Hubert Wiest

Lomoco spioniert


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      Protzki führte Fabius, Lomoco und Hugo durch einen unterirdischen Gang.

      „Dieser Gang führt mich überallhin. Ich hasse die Sonne. Ich mag keinen Regen. Nie gehe ich nach draußen", sagte Protzki und schnaufte dabei wie eine Fahrradpumpe.

      „Wo sind deine Felder und Wiesen?“, fragte Lomoco.

      „Felder, Wiesen, ha, die liegen alle in meiner hypermodernen Landwirtschaftsproduktionshalle LWPH1. Etwas Besseres gibt es nicht“, prahlte Protzki. „Ihr habt doch das große graue Gebäude gesehen. Da steckt alles drin. Kühe, Schweine, Hühner, Felder und Wiesen. Sogar einen See für die Fischzucht habe ich in meiner LWPH1 anlegen lassen. Ich bin unabhängig vom Wetter und produziere mehr Lebensmittel als alle anderen Bauern zusammen.“ Protzki hustete. Goldstaub wirbelte aus seinem Mund. Er wischte mit dem Ärmel seines Bademantels darüber. Dann fuhr er fort: „Aber eigentlich ist mir das alles egal. Ich interessiere mich nur noch für Gold und Fernsehen. Jawohl, Gold und Fernsehen.“

      Protzki schlurfte zu der Betontreppe, die am Ende des Ganges nach oben führte. Dort gab es weder Gold noch Edelsteine. Der Prunk hatte sich aufgelöst wie eine Fata Morgana. Sie standen in einem Treppenhaus aus rauem Beton. Gestank wehte herab.

      Hugo flatterte neben ihnen her und krähte: „Will doch kein König werden, will doch kein König werden.“

      Nach einigen Stufen erreichten sie einen Aufzug. Der Bauer öffnete die Tür: „Bitte einsteigen, wir fahren ganz nach oben in den 20. Stock und gehen Stockwerk für Stockwerk hinab. Dann könnt ihr alles sehen, meinen ganzen Reichtum.“

      „Hoffentlich darf ich das“, murmelte Protzki zu sich selbst.

      Der schwere Lastenaufzug setzte sich rumpelnd in Bewegung. Langsam wurde er nach oben gezogen. Ängstlich starrte Fabius auf die flackernden Lämpchen. Es ging immer weiter hinauf. Wenigstens war Lomoco bei ihm. Endlich hielt die Rumpelkiste im 20. Stock.

      „Bitte aussteigen. Wir beginnen unsere Führung mit der Geflügelfarm in der LWPH1“, erklärte Protzki und schlurfte voran. „Mit den Hühnern und Puten verdiene ich jeden Monat ein halbes Zimmer voller Gold.“

      „Wofür brauchst du so viele Zimmer mit Gold? Wenn ein Zimmer voller Gold ist, kann man dort nicht mehr spielen“, fragte Fabius.

      Protzki schnäuzte sich in ein goldenes Taschentuch und brummte: „Dummes Kind, Gold ist so wertvoll, davon kann ich viele neue Zimmer bauen lassen und ich habe noch mehr Platz für Gold.“

      Heiße, stickige Luft schlug ihnen in der Geflügelfarm entgegen. Lärm schnatterte durch die Halle. Tausende von Hühnern und Puten standen auf ihren Plätzen, die kleiner waren, als ein Blatt Papier. Das Federvieh wurde seinem Namen nicht mehr gerecht. Alle Tiere waren völlig nackt, hatten keine einzige Feder am Körper.

      Protzki lächelte spöttisch auf Fabius herab und sagte: „Du wunderst dich, dass die Tiere keine Federn haben? Das ist viel praktischer so. Ohne Federn sind sie dünner und benötigen weniger Platz. Essen kann man die Federn sowieso nicht.“

      Fabius taten die Hühner leid. Hugo flatterte durch die Halle und merkte sich alle Einzelheiten. Er sah kleine Arbeitsroboter, die Hühnereier einsammelten und je nach Größe und Farbe auf unterschiedliche Förderbänder legten. Nach einigen Kurven verschwanden die Eier hinter grauen Klappen.

      Eier einsammeln und sortieren, notierte Hugo als Aufgabe für Malinas Landwirtschaftsroboter.

      „Protzki sieht auch wie eine Pute aus“, flüsterte Lomoco Fabius zu, „ein dicker Bauch auf ganz dünnen Beinchen.“

      „Und keine Federn auf dem Kopf“, kicherte Fabius.

      „Was passiert mit den Eiern auf dem Förderband?“, wollte Lomoco wissen.

      Protzkis Augen drehten sich suchend hin und her, dann stotterte er: „Ähm, ähm, keine Ahnung, weiß ich nicht. Das machen die Roboter. Interessiert mich nicht. Ich brauche nur Gold und den Fernseher. Das Federvieh ist mir egal.“

      Fabius wunderte sich. Der komische Bauer kannte sich nicht einmal auf seinem eigenen Bauernhof aus.

