Hubert Wiest

Lomoco spioniert


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Der Hof lag mit mehreren Gebäuden wie ein grauer Koloss am Waldrand und überragte selbst die höchsten Bäume um mehr als das Doppelte. Der Wald verschwand fast im Schatten des Hofs. Aus Beton gegossene Schnitzereien verzierten das düstere Wohnhaus. Kleine Fenster erinnerten an Schießscharten und der schwarze Teer des Dachs tropfte in der Sommerhitze herab. Daneben erhob sich in riesenhafter Gestalt ein grauer Betonklotz. Sicher 20 Stockwerke hoch und ausladend wie ein Fußballfeld. Die glatten Wände wurden nur von Lüftungsschlitzen und einer winzigen Tür durchbrochen. Fabius entdeckte keine Fenster. War das der Stall? Kleinere Betongebäude, vielleicht Lagerräume, lagen in einem Halbkreis um den Riesenklotz.

      Fünf gigantische Transportuntertassen schwebten im Innenhof. Sie waren völlig verdreckt und konnten sicher 500 Kühe auf einmal transportieren. In verschnörkelten Buchstaben stand darauf zu lesen: „Protzkis Nahrung für deine Gesundheit die Wahrung“. Am Steuer der Untertassen saßen stumpfe Flugroboter. Sie hatten keine Beine und waren auf den Sitzen festgeschraubt. Tag und Nacht mussten sie fliegen. Lomoco beneidete sie nicht um ihre eintönige Tätigkeit.

      „So riesige Transporter habe ich noch nie gesehen", staunte Fabius.

      Eine Untertasse wurde gerade beladen. Aus einem dicken Schlauch floss eine zähe gelbbraune Pampe in das Innere des Laderaums.

      „Igitt, was ist das für ein Matsch?“, ekelte sich Lomoco. Er parkte die kleine Untertasse der Brömstetts versteckt im Schatten eines Riesentransporters. Als sie die Glaskuppel ihrer Untertasse öffneten, musste Fabius würgen. Es stank entsetzlich. Er hielt sich die Nase zu, atmete nur noch durch den Mund. Lomoco drehte an seiner Schraubennase, sodass er nichts mehr roch. Und Hugo fiepte jämmerlich.

      Dutzende von Arbeitsrobotern marschierten über den Hof. Einige schoben turmhoch beladene Schubkarren, andere schleppten riesige Mengen Mist und manche balancierten Stapel brauner Kartons. Keiner achtete auf die drei Besucher.

      „Was lädst du da ein?“, fragte Fabius den Roboter, der die gelbbraune Pampe in die Transportuntertasse fließen ließ.

      „Kartoffeln“, kam die knappe Antwort.

      „Kartoffeln?“, Fabius schüttelte den Kopf. „Das sollen Kartoffeln sein? Nein, Kartoffeln sehen anders aus.“

      „So lassen sich Kartoffeln billiger transportieren. Sie werden gleich nach der Ernte zu Brei gepresst und später im Laden wieder zu Knollen geknetet. Diese Kartoffeln muss man nicht einmal mehr schälen“, erklärte der Arbeitsroboter.

      Fabius verzog das Gesicht und beschloss, nie wieder Kartoffeln zu essen außer Pommes, da wollte er eine Ausnahme machen. Lomoco nahm den Bauernhof mit seiner Kamera auf.

      Fabius gruselte sich vor dem düsteren Bauernhof. Hier wollte er nicht bleiben. Die Bauernhöfe in seinem Schulbuch sahen ganz anders aus.

      „He, wo finden wir den Bauern?“, fragte Lomoco einen vorbeihastenden Arbeitsroboter.

      „Den Bauern? Er sitzt im Keller seines Wohnhauses. Immer sitzt er dort. Aber ich weiß nicht, ob ihr zu ihm dürft“, antwortete der Arbeitsroboter und eilte weiter.

      „Lass uns nach Hause fliegen“, drängte Fabius.

      Doch damit gab sich Lomoco nicht zufrieden. Er knipste seine Videokamera aus und sagte unternehmungslustig: „Natürlich gehen wir zu dem Bauern. Der komische Arbeitsroboter hat es nicht verboten.“

      Unsicher folgte Fabius dem voraussurrenden Lomoco. Daumen und Zeigefinger hielt er fest an die Nase gepresst. Hugo flatterte hustend nebenher.

      Mit Schwung stieß Lomoco die Tür des Wohnhauses auf. Fabius traute seinen Augen nicht. Dahinter öffnete sich eine andere Welt. Anstelle grauen Betons bedeckte feinster Marmor den Boden. Goldene Lampen tauchten den Raum in ein warmes Licht. Apfelgroße Edelsteine in allen Regenbogenfarben schmückten die Wände.

      Sprachlos traten die drei ein. Die schwere Tür fiel sanft hinter ihnen zu und der Gestank blieb ausgesperrt. Erleichtert ließ Fabius seine Nase los.

