Gerda M. Neumann

Der Neujahrsabend


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      Titelseite

      Gerda M. Neumann

      Der Neujahrsabend

      Olivias dritter Fall

      Impressum

      Copyright © 2017 der vorliegenden Ausgabe: Gerda M. Neumann.

       »Der Neujahrsabend« erschien zuerst 2012 in der Edition Octopus, Münster.

       Satz: Eleonore Neumann.

       Umschlaggestaltung: © Copyright by Benjamin Albinger, Berlin.

       Bild: ›London‹ von Pedro Szekely. Creative Commons

       www.epubli.de

       Verlag: Gerda Neumann

       Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

      Sitzplan

      Olivias Skizze

      Figurenliste

      Festgäste und weitere Figuren

      Sir Keith (Aulton), Schriftsteller und Leiche Muriel Aulton, seine Frau und spätere Witwe Wangari Aulton, Tochter, Modeschöpferin Jerrie Aulton, jüngste Tochter mit einer Farm in Afrika Kamante Aulton, Sohn, Reiseschriftsteller Mrs Kamante Aulton, Lehrerin Charles Aulton, Sir Keiths Bruder mit einer Werbeagentur Mrs Charles Aulton Albert Aulton, Sir Keiths Cousin und Buchhändler Henfrey Beeverell, Professor für neuere englische Literatur Mrs Beeverell, seine Frau, Kunsthistorikerin Mr Booton, Leiter der Dulwich Gallery Mrs Booton, seine Frau Mr Byatt, Verleger von Sir Keith Mrs Byatt, seine Frau Dolly Dodwell, Sir Keiths Schwester Selwyn Farrell, berühmter Literaturkritiker Mrs Farrell, seine Frau Jeremy Ingram, Herausgeber von Sir Keiths Gesamtausgabe Eudora Robin, BBC-Redakteurin und Schriftstellerin Neville Seymour, Schriftsteller Cedric Soames, Muriels Bruder, Staatssekretär im Entwicklungsministerium Mrs Soames, seine Frau, Juristin im Handelsministerium Bruce Trelaney, Professor für englische Literatur Pete Tucker, Filmproduzent Stuart Webster, Feuilletonchef des Guardian Mrs Webster, seine Frau Anthony Weinreb, Bibliothekar und Schriftsteller Charles Wilson, Schriftsteller und Drehbuchautor Mrs Wilson, seine Frau

      Kapitel 1

      Wie träger Silberstaub hing der feine Regen im Lichtkreis der großen Straßenlaternen, übriggeblieben von der Silvesternacht. Die kahlen Gerippe der riesigen Bäume störten die klare Geometrie der Lichtkegel und verloren sich in einer diffusen Höhe, in jenem Reich phantastischer Schatten, die der erste Schlag der großen Uhr um Mitternacht zu einem tollen Tanz in der Welt der Menschen befreite, Schatten von Dingen, die einmal gewesen waren. Der letzte dunkle Schlag von Big Ben hatte die Ordnung wieder hergestellt und das neue Jahr konnte seinen Anfang nehmen.

       Der erste Tag war vorüber. Es war Neujahrsabend. Je länger Olivia durch die Windschutzscheibe starrte, desto strenger und höher erschienen ihr die kahlen Bäume und zugleich wie der Tummelplatz von Elfenkindern durch die tausend kleinen Funken, die das Licht den feuchten Ästen und Zweigen aufsetzte.

       Der rhythmische Klang hoher Damenabsätze auf dem Straßenpflaster schob sich in ihre Gedanken und verstummte. Amanda war neben ihrem alten Saab stehengeblieben, schüttelte den zusammengeklappten Regenschirm und stieg ein: »Es ist schön, dich zu sehen! Bist du gut ins neue Jahr gekommen?«

       »Ja, bin ich, der Silvesterabend spielte sich zwischen Küche und Kamin ab, mit Reden und Essen, er war richtig gut!«

       »Dann wünsche ich dir, dass das begonnene Jahr so weiterläuft!«

       »Danke. Und dir soll es helfen, so viele deiner Ziele zu verwirklichen, wie du schaffen kannst. Also: ein gutes neues Jahr! Wie geht es dir, was hast du gestern Abend unternommen?«

       »Nichts Besonderes. Wir waren bei Freunden meines Mannes eingeladen. Du weißt: das Essen ausgezeichnet, die Getränke exquisit, die Gesellschaft ermüdet von sich selbst, ersatzweise gewandet in schillernde Seide und Satin.«

