Ole R. Börgdahl

Alles in Blut


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Reihenhaus in der Vorstadt. Meine Frau liebt den Garten und ich meine Ruhe, wenn ich vom Dienst komme.« Er ratterte die Worte wie auswendig gelernt herunter. Schließlich grinste er.

      »Reihenhaus!«, entgegnete ich. »Sind Sie an etwas Neuem interessiert, vielleicht freistehend, mit einem größeren Garten, ruhig gelegen, aber dennoch zentral? Wir haben gerade neue Objekte hereinbekommen. Ich wohne in Osdorf, dort ist es auch sehr schön.«

      Bruckner richtete sich in seinem Sessel auf. Er musste jetzt zeigen, dass er auch noch eine Alternative hatte und die hieß, auf meine Mitarbeit zu verzichten. Er sah wieder auf seine Armbanduhr. Das Gespräch dauerte schon zehn Minuten. Er strich noch einmal über den Umschlag.

      »Ich könnte Ihnen das hier einfach dalassen. Entweder schauen Sie es sich an, wenn ich gegangen bin, oder Sie lassen es. Wir könnten es so machen, aber dann verliere ich kostbare Zeit. Ich hoffe nicht, dass ich jetzt schon kostbare Zeit verloren habe.«

      Wir schwiegen einige Sekunden. Ich holte meine Brieftasche hervor, zog das Foto heraus, dass ich immer bei mir trage und dass ich alle paar Monate durch ein Neues ersetze. Ich zeigte es Bruckner.

      »Das sind meine Kinder. Zwei Jungs und ein Mädchen. Bert ist der Älteste, er ist elf. Ben ist neun und Beth fünf.«

      »Sehr nett, Bert, Ben, Beth«, sagte Bruckner nickend.

      Ich lächelte. »Wir haben es auch erst gemerkt, als es sich schon etabliert hatte. Die Kinder heißen mit vollem Namen Robert, Benjamin und Elizabeth. Beth ist eine waschechte Südstaatlerin. Ich arbeitete schon in Quantico, als sie zur Welt kam. Die Jungs sind beide in New York geboren. Ich habe in einem Keller gehockt, als Ben zur Welt kam. Ohne die Weste hätte ich den Abend nicht überlebt und mein Kind niemals gesehen. Meine Frau hat erst drei Tage später davon erfahren, vorher hatte ich keine Gelegenheit zu meiner Familie zu kommen. Die Ermittlungen standen an einem kritischen Punkt. Wir mussten weitermachen, Familie hin, Familie her.«

      »Ihre Arbeit bei NYPD?«, fragte Bruckner.

      Ich nickte. »Es war natürlich nicht immer so, eigentlich waren solche Momente in all den Jahren eher selten, aber es gab sie und jeder dieser Momente hätte mein Letzter sein können.«

      »Und da haben Sie sich entschieden, aufzuhören?« Bruckner klang jetzt amüsiert.

      »Wir haben einen Kompromiss gefunden: Quantico. Ich war dort natürlich nicht mehr in der Schusslinie.«

      »Also Aufhören in Raten«, folgerte Bruckner.

      Ich lächelte ihn an. »Alles hat seine Zeit. Was glauben Sie, was es für eine Befriedigung ist, wenn man eine Vorortvilla oder ein Innenstadtpenthouse für ein oder zwei Millionen Euro verkauft, wenn beide Seiten zufrieden sind. Selbst wenn ich mal eine Studentenbude wie diese hier losschlagen kann, habe ich hinterher ein richtig gutes Gefühl. Nein, ich habe meine Entscheidung bisher wirklich nicht bereut. Meine Frau ist glücklich, meine Kinder auch. Ich bin glücklich und jeden Abend pünktlich um halb sechs zu Hause.«

      »Bravo, Bravo! Dann will ich Sie auch nicht aus Ihrem neuen Leben reißen. Ich freue mich, dass es Ihnen so gut geht.«

      Bruckner meinte nicht, was er sagte und es brauchte auch nur ein paar Sekunden, bis es aus ihm herauskam. Er schüttelte den Kopf und setzte noch einmal an.

      »Sie können mir nichts erzählen. Ich glaube Ihnen schon, dass Sie keinen Drang mehr verspüren, irgendwelche Ermittlungen an vorderster Front zu leiten, das sicherlich nicht, aber die Flamme ist noch nicht erloschen, das kann ich mir nicht vorstellen.« Bruckner erhob sich aus seinem Sessel. »Ich bin jetzt wirklich spät dran. Ich werde dies hier wieder einstecken.«

      Er nahm den Umschlag vom Tisch und klemmte ihn sich unter den Arm. Er trat einen Schritt zur Seite und wollte mir die Hand reichen. Ich blieb sitzen, rührte mich nicht. Wir blickten uns eine Zeit lang an. Ich nickte schließlich.

