Frank Springer

Hanno rettet die Welt


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auf Umwegen an das Thema heran.

      „Gibt es im Dorf viele Kinder in unserem Alter?“, erkundigte er sich.

      „Es gibt dort einige“, antwortete sie. „Das sind aber alles Deppen. Mit denen möchte ich nichts zu tun haben.“

      Hanno war darüber erleichtert und fragte weiter: „Wie kommst du zur Schule? Nimmst du den Schulbus?“

      „Wo denkst du hin?“, entgegnete Charline. „Hier draußen in dieser Einöde kommt kein Bus. Meine Mutter nimmt mich in die Kreisstadt mit, wenn sie mit dem Auto zur Arbeit fährt. Einmal als sie krank und mein Vater unterwegs war, hat mich dein Vater gebracht, obwohl er nichts in der Stadt zu tun hatte. Ich fand das lieb von ihm. Es war lustig in seinem alten Auto zu fahren. Meine Mitschüler haben sich amüsiert, als wir mit seiner Ente vor der Schule gehalten haben.“

      Hanno spürte, dass er damit bei ihr Punkte gesammelt hatte, auch wenn es wegen seines Vaters war. Er hoffte, dass dadurch zumindest der schlechte Eindruck ausgeglichen war, den sein altes Fahrrad bei ihr hinterlassen hatte.

      „Das ist aber blöd für dich, dass du so weit draußen wohnst, wenn du dich mit Freunden treffen willst“, forschte der Junge weiter.

      „Ja, das ist es“, bekräftigte Charline. Plötzlich stutzte sie und sagte: „Weshalb fragst du mich das? Wozu willst du das alles von mir wissen?

      Hanno fühlte sich ertappt. Er geriet in Panik und wusste nicht, was er antworten sollte. Sein scharfer Verstand ließ ihn im Stich. Ihm fiel nichts ein. Er rang nach Worten und stammelte. Außerdem war er noch immer neugierig, ob Charline einen Freund hatte.

      Er hielt es nicht länger aus und fragte sie direkt: „Ich wollte wissen, ob so ein schönes Mädchen wie du einen Freund hat.“

      Augenblicklich verfinsterte sich Charlines Miene.

      „Ach, darauf willst du hinaus“, schrie sie verärgert. „Glaubst du, wenn ich jetzt nein sage, dass du dann mein Freund sein könntest? Auf so einen Spinner wie dich habe ich gerade gewartet.“

      Voller Wut trat sie mit ihrem Fuß so heftig gegen Hannos Vorderrad, dass er den Halt verlor und vom Feldweg abkam. Charline schaltete ihr Mountainbike in einen anderen Gang und stieg kräftig in die Pedale. Schnell war sie außer Sichtweite. Hanno fuhr ins Feld hinein und fiel auf dem unebenen Untergrund vom Rad. Er tat sich nicht weh, da er im weichen Gras landete. Viel mehr schmerzte ihn, dass er alles verdorben hatte. Nachdem das Gespräch mit dem Mädchen anfangs gut verlaufen war, hatte er im entscheidenden Augenblick versagt.

      Betroffen stand Hanno auf und nahm sein Rad, mit dem er seinen Weg zum Dorf fortsetzte. Als er die Bäckerei erreichte, kam ihm Charline auf ihrem Fahrrad entgegen und hielt in der Hand eine gefüllte Brötchentüte. Das Mädchen schaute ihn böse an und brauste an ihm vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Hanno kaufte Brötchen für sich und seinen Vater und machte sich auf den Rückweg. Er hatte keine Eile, nach Hause zu kommen. Er war traurig und enttäuscht über sich selbst.

      Hannos Vater war verwundert, dass sein Sohn so lange zum Brötchenholen gebraucht hatte. Er spürte sofort, dass Hanno etwas bedrückte. Er fragte ihn aber nicht danach, wie seine Mutter es getan hätte, sondern wartete geduldig, bis der Junge es ihm von sich aus erzählen würde. Lustlos aß Hanno seine Brötchen. Nach dem Frühstück ging er in sein Zimmer, legte sich auf sein Bett und grübelte den gesamten Vormittag über seinen Misserfolg bei Charline nach. Es war genau das eingetreten, was Hanno immer befürchtet hatte, wenn er versuchen würde, ein Mädchen anzusprechen. Er hatte sich blamiert. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, wie überflüssig die Frage nach ihrem Freund gewesen war. Selbst wenn Charline einen gehabt hätte, so hätte er sie trotzdem für sich gewinnen können. Darüber ärgerte er sich am meisten.

      Eines machte ihn aber zufrieden, obwohl er sein Ziel bei Charline nicht erreicht hatte. Sein zu Beginn vielversprechendes Gespräch mit ihr hatte ihm gezeigt, dass er in der Lage war, sich mit anderen Menschen zu unterhalten. Er war überrascht über seine neu entdeckte Fähigkeit. Ihm war zwar bewusst, dass er sie bei Weitem nicht perfekt beherrschte, aber für den Anfang fand er sich nicht schlecht.

