Gerhard Schumacher

Die Glückseligen


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mit Abfall gefüllten Alditüte hinge und sich redlich abmühte, die rot geschwellte Kuppe endlich zum Schuss zu überreden. Überdies gelänge gerade das dem Hund, zumindest bei Ästen und Tüten, äußerst selten und nur unter Einsatz letzter Kräfte und wenn es wider Erwarten dann doch passierte, sei er danach immer dermaßen überrascht und geschwächt, dass er sich, alle Glieder, ha ha, von sich streckend, schlichtweg weigere, den Weg fortzusetzen, und er, Wenzel, ihn dann nach Hause tragen müsse. Ein unwürdiger Abgang sozusagen und ein schwerer, zumindest für Wenzel.

      Zu welcher Rasse der Hund denn gezählt wird, wollte ich wissen. Das könne er so genau nicht sagen, erklärte Wenzel. Auf jeden Fall sei ein Dackel dabei gewesen und ein Terrier wohl auch, wenn er der Expertenmeinung des impfenden Tierarztes trauen darf, und noch ein paar andere Sorten, »kannst du dir ja denken.« Klar konnte ich.

      Eigentlich hätte ich mich genau an dieser Stelle fragen müssen, ob der Hundekauf aus Wenzels Sicht wirklich Grund genug war für eine nachmittägliche Einladung, die einen zunehmend kostspieligen Charakter annahm. Die Angelegenheit, die er mir noch auf dem Bahnhof als höchst wichtig avisiert hatte, versandete doch nicht etwa in den profanen Niederungen eines Plastiktüten rammelnden Vierbeiners unbestimmter Sortenzugehörigkeit. Selbst wenn ich gewollt hätte (habe ich aber nicht), was konnte ich dazu beitragen, den Hund Manfred Cholera von seinen peinlichen Sexualpraktiken abzubringen? Wozu auch, bei seinem besten Freund, dem Menschen, gab es in dieser Hinsicht noch ganz andere Dinge zu bestaunen, da waren Äste und Pizzaverpackungen eher unbedeutend, geradezu lächerlich.

      Aber ach, alle diese wohlfeilen Überlegungen kamen mir erst später, viel später, in den Sinn. Hier und jetzt, im Omero, unter des Schankknechts Gesetz, schwappte mir das Bier literweise durch Körper und Gehirn, beruhigte und stachelte gleichzeitig auf, erfreute und ließ traurig werden, kurz, ich näherte mich, Heidewitzka, Herr Kapitän, dem trunkenen Zustand, und zwar mit Riesenschlucken. Und in dieser Verfassung denkt man nicht weiter nach, sondern ordert alert die nächste Runde, respektive lässt ordern, denn soviel klaren Kopf hatte ich noch, mich der Einladung des Hundeschwagers zu erinnern. Und der ließ sich, was die Bestelltechnik und auch deren häufige Umsetzung anging, nicht lumpen.

      »Außerdem,« Wenzel donnerte wiederum in meine Richtung, »außerdem kaufe ich mir ein Aquarium, mit Fischen, Zierfischen, Exoten drin, englisch. Als Wertanlage, ein Stück weit, ehrlich.«

      Nun war es also raus. Das ganze nachmittägliche Besäufnis fand statt wegen einer Menagerie unterschiedlichster Tierarten, im konkreten Fall wegen eines vierbeinigen Sexmonsters und jetzt auch noch eines Aquariums, mit Fischen, englisch, ehrlich. Oh Schwager mein. Wo soll das alles enden? Im Wasser, ein Stück weit? Als Wertanlage?

      Ein Aquarium sei eine tolle Sache, machte ich Wenzel Mut, besonders mit Fischen drin, jedoch solle er die Folgen einer diesbezüglichen Kaufentscheidung wohl bedenken, besonders auch im Hinblick auf den erst kürzlich erworbenen Hund Manfred Cholera. (Wo war der überhaupt? Warum rammelte der nicht hier im Omero die Prothese eines der siechen Gebissträger und anschließend noch des Schankknechts Spülbürste?) So ein Fischbehälter verlange jede Menge Pflege, wegen unerwünschter Algenbildung, Fischkot und manch anderer widriger Dinge. Das gälte es abzuwägen. Schon beim Reden fühlte ich die Halbherzigkeit meines Einwurfs. Sachlichkeit war gefragt.