      »Und Sie arbeiten bei der Mordkommission hier in Hamburg?«, fragte ich ihn in einem gelangweilten Ton.

      *

      Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner hatte sich längst wieder gesetzt. Seine Dienststelle war das Landeskriminalamt Hamburg. Er arbeitete in der Abteilung LKA 4, Aufgabenbereich Kapitaldelikte, zu denen in Deutschland auch Mord gehörte. Ich hatte doch noch Kaffee gekocht, zwei leere Tassen standen vor uns auf dem Tisch. Wir hatten uns über die Polizeiarbeit unterhalten. Ich hatte mich in den vergangenen drei Jahren nicht sehr für die Polizei interessiert. Ich kannte wohl den opulenten Bau am Bruno-Georges-Platz im Stadtteil Winterhude, hatte aber keine Vorstellung davon, dass es sich bei dem Gebäude um das Hamburger Polizeipräsidium handelte. Kurt Bruckner hatte dort sein Büro, in irgendeinem der zehn Sternspitzen, wie er sie nannte. Dorthin wollte er eigentlich schon längst zurück sein, als wir uns endlich dem verschlossenen Umschlag widmeten, der wieder vor uns auf dem Tisch lag. Bruckner griff jetzt danach und begann den Falz zu lösen. Er blickte mich an.

      »Es sind Fotos und eine Tatortbeschreibung.«

      Er hielt den Umschlag schräg und als Erstes rutschten die Fotografien heraus. Er sortierte sie und reichte mir ein Bündel von fünf Aufnahmen.

      »Das ist der Tatort, der mögliche Tatort«, erklärte er.

      Bruckner wollte mir auch noch die zusammengefalteten Papiere reichen, die er ebenfalls aus dem Umschlag gezogen hatte.

      »Nein, warten Sie«, forderte ich ihn auf. »Ich will erst einmal nur die Fotografien sehen.«

      Ich nahm den dünnen Stapel in die Hände und legte Aufnahme für Aufnahme vor mich auf den Tisch. Ich vertauschte noch zweimal die Reihenfolge, dann stimmte es. Die Kamera war von rechts nach links um das Bett positioniert worden, an jeder Position eine Aufnahme. Meine Augen erfassten die Details. Es war ein Doppelbett, links und rechts standen Nachttische. Auf den Nachttischen je eine Lampe mit gelbem Lampenschirm. Auch die Tapete hinter dem Bett war gelb, ein dunkles gelb.

      »Es sieht sehr aufgeräumt aus«, sagte ich schließlich.

      Bruckner nickte. »Es gab auch keinen Staub, keinen Krümel und keine Fasern oder Stoffreste.«

      »Wie meinen Sie das, es gab keinen Staub?«

      Bruckner entfaltete nun doch den Bericht. Es waren nur wenige Seiten. Er überflog die ersten Zeilen.

      »Die Spurensicherung war der Meinung, dass der Tatort sehr gründlich gereinigt worden sei. Eine Spezialfirma, Profis, da ist nicht einfach nur eine Putzfrau durchgegangen.«

      »Und die Leiche wurde gewaschen?«, fragte ich.

      »Das kann sein, warten Sie.« Bruckner sah noch einmal in den Bericht. »Stimmt, gewaschen und sogar desinfiziert. Es wurden laut Gutachten keine scharfen oder stark duftenden Reinigungsmittel verwendet. Ich lese vor: Auf der Haut des Toten wurden leichte Scheuerspuren wie bei der Einwirkung einer unparfumierten Seife gefunden.«

      »Das diente eindeutig der Beseitigung jeglicher forensischer Spuren«, folgerte ich und besah mir wieder die Fotografien.

      Ich nahm jetzt ein Bild nach dem anderen auf und betrachtete es dicht vor den Augen. Das Letzte behielt ich in der Hand und sah Bruckner an.

      »Das ist aber nicht ihr Fall?«

      »Was, bitte?«

      »Sie sind nicht der Erste, der diesen Fall bearbeitet, das ist ein Cold Case.«

      Bruckner begann zu lächeln. »Woran haben Sie es gemerkt. Die Abzüge können es nicht sein, die sind ganz neu.«

      »An den Bildern kann man es auch nicht unbedingt erkennen. Ich fand es nur merkwürdig, dass Sie in Ihrem Bericht nachsehen mussten. Ein Profi kennt alle Details auswendig. Sie sind zwar Profi, das will ich Ihnen zubilligen, aber es war ursprünglich nicht ihr Fall.«

      »Der Mann ist vor acht Jahren zu Tode gekommen«, erklärte Bruckner. »Die Umstände sind nie aufgeklärt worden, der Fall wurde dann zu den Akten gelegt, ist in Vergessenheit geraten, bis jemand von ganz oben meinte, so könne es nicht bleiben.«

      »Sie sprechen nicht von Mord«, stellte ich