      „Das sieht wie ein Schloss aus“, staunte er. „Wohnt hier ein König?“

      „Ich will auch König sein, ich will auch König sein", krähte Hugo vergnügt.

      Sanfte Musik perlte aus unsichtbaren Lautsprechern. Golddurchwirkte Teppiche zeigten den Weg. Sie waren zu prunkvoll, um sie mit Schuhen zu betreten. Dort, wo sie dreckige Gummistiefel erwartet hatten, standen feinste Seidenpantoffeln in einem reich verzierten Elfenbeinregal.

      „Hallo Bauer“, rief Lomoco - einmal, zweimal, dreimal. Niemand meldete sich.

      „Ist nicht zu Haus, ist nicht zu Haus. Ich will heute König sein“, plapperte Hugo und streichelte ganz vorsichtig über die Edelsteine.

      Fabius hatte so ein komisches Gefühl. Sein Magen klumpte wie ein Stück Käse.

      „Dort hinten ist eine Treppe. Kommt, wir suchen den Bauern“, schlug Lomoco vor und zeigte auf das Ende des langen Ganges.

      „Muss das sein?", fragte Fabius. Am liebsten wäre er sofort umgekehrt.

      Eine prunkvolle Treppe führte hinab. Die Kellerwände – mit geschliffenen Saphiren verziert - verströmten ein beruhigendes blaues Licht. Ganz hinten im Keller stand ein riesiger goldener Tresor, groß wie ein Überseecontainer. Die Tür war nur angelehnt. Aus dem Inneren des Tresors drangen Licht und Wortfetzen.

      „Kommt, wir sehen nach“, sagte Lomoco und surrte voran.

      „Ich weiß nicht, das ist vielleicht verboten“, zögerte Fabius.

      Doch schon stand Lomoco an der Tresortür und klopfte mit seiner Blechhand. Eine dünne Stimme antwortete: „Herein, herein, wo bleibt mein Goldpuder.“

      Lomoco zog die schwere Tresortür auf und alle drei traten ein.

      Der Anblick war überwältigend: Überall Gold. Nichts als Gold. Ein goldener Boden. Goldene Wände. Goldene Vorhänge. In der Mitte des Tresors thronte ein goldener Fernseher. Bilder flimmerten. Gegenüber stand ein goldenes Sofa. Ein Mann mit dünnen Ärmchen saß darauf. Seine streichholzdürren Beine steckten in goldenen Seidenpantoffeln. Nur der Bauch des Mannes war enorm dick. Ein golddurchwirkter Bademantel spannte sich darum. Sein Gesicht war seltsam blass, weiß wie billige Wachskerzen und wabbelig. Der Mann blickte die drei mit trüben Augen und einem dünnen Strichmund an. „Wer seid ihr?“, wollte er wohl fragen, doch seine dünne Stimme versagte und es kam nur ein leises Rülpsen.

      „Guten Tag, wir sind Lomoco, Fabius und Hugo“, stellte der himmelblaue Roboter die drei freundlich vor.

      Fabius` Knie zitterten. Er hatte Angst, obwohl der Mann ziemlich jämmerlich aussah. Wenigstens waren Lomoco und Hugo dabei.

      Mit dünner Stimme antwortete der Mann: „Ich bin Bauer Protzki. Willkommen auf meinem Hof, dem reichsten Hof der ganzen Gegend. Bewundert mein Gold und meine Edelsteine, aber fasst nichts an. Und jetzt lasst mich in Ruhe. Ich möchte fernsehen.“

      Protzki drehte seinen Kopf zum Fernseher und starrte auf die flimmernden Bilder.

      „Welche Sendung siehst du an?“, fragte Lomoco neugierig.

      „Keine Ahnung“, antwortete Protzki schlapp. „Ich sehe immer fern – den ganzen Tag, jeden Tag. Da ich alles sehe, ist mir egal, was gerade läuft. Ich verpasse nichts.“

      „Puh, irre langweilig“, dachte Fabius.

      Lomoco ließ nicht locker: „Herr Protzki, zeigst du uns bitte deinen Hof? Wir sind für Malina unterwegs. Das ist Fabius` Mama. Sie ist Roboterkonstrukteurin bei FamersFun. Malina sucht neue Ideen für noch bessere Landwirtschaftsroboter.“

      „Bessere Landwirtschaftsroboter?“ Protzkis Augen blitzten ganz kurz auf. „Ich weiß nicht, ob ich das darf“, murmelte er und wandte sich dann mit einem Rülpser an Lomoco. „Na gut, wenn es sein muss. Kommt mit. Ich führe euch durch meinen Hof. Den reichsten Hof der ganzen Gegend. Aber ich glaube, ich erwähnte das bereits.“

      Protzki erhob sich von seinem Sofa und für einen Moment glaubte