Laura Feder

Die Kinder Paxias


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Bewegung hätten ebenso gut im Wind schwingende Blätter sein können. Maya war nicht eindeutig auszumachen. Sie war unsichtbar.

      Augen und Ohren konzentriert auf die Positionsbestimmung der Paxianerin fokussiert, bewegte Saya sich langsam und wachsam um ihre Achse.

      Es gab ganz sicher einen Weg, Maya zu überwältigen, musste es geben. Und es war nun an ihr, ihn zu finden.

      Oder auch nicht.

      Ein hölzernes Geschoss surrte dicht an Sayas Hüfte vorbei und nagelte Maya mit dem Ärmel ihrer führenden Hand, in der noch ein spitzer Dolch wurfbereit ruhte, an den Baumstamm, der eben noch Sayas Gestalt verborgen hatte.

      Der empörte Aufschrei Mayas verriet ihren Unglauben. Auch Saya fuhr mit einem fassungslosen Ruck zu der Angreiferin herum und fixierte diese in einer Mischung aus Schock, Verärgerung und Anerkennung.

      Ruhig und völlig entspannt lächelte Kaeli die beiden Kontrahentinnen an.

      Ursprünglich hatten sie dem Mädchen eine Baumgruppe zugewiesen, an der sie sich im Zielen mit der an beiden Enden gespitzten Harpune üben sollte. Doch offensichtlich war sie inzwischen zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen.

      Unbeeindruckt von den entgeisterten Mienen der erfahrenen Kämpferinnen, erklärte sie munter ihr Eingreifen.

      „Der Morgen graut. Ich dachte, ich beende euer Duell, um endlich unsere Rückkehr einzuleiten, bevor uns andere Stadtbewohner in diesem Aufzug entdecken.

      Da Maya ohnehin Siegerin nach Punkten ist, hielt ich es für angebracht, ihr Einhalt zu gebieten.“

      Lachend zog Maya die Waffe heraus und warf sie Kaeli geschickt zu. Die Paxianerin wirkte angespannt, aber bar jeder Ruhe suchenden Erschöpfung. „Ich bin beeindruckt und gestehe, dass ich dich wirklich unterschätzt habe. Auch deine Kampfkunst scheint mir eine interessante Herausforderung zu sein.“

      „Verrate mir, wie du Maya aufspüren konntest“, forderte Saya lediglich barsch. Ein Zugeständnis ihrer Unfähigkeit dennoch, wie Kaeli erkannte.

      „Es war ganz leicht“, kam sie dann auch der Gelehrten bereitwillig entgegen. „Mayas Technik – gleichgültig wie perfektioniert – ist nur für einen Gegner konzipiert. Was deinem Auge verborgen blieb, war mir von meiner Position klar ersichtlich.

      Du siehst, im umgekehrten Falle hättest du sie binnen Momenten überwältigen können.“

      „Ich verstehe.“

      „Das ist die Schwäche meiner Technik“, stimmte Maya Kaelis einfacher Analyse zu und nickte in Sayas Richtung. „Aus diesem Grund habe ich sie lediglich im Zweikampf oder, bei höherer Gegnerzahl, immer in einer Gruppe eingesetzt.“

      Die ersten schwachen Strahlen des beginnenden Sonnenaufgangs tauchten den Himmel in ein sattes Orange, bis es sich in aufhellenden Schattierungen in ein gleißendes Weiß am Horizont verlor, das die Schwärze der endenden Nacht vertrieb und die drei Gefährtinnen zu einem eiligen Aufbruch mahnte.

      Maya war eine sichere Führerin, die geschickt die ersten Feldarbeiter und Fallensteller zu umgehen wusste und die beiden Sagenwesen wohlbehalten durch einen verborgenen Gang unterhalb der Stadtmauer direkt in die Waffenkammer leitete.

      „Begebt euch zur Ruhe“, empfahl Maya, nachdem sie sich umgezogen und den Wohnraum aufgesucht hatten.

      „Auch ich werde mich zurückziehen und meiner Gedankenwelt überlassen. Eine folgenschwere Entscheidung wird zur Abenddämmerung von mir erwartet.“

      Mit einer angedeuteten Verbeugung wollte sie der Treppe zu ihren Gemächern entgegenstreben, aber Saya unterbrach ihr Vorhaben mit einem ungewöhnlich behutsamen Griff an die Schulter der Paxianerin. Einigermaßen verdutzt, aber frei von Sorge blickte sie die Gelehrte an.

      Saya nickte Maya in offener Hochachtung zu.

      „Ich danke Euch für Eure Lektion, Maya, ich habe viel gelernt vergangene Nacht.“

      Die Ehrerbietung in Sayas Stimme, die die Paxianerin eindeutig als Ranghöhere markierte, ließ Kaeli leise aufkeuchen.