       Olivia grinste: »Du hast die Vorzüge der Welt der ›Reichen und Mächtigen‹ genossen, deinen Intellekt benutzt, dich über sie lustig zu machen, und hattest bei alledem deinen Spaß.«

       »Ja, so war es. Geschmackvoll und kostbar eingerichtete Räume und elegante Menschen genieße ich wie einen alten Hollywood-Film. Ich spiele meine Rolle nach ihren Regeln, das kann ich gut…«

       »Ich würde dir zu gern einmal zuschauen!«

       »…Du würdest nichts Neues dabei entdecken, ein guter Woody Allen-Film stellt dir ungefähr dasselbe vor Augen, nur bekommst du auch noch eine interessante Geschichte dazu erzählt… Dir wäre es leid um die viele Zeit, ganz sicher.«

       »Und dir?«

       »Meine Rache sind meine kleinen Gesellschaftsromane, mal komisch, mal kriminalistisch. Du kennst sie ja. Zusammen macht mir all das Spaß.« Nach kurzer Pause ergänzte sie: »All die Rollen, die ich spiele, sind nicht sehr verschieden von mir, doch nie ich. Solange ich wieder ich selbst bin, wenn wir zusammen sind, ist alles in Ordnung. Du verstehst, was ich meine?« Olivia verstand und der Ernst, mit dem Amanda den letzten Satz gesprochen hatte, freute sie.

       Sie waren unterdessen von Chelsea, wo Amanda ihrer Mutter einen Neujahrsbesuch gemacht hatte, über die Themse gefahren und weiter dahin unter kahlen Bäumen und großen Laternen. Nur sehr wenige Menschen waren an diesem feuchten Abend unterwegs und kaum Autos, sogar in London hätte man für den Augenblick die Ampeln ausschalten können.

       »Wie hast du den Silvesterabend verbracht?« wollte Amanda wissen.

       »Zuhause. Zusammen mit Leonard. Der Silvesterabend ist für mich eine Art Spalt im Rollen der Zeit, in dem ich anhalte und das alte Jahr überdenke, manchmal auch dies und das aus den Jahren davor oder was mich sonst gerade beschäftigt – oder Leonard, ihm geht es da nicht viel anders.« Olivia lachte verschmitzt zur Freundin hinüber: »Aber wir sind keine Asketen. Wir haben uns ein endloses Menü mit vielen kleinen Gängen zubereitet, ich glaube, wir haben den ganzen Abend gegessen… und der erste Schlag der Mitternacht traf uns vor dem Kamin, ordnungsgemäß mit einem Glas Sekt in der Hand.«

       »Und die ganze Zeit hindurch habt ihr geredet?«

       »Ja, sicher. Ist das so ungewöhnlich?«

       »Vielleicht ungewöhnlicher als du glaubst.«

       Für einen Moment rollten sie schweigend die breite Straße hinunter. »Ich kann mich immer wieder über die schiere Ausdehnung von Clapham Common wundern, über diese grüne Weite mitten in der Riesenstadt,« stellte Olivia fest.

       »Irgendwie hast du recht,« stimmte Amanda zu, »ich überraschte mich gerade bei dem Staunen, wie schön die Häuserzeile dort hinten ist, vielleicht ein wenig bunt, aber noch sichtlich in der Eleganz des 18. Jahrhunderts.«

       Gut, dass die Ampel nicht ausgeschaltet war. Als der alte Saab stand, folgte Olivia Amandas Blick. Vierstöckige Häuser mit gusseisernen Balkons im 1. Stock reihten sich an einer Straße mit großen Bäumen; die ihnen gegenüberliegende Straßenseite war Grünfläche, die in den Common überging. »Komisch,« sinnierte Olivia angesichts dieses offenkundigen Wohlstandes, »warum denke ich bei Clapham eher an kleine Leute, die ein einzelnes Zimmer gemietet haben und froh sind, am Sonntag in diesem Grün spazieren gehen zu können?«

       »Keine Ahnung. Immerhin haben hier Samuel Pepys, Macauly und Lytton Stratchey gewohnt.«

       »Vergiss Captain Cook nicht. Aber das ist alles lange vorbei. Ich habe andere Gestalten vor mir, zum Beispiel einen älteren Mann, der manchmal mit einem kleinen