      Protzki schritt schwitzend voraus. Er war in Fahrt gekommen und erzählte ununterbrochen mit dünner Stimme, wie viel Gold er hatte, und wie er noch mehr Gold verdienen würde.

      Eine Treppe führte hinunter in das nächste Stockwerk.

      „Liebe Gäste, wir kommen nun zum Prunkstück meines Bauernhofes“, dozierte Protzki und japste nach Luft, ehe er fortfuhr. „Die Schweinezucht. Mit der Schweinezucht verdiene ich jeden Monat zwei Zimmer voller Gold.“

      „Dann sind deine Zimmer bald voll", bemerkte Lomoco frech.

      Protzki nahm die Frage sehr ernst: „Deshalb habe ich den goldenen Tresor bauen lassen. Dort ist mein Platz, wenn alle Zimmer voll sind. Ich esse ausschließlich Goldpuder, damit auch ich eines Tages aus purem Gold bin.“

      „Klingt ekelhaft“, flüsterte Fabius. „Darum hat er so eine ungesunde Gesichtsfarbe und der dicke Bauch ist randvoll mit Goldstaub.“

      Im Schweinestall stank es noch mehr.

      Fabius glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Solche Schweine hatte er noch nie gesehen: Wie bei gewöhnlichen Schweinen war ihre Haut rosa oder mit Matsch bedeckt. Auch waren sie nicht höher als ein normales Hausschwein und der Kopf sah ganz nach Schwein aus. Ein Schwänzchen ringelte sich am Po, aber Protzkis Schweine waren gut sechs bis sieben Meter lang, mindestens dreimal so lang wie normale Schweine. Sie sahen aus wie riesige rosa Würste mit Beinen.

      Mitten um ihren Bauch hatten die bemitleidenswert langen Schweine einen dicken schwarzen Gürtel. Unten waren Rollen angebracht.

      „Die Langschweine haben alle eine Rolle unter dem Bauch, damit er nicht auf dem Boden schleift“, bemerkte Lomoco aufgeregt.

      „Sehr gut, sehr gut, kleiner Roboter“, lobte Protzki gönnerhaft. „Hier, meine Gäste, seht ihr die berühmten Protzki–Langschweine. Sie ergeben dreimal so viele Schnitzel, wie herkömmliche Schweine. Du isst doch gerne Schnitzel, mein Junge.“

      „Eigentlich ja.“ antwortete Fabius zögerlich, und war sich nicht sicher, ob er auch in Zukunft noch Schnitzel essen wollte.

      „Ich habe im ganzen Universum das Patent auf meine Protzki–Langschweine“, erklärte der Bauer weiter. „Niemand außer mir darf diese Langschweine bauen.“ Die dünne Stimme zitterte vor Stolz.

      „Wie baut man denn Schweine?“, wollte Lomoco wissen.

      „Das weißt du nicht, dummer Roboter, ha ha ha“, freute sich Protzki und sein weißes Wachsgesicht wabbelte. „Also man braucht zunächst ein, ein, ein äh...“ Protzki kam ins Stocken. „Ach ihr dummen Kinder, viel wichtiger ist doch das Gold.“

      Hugo flatterte unbemerkt umher und machte sich Notizen. Er war ein wirklich aufmerksamer Beobachter: Rollen sauber kratzen, schrieb er auf. Kleine braune Arbeitsroboter reinigten immer wieder die Bauchrollen der Langschweine. Sammelte sich zu viel Matsch und Schlamm in einer Bauchrolle, blockierte diese. Das Schwein kam ins Schleudern und fiel um. Oftmals verknoteten sich Schweine bei diesen Unfällen Schweine entknoten, schrieb Hugo auf. Arbeitsroboter entwirrten mühsam die verdrehten Schweine. Manchmal verknoteten sich mehrere Schweine ineinander und es gab kompliziert zu lösende Doppel- und Dreifachknoten. Dabei hielten die Schweine nicht klaglos still wie ein Schuhband, sondern zappelten quiekend umher. Manch ein Arbeitsroboter fiel dabei selbst in den tiefen Matsch.

      „So eine blöde Arbeit.“ Lomoco hatte Mitleid mit seinen entfernten Verwandten, den braunen Arbeitsrobotern. Aber denen war das wohl egal. Sie besaßen sicher keinen EMO-Chip.

      Protzki balancierte mit seinen Seidenpantoffeln auf dem dünnen Holzsteg durch den Schweinematsch. Nur nicht danebentreten. Fabius und Lomoco folgten nachdenklich. „Für so einen miesen Bauernhof sollte Malina keine Roboter bauen“, überlegte Fabius.

      Am Ende der Halle hielt Protzki kurz inne und drehte sich zu Fabius und Lomoco um. Er wollte etwas sagen, da versagte sein