich doch sagen, die Gegend hier hat sich doch in den letzten Jahren gemacht.«

      »Für Studenten ist die Lage aber wohl ein wenig zu ruhig. Das höre ich zumindest immer, wenn ich mal einen Interessenten hier habe. Einen Kaffee wollte bisher auch noch keiner von denen haben. Wir suchen jetzt schon seit fast einem Jahr nach einem neuen Mieter.«

      »Also ein Verlustgeschäft?« Bruckner zog die Gardine wieder vors Fenster und drehte sich zu mir um.

      Ich zuckte mit den Schultern. »Uns gehört die Wohnung ja nicht und bei der zu erwartenden Miete ist natürlich auch keine hohe Provision drin. Mein Schwiegervater wollte den Auftrag schon zurückgeben, aber mir gefällt das hier irgendwie.«

      Ich breitete die Arme aus, als wenn ich ein Riesenreich präsentieren würde. Bruckner begann heftiger zu kauen und sah sich noch einmal um. Die Tapete war vergilbt, und wenn ich ehrlich bin, sahen die Möbel auf den zweiten Blick schäbig aus. Bruckner zückte schließlich seinen Dienstausweis und fingerte die Polizeimarke aus der Hosentasche.

      »Entschuldigen Sie«, sagte er, »ich habe mich noch gar nicht legitimiert.«

      Die Polizeimarke glänzte, als wäre sie poliert worden. Ich warf aus Höflichkeit einen Blick auf den Dienstausweis. Das Foto war gar nicht einmal so schlecht. Bruckner hatte darauf aber längere Haare und einen Dreitagebart. Ich musste etwas dagegenhalten und so durchsuchte ich die Innentasche meines Jacketts nach einer Visitenkarte. Ich benutze die Visitenkarten sonst nur, wenn ein Kunde unentschlossen ist. Dann beende ich ein zähes Gespräch mit meiner Visitenkarte und den Worten, dass man es sich ja noch überlegen könnte. Ich hasse Unentschlossenheit und liebe darum Menschen, die sich schnell entscheiden können und dabei noch alles Wesentliche geklärt haben. Ich händigte Bruckner meine Karte aus. Er überlegte, betrachtete sie ausgiebig.

      »Gustav-Schmidt-Immobilien!«, las er von der Karte ab. »Gustav Schmidt?«

      »Das ist mein Schwiegervater, ihm gehört das Maklerbüro. Meine Frau ist waschechte Hamburgerin. Sie war zum Studieren in New York, als wir uns kennengelernt haben.«

      »Interessant!« Bruckner widmete sich wieder der Karte. »Sie nennen sich Objektberater!«

      »Das stimmt nicht ganz«, erklärte ich. »Ich bin schon auch der Geschäftsführer, aber so sieht es für den normalen Kunden besser aus. Ich habe noch andere Karten, die benutze ich aber nur, wenn es um richtig wichtige Verhandlungen und Geschäfte geht, dann muss man zeigen, dass man das Sagen hat.«

      Bruckner sah weiter auf die Karte. »Ihren Vornamen, wie spricht man den eigentlich aus?«

      Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet und darum stutzte ich einen Moment und dachte über Lautschrift nach. »Die erste Silbe kurz und dazu das englische Wort für Mann«, antwortete ich.

      Bruckner versuchte es. »Tillman!«

      »Richtig!«, bestätigte ich ihm.

      Er nickte. »Mr. Tillman Halls«, wiederholte er meinen vollständigen Namen. Er sah mich an. »Sie sprechen sehr gut Deutsch, ich meine Ihren Akzent, man hört nicht gleich, dass Sie Amerikaner sind.«

      Ich lächelte. »So gut ist es auch wieder nicht, ich habe immer noch Schwierigkeiten mit einigen Begriffen und ich verwende viele alte deutsche Wörter. Zum Beispiel ist das Wohnzimmer für mich immer die Stube und das Schlafzimmer die Kammer. Das bekomme ich auch nicht mehr raus.«

      Bruckner lachte. »Meine Großmutter hat das auch immer so gesagt.«

      »Ja, sehen Sie, genau das ist es«, erklärte ich. »Ich habe die Sprache nicht von meiner Frau gelernt, sondern von meiner Großmutter. Meine Großeltern waren Deutsche.«

      »Daher also«, sagte Bruckner nickend.

      »Nur, meine Großeltern sprachen das Deutsch der Zwanziger- und Dreißigerjahre.«

      »Wirklich interessant«, meinte Bruckner. »Ich habe bestimmt auch irgendwelche entfernten Verwandten in den Staaten.«

      »Die United Staates waren und sind eben ein Einwandererland, auch wenn es mal, wie in meinem Fall in die andere Richtung geht.«

      Bruckner nickte zustimmend, dann wurde ihm offenbar wieder bewusst, warum er mich aufgesucht hatte.

      Ich kam ihm zuvor. »Aber lassen wir die alten Geschichten. Wollen wir uns setzen?«

      Ich zeigte auf die beiden Sessel. Bruckner stimmte mir zu, wir nahmen Platz. Er zog jetzt den Umschlag hervor und legte ihn auf den Beistelltisch.

      »Vielleicht jetzt doch einen Senseo?«

      Er schüttelte den Kopf. »Nein danke, wirklich nicht. Ich habe eigentlich nicht viel Zeit.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Wir haben in einer guten Stunde unser Briefing und ich muss noch ganz ins Präsidium zurück.«

      Er tippte mit dem Finger auf den Umschlag. »Ich habe Ihnen ja schon am Telefon gesagt, dass ich Ihre Meinung zu einer ganz bestimmten Sache hören möch ...«

      Das ging mir zu schnell. »Ja, unser Telefonat«, unterbrach ich ihn. »Bevor Sie loslegen, entschuldigen Sie, ich habe mich natürlich gefragt, wie Sie auf mich gekommen sind.«

      Bruckner lächelte. »Das wissen Sie nicht?«

      »Nein!« Ich wusste es in diesem Moment wirklich nicht, auch wenn die