Gerhard Schumacher

Die Glückseligen


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sondern größtenteils im dörflichen Berlin sich abgespielt haben, unter die Hocksche Feststellung und sollten so verstanden werden, so weit es überhaupt etwas Verstehenswertes zu entdecken gibt.

      Worum geht´s? Eine Frage, die zwar dumm aber dennoch nicht zu beantworten ist, denn wäre sie es, würde sie die These des Herrn Hock elegant aushebeln. Sie ist es aber nicht, sonst hätte das vorliegende Werk weder geschrieben, noch in Satz und Druck gehen dürfen. Welch ein Glück, dass der Herr Hock recht hat.

      Vielleicht aber ist eine Annäherung möglich.

      Im Großen und Ganzen geht es um nichts. Jedenfalls um nichts Wesentliches. Das Schwagerwesen mit vielen seiner Unterarten spielt eine gewisse Rolle, darüber hinaus noch eine Reihe mehr oder weniger involvierter Adepten und Deppen, die Rassenfrage wird gestreift, auch die der Doppelnamen, ebenso der desolate Zustand des schwedischen Gesundheitswesens. Erwähnung finden u. a. Napoleon, Marx, Fontane in gebührender Form und der künftige König von Frankreich, jawohl, richtig gelesen, den gibt es, oder wird es jedenfalls geben, oder sollte, könnte, eventuell.

      Aufgrund der äußeren Umstände kam ich nicht umhin, das Folgende aufzuzeichnen. Es war die Zeit, so obrigkeitsseitig verfügt, der Um- und Aufbrüche. Oder auch die Zeit des Zusammenfügens von Teilen, die angeblich zueinander gehörten wie die Faust aufs Auge oder jedenfalls so ähnlich. Der Sprüche unterschiedlichen Unterhaltungswerts, von Qualität soll an dieser Stelle die Schrift nicht künden, waren gar viele. Unsere kleine Stadt, verpennter, als Thornton Wilder es sich je hätte erdenken können, unser großstädtisches Provinznest, als Pfahl im verwesenden Fleisch des abgestorbenen Staates mit den Karnevalskürzeln DäDäRä ganz besonders fies betroffen, ging an ihren fest gefügt geglaubten Rändern in die Brüche, da die zum Schutzwall geadelte Betonhürde erst bröckelte, dann unter tösigem Hammergepicke ins Schwanken kam und schließlich in sich zusammenfiel. So verlässlich waren der staatliche Sozialismus und seine Plattenbauten.

      Was wissen bajuwarische Waldläufer oder württembergische Viertelesschlotzer vom aasigen Minolgestank des großspurig Trabant benamten zweitaktigen Hilfsmobils? Sie, die weit weg waren vom Geschehen, vom wirklichen Leben sozusagen, hinterm Berg irgendwie herumhausten, genau wie vor hundert Jahren schon. Was wissen sie von den Leuten erst, die in der stinkigen Pappmascheemasse zusammengepfercht die Grenze zur Freizeit überfuhren und plötzlich in Horden auf den Straßen des Klassenfeinds herum flanierten, dass es für die Ureinwohner der dörflichen Althauptstadtenklave schnell zum Graus wurde? Was wissen die süddeutschen Naturvölker, weit ab jeden körperlichen Kontakts mit feindlichen Stämmen, sieht man von den österreichischen einmal ab, in ihren Gebüschen hockend, über längst vergessen geglaubte Verwandtenschwärme, die sonntags zu nachtschlafender Frühe auf Klingeltableaus drückten, an Türen hämmerten ohn´ Unterlass und, aus dem Nichts kommend, durch Ausdauer, Erfindungsgeist und Improvisationstalent Einlass erzwangen. Eben.

      Aber darum geht es eigentlich gar nicht.

      Bliebe noch die Frage zu klären, warum die Kapitelüberschriften neben der deutschen auch in der lateinischer Sprache abgefasst sind. Wie so oft gibt es auch hier eine einfache Erklärung. Nämlich die:

      Ursprünglich sollte das Werk komplett in Latein, ich schwör´s, es war nicht meine Idee, exklusiv im Vatikan erscheinen. Wegen der vielen sexuellen Geschlechterverkehranspielungen und sonstiger obszöner Stellen. (Gerade deshalb.) Mehrmals zum Beispiel kommen die Worte Schwanz, Muschi vor u. Ä. (an entscheidender Stelle sogar einmal der Ausdruck: Ejakulation), das war´s dann allerdings auch fast schon. Aber für die Schwarzröcke doch ganz schön saftig, oder? Stille Hoffnung regte sich auch, durch derart unflätige Ausdrucksweise auf den Index zu kommen, respektive verboten zu werden und in den Kellern des Vatikans fröhliche Urständ´ feiern zu dürfen. War aber nicht, im letzten Moment zog des Verlegers natürliche Bremse. Gut so. Es hätte ein großes Geschäft werden können, unter jeder Kutte dieses Buch. Allerdings hege auch ich meine Zweifel, ob der Abverkauf für beide, Autor und Verleger, gereicht hätte, Millionäre zu werden. So muss halt einer verzichten. Genau.