      Gegen Mittag beschloss Hanno, einen kleinen Spaziergang zu machen, um auf andere Gedanken zu kommen. Hunger hatte er ohnehin nicht. Sein Vater saß in seinem Atelier und malte. Wenn Hanno ihn hier draußen besuchte, war sein Vater tagsüber die meiste Zeit mit seiner Malerei beschäftigt, während der Junge auf eigene Faust in der Umgebung umherstreifte und die Gegend erkundete. Oft sahen sie sich nur beim Frühstück und dann erst am Abend wieder.

      Hannos Vater gab seinem Sohn ausreichend Gelegenheit, seine Einsamkeit zu genießen. Der Junge war ihm dankbar dafür. Umgekehrt ließ er seinem Vater genügend Freiraum, seine Bilder zu gestalten. Trotzdem konnte er immer zu ihm kommen, sobald er ihn brauchte. Seine Mutter hingegen wollte ununterbrochen etwas mit Hanno unternehmen, wenn er zu Hause bei ihr war. Zusammen mit ihr hatte er keine Zeit, um Ruhe zu finden.

      Als Hanno vor das Haus trat und um die nächste Ecke bog, kam ihm Charline entgegen. Sie wurde von einem Jungen begleitet, der fast genauso aussah wie sie, nur dass er kleiner war. Er war etwa zehn Jahre alt. Sein Haar war kürzer geschnitten und stand in alle Richtungen lustig von seinem Kopf ab. Hanno vermutete, dass dies Charlines Bruder sein musste.

      „Hallo Hanno, bist du wieder auf Brautschau?“, begrüßte Charline ihn. Zu dem Jungen gewandt sprach sie: „Das ist der Spinner, der mir vorhin einen Antrag gemacht hat.“ Wieder an Hanno gerichtet fuhr das Mädchen fort: „Ach übrigens, darf ich vorstellen, das hier ist nicht etwa mein Freund, sondern nur mein Bruder Timmi.“

      Timmi winkte Hanno zu und sagte gedehnt: „Halloho, Hanno!“

      Der brummte dem Jungen, der nichts für seine schlechte Laune konnte, ein unfreundliches „Hallo!“ zu und ging zügig weiter in Richtung Wald, ohne sich umzudrehen.

      Sein Fehlschlag bei Charline und das peinliche Gespräch mit ihr waren schlimm genug für Hanno, aber dass sie ihn erneut daran erinnerte und es anderen weitererzählte, gaben ihm den Rest. Er wünschte sich das Mädchen sonstwohin. Nachdem er einige Zeit durch die Felder gegangen war, kam er an einen Wald. Dort streifte er bis zum Abend planlos umher. Erst zum Abendbrot kehrte er zurück zu seinem Vater. Hanno hatte immer noch keinen Appetit.

      „Ich habe heute das Mädchen von der Familie getroffen. Das ist eine ziemlich eingebildete Zicke“, erzählte er seinem Vater kurz.

      „Schade“, entgegnete dieser, „ich dachte, ihr würdet euch besser verstehen. Du kannst ihr ja aus dem Wege gehen. Hier ist Platz genug.“

      Das stellte sich jedoch für Hanno schwieriger heraus, als sein Vater es vermutete. Gleichgültig wohin Hanno in den nächsten Tagen ging, traf er dort auf Charline und Timmi. Jedes Mal hatte das Mädchen einen gemeinen Spruch für ihn bereit, um ihn damit zu ärgern. „Na, bist du wieder auf Freiersfüßen?“ oder „Hast du schon eine gefunden, die auf dich hereinfällt?“ waren die harmloseren darunter.

      Einmal wollte Hanno zu einem Hochstand an einem Feldrand gehen, um Wildtiere zu beobachten. Charline und Timmi waren aber vor ihm dort und lärmten so laut herum, dass sich kein Wild herantraute. Es war für Hanno zum Verzweifeln. Ursprünglich wollte er hier bei seinem Vater dem Spott der anderen Kinder aus seiner Schule und Umgebung entkommen, aber das, was das Mädchen mit ihm machte, war mindestens ebenso unerträglich für ihn.

      Hannos Paradies, seine Oase der Ruhe und Abgeschiedenheit von anderen Menschen war durch Charline entweiht worden. Seine Erwartungen an die Ferien, einige Wochen lang keinen Gemeinheiten ausgesetzt zu sein, erfüllten sich nicht. Er fragte seinen Vater, ob er Charline nicht aus dem Haus werfen könnte oder ihr zumindest verbieten könnte, die Gegend unsicher zu machen. Sein Vater konnte ihm aber in dieser Angelegenheit nicht helfen. Die Mitbenutzung der Ländereien war der Familie im Mietvertrag zugesichert worden.

      Andererseits hoffte Hanno, auf Charline zu treffen. Er sehnte sie sich herbei. Denn trotz ihres Verhaltens hatte sie nichts von ihrer Anziehungskraft verloren, die sie auf ihn ausübte. Der Junge fand sie immer noch wunderhübsch. Auch wenn sie ihn ärgerte, so entschädigte alleine ihr Anblick ihn. Hanno wusste nicht, was er tun sollte.