      Beide beobachteten Mayas stolzen, aufrechten Gang, mit dem sie sich entfernte, bevor sie ebenfalls ihr Gästezimmer aufsuchten. In ihrem Fall allerdings, um erholsamen Schlaf zu finden.

      Auch ihre nächste Begegnung mit Maya erfolgte im weitläufigen Wohnraum.

      Die Paxianerin saß am Tisch, ihren Kopf auf die gefalteten Hände gestützt. Zwei schlaflose Tage und eine durchwachte Nacht forderten nun erkennbar ihren Tribut. Auch wenn die Spannung ihres Körpers noch nicht nachgelassen hatte, zeichnete die Müdigkeit deutlich Spuren in ihre Züge. Vor allem in ihre Augen. Sie waren gerötet, die Lider leicht geschwollen, ihr Blick längst nicht mehr so wach wie bei ihrem Abschied am Morgen.

      Hinter ihrem Stuhl stand Cedric, die Schultern seiner Gemahlin sanft massierend und ihr durch seine Berührungen von seiner Kraft abgebend.

      Er begrüßte die beiden Ankommenden mit einem warmen Lächeln. Maya dagegen steuerte unvermittelt das von Saya sehnlichst erwartete Thema an.

      Wie versprochen.

      „Setzt Euch mir gegenüber!“, lud sie die Gelehrte im Wortlaut eines Befehls ähnlich ein.

      Saya gehorchte. Ihr gefiel Mayas Geradlinigkeit.

      Kurz vor der Bekanntgabe, ob sie ihre dringend benötigte Information erhalten würde, erreichte ihre innere Anspannung den fast unerträglichen Höhepunkt. Sich mühsam zügelnd, ballte sie die vor Erregung zitternden Hände zu Fäusten und biss ihre Zähne aufeinander. Nur unter Aufbietung all ihrer Willenskraft widersetzte sie sich dem Drang, die verlangten Angaben aus der Paxianerin herauszuschütteln. Wider besseren Wissens natürlich, da sie längst begriffen hatte, dass Maya sich niemals einem äußeren Zwang beugen würde, der in deren Augen mehr Schaden als Hilfe zu bringen vermochte.

      Sollte sich die Notwendigkeit ergeben, musste sie die Herrscherin der Dämonen eben ohne führende Hilfe aufspüren.

      Doch zu dieser kam es nicht.

      „Nördlich dieser Stadt ist ein sichelförmiger See, dem Ihr im Uhrzeigersinn bis zu seiner Flussmündung folgt.

      Der Flussverlauf führt Euch zu den Brennenden Bergen – einem schier unüberwindbaren Gebirge, das ihr zu passieren gezwungen seid.

      Dort könnt Ihr Euch frei bewegen, eine Begegnung mit Paxianern an diesem Ort ist ausgeschlossen. Sie bevorzugen den gefahrlosen und wesentlich schnelleren Wasserweg.

      Hinter dem Gebirge haltet Euch südöstlich, bis Ihr an einen Wald gelangt. Dieser verbirgt Biran vor Paxias restlicher Welt – meine Heimat. In Biran werdet ihr Sanjo finden. Ich hoffe und bete zu Paxia, dass ich keinen Fehler begangen habe, Euch dieses Geheimnis anzuvertrauen.“

      Eine einzelne Träne rann über Mayas Wange, fiel lautlos auf die polierte Tischplatte. Die Paxianerin barg tief aufatmend ihr Gesicht in den Händen.

      „Was mich betrifft, soll Sanjo nichts geschehen. Ich würdige Eure Sorge und werde mein Bestes geben, sie zu ehren“, versprach Saya ernst. Erleichterung, Dankbarkeit und ungeduldige Aufbruchbereitschaft stürmten in ihrem Inneren.

      Cedric nickte der Gelehrten als Zeichen seiner Billigung Mayas Handlungsweise zu, während seine Gemahlin mit eindringlich forschendem Blick Sayas Hand ergriff.

      „Ich weiß“, meinte sie schließlich. „Ich weiß nur nicht, ob es ausreichend ist, Sanjos Ruhe nicht zu stören.“

      „Ich folge Saya“, meldete sich Kaeli mit überzeugter Entschlossenheit zu Wort. „Auch ich verspreche, deine Mahnungen ernst zu nehmen und keine schlechten Gedanken an Sanjo zu tragen.“

      „Du bist keine Gefahr für Sanjo.“ Cedrics Reaktion erfolgte spontan, noch bevor der Sinn Kaelis Worte allen aufgegangen war.

      Maya erhob sich und trat dicht an das Mädchen heran, das ihrem eindringlichen Blick nicht auswich.

      „Bist du sicher?“, sie wollte