      Wie auch immer. Möge den Leser das Nichts denn umfangen.

      unus: adventus et ientaculum Eins: Ankunft und Frühstück

      In dieser schwurbeligen Zeit, Anfang der neunziger Jahre, des Oktobers Dritter war schon zum bedenklichen Tag befördert, fuhr ich mit der Eisenbahn, von Hannover kommend, über das verkackte Magdeburg auf abenteuerlich schlackernden Geleisen gemächlichen Tempos an grauer Dörfer Mauern vorbei Richtung künftiger, mit ausreichender Mehrheit beschlossener Hauptstadt.

      Die Fahrt gestaltete sich durchaus nicht angenehm noch komfortabel, die Mitropa war mit altbekannter Kundenfeindlichkeit und ebenso erprobtem Personal noch voll in Fahrt und alles rappelte, klackerte, schuckelte, stank lysolig und dauerte zum was weiß ich wessen Erbarmen lang.

      »Warum gerade ich?«, fragte ich beim düsteren Blick auf Schwarz-Weiß-Landschaften mitten im Sommer, die Kraft Kanzlerwort einmal bunte, sprich: blühende werden sollten? Warum gerade ich? Weil du es so gewollt hast, raunte mir der Gepäckträger zu, oder die Hutablage, oder der dreckige Aschenbecher, oder alle zusammen im Chor, weil dich keiner gezwungen hat, in das verschnarchte Hannover zu fahren, dort zwei Tage rumzuhängen und zum Dornen krönenden Abschluss noch mit der Reichsbahn, ehrlich, so hieß das damals, heimzukehren. Keiner hat dich gezwungen, es war dein ureigenster Entschluss. Und dafür musst du leiden. Aber wie.

      Und ich litt.

      Es war weniger der tumbe Kellner mit seiner befleckten Jacke und dem taumeligen, immerhin, Bemühen zwischen schnoddrigem Desinteresse und neu gefordertem Dienstleistungseifer einen für ihn gangbaren Mittelweg zu finden, der mit lässiger Handbewegung und sächsisch eingefärbten Amerikanismen das pisswarme Radeberger auf den fahrbewegten Tisch knallte, auch nicht der beißende Gestank nach Toilettensteinen aus dem Klo, der immer dann mich umwaberte, wenn die Milchglas bestückte Tür des Speise(hä,hä)wagens sich fully automatically öffnete, sobald jemand unverständlicherweise Einlass begehrte, unter denen ich leiden musste.

      Es war vielmehr die Lektüre der dörflichen Hauptstadttageszeitung, die ich in Ermangelung anderen Lesestoffs, die mitgeführte Reiselektüre hatte ich im niedersächsischen Metropolis im Suff verloren oder gar versetzt, was weiß ich, auf Hannovers Hauptbahnhof erstanden hatte und die kaum dazu angetan war, des Reisenden Herz zu erquicken, noch ihn der Kurzweil zu überantworten.

      Nun denn, so geht es. Ein Fehler, der mindestens drei Stunden lang nicht zu korrigieren ist, weil man trotz des maroden Schienenstrangs (wie, stellt sich bei dem Gerumpel die Frage, wollte der Sozialismus eigentlich darauf vorwärtskommen? Und wenn nicht darauf, worauf sonst?) und dem dadurch bedingten mäßigen Tempo nicht abspringen kann. Es hätte auch nichts genutzt, das Abspringen, denn in den, ich sag´ mal wohlwollend: Ortschaften, die der Zug durchschlich, gab es zwar jede Menge umfallorientierter Schornsteine und windanfälliger Rinderbaracken, von holzwurmigen Schweinekoben nicht zu reden, aber mit Sicherheit keinen Zeitungskiosk. Und wenn doch, dann keinen, der etwas wirklich Lesbares zum Kauf anbot. Aber das tat der Kiosk auf dem Hauptbahnhof in Hannover eigentlich auch nicht. Oder ich habe das Falsche gewählt. Wovon man ausgehen kann, denn ich habe mein ganzes Leben lang das Falsche gewählt. Oder das Richtige. Kommt drauf an, von welcher Seite man es sieht.

      Immer, wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Das Lichtlein, das mein trauriges Dasein im vormaligen Interzonenzug schlagartig erleuchtete, in gleißende, Spot an, Helligkeit tauchte und das Gemüt mit aller Unbill der vergangenen Tage versöhnte, fand sich im Anzeigenteil besagter Tageszeitung, genauer gesagt, in der im unteren Teil der Todesanzeigen (sic!) eingerückten Rubrik „Ärzte“. Und es war wunderschön, gerahmt und doppelnamig. Aber das zuhauf.

      Christine Jurk-Knallfass zum Beispiel teilt schwarz auf weiß und wahrscheinlich allen Ernstes mit, ihre Praxis demnächst an Mirjam Klein-Ballwenge zu übergeben und macht, quasi nebenbei und in einem Abwasch, für allerlei von ihr praktizierten medizinischen Zauberkram und sonstiges Beschwörungs- und Besprechungsgedöns Reklame. Na bitte, das war doch schon mal ein gelungener Auftakt, der Interessierte, wie mich zum Weiterlesen animierte. Zwischen annoncetechnischem Mittelmaß ohne pornografische Doppelnamen stand dann