      Wie denn das zu verstehen sei, englisch und die Bemerkung mit der Wertanlage, wollte ich wissen.

      Der Schwagerrüssel atmete tief durch, rollte verträumt mit den Augen und belehrte mich dahin gehend, dass englisch der fachidiomatische Hinweis auf die Anlage der Unterwasserlandschaft sei, Wenzel sagte allen Ernstes seagarden, und das Ensemble, also seagarden und Zierfische, exotische zumal, als Ganzes gesehen in Fachkreisen durchaus als Wertanlage gelte.

      »Das hat Bestand«, raunzte Wenzel nicht emotionslos dahin, »der Dings da, der Dings, der, na sag schon, der Schmalenberg, der Günther Schmalenberg, du kennst ihn auch, der Günther, der hat schon seit Jahren ein Aquarium, echt, und verdient sich dumm und dämlich daran, ehrlich. Der züchtet Zierfische mit seiner Schwester, der Gabi, kennst du auch, sicher, die sitzt beim Reichelt an der Kasse, ein Stück weit. Dumm und dämlich, sag ich dir«, schob er zur Sicherheit nach.

      Dann kam ein kurzer aber eindrucksvoller Rülpser. Das Bier tat seine Wirkung. Allmählich quakte Wenzel sich in Form.

      »Weißt du, Morbi, ich mach´s ja nicht wegen dem Geld.«

      »Genitiv«, warf ich ein.

      »Was? Wie bitte?«, Wenzel schien irritiert.

      »Genitiv«, wiederholte ich, »nach wegen wird der Genitiv benutzt, zweiter Fall, Wesfall. Es muss heißen: wegen des Geldes. Hört sich besser an, Wenzel.«

      »Ach so, klar, weiß ich doch, klaro. Also ich mach´s ja nicht wegen dem…« er suchte, »wegen der Kohle, der Wertanlage da, sondern, ein Stück weit«, Wenzel holte tief Luft, »sondern wegen der Freude, der Natur. Also wegen der Freude an der Natur, Pflanzen, Fische, Exotik, das tut gut, ehrlich.« Jetzt kam er ins Schwärmen.

      Warum gerade Aquarium, ließ ich nicht locker, es gäbe so viel andere Dinge, aber ausgerechnet Fische, Zierfische, betonte ich, die Verantwortung.

      »Na eben«, wienerte es zurück, »da siehst du´s.«

      Wie es schien, lief ein Großteil des Weltgeschehens ohne mich ab. Erst die Entdeckung, nein, nicht Amerikas, ein bisschen mehr Ernst, Herrschaften, wenn ich bitten darf. Erst die Entdeckung, wie tief Wenzel in die mafiöse Szene des Omero verstrickt war und kurz darauf die Erkenntnis, wie engagiert der Substitut aller Schwäger in die professionellen Sphären der Aquaristik (seagarden!) und deren algigen Bodensatz sich eingeschlammt hatte. Von Manfred Cholera und dessen sexistischen Ausschweifungen ganz zu schweigen. Und nichts davon hatte ich auch nur ansatzweise geahnt.

      Zwischenzeitlich öffnete sich die Tür des Omero und herein kam ein sehr dunkelhäutiger Mann unbestimmten Alters, der allseits als Leroy begrüßt wurde.

      Das aber hatte Wenzel in seinem Unterwasserrausch noch nicht mitbekommen.

      »Alles andere ist am Arsch«, krähte Wiener vor sich hin, »Autos, Motorräder, Möbel, eben alles. Am Arsch, sag ich dir. Natur zählt und sonst nix, ehrlich, am Arsch.«

      Jetzt war er in der Fäkalphase angelangt. Im Hintergrund hatte der Leroy benannte mittlerweile einen Tisch in Beschlag genommen, den Ellbogen seines linken Arms auf die Platte gestemmt, den Kopf, den schweren schwarzen, zu stützen. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand popelte er in der Nase. Unaufgefordert stellte Fred ein Bier vor ihn hin. Die Greise grinsten. Aber das tun sie immer kurz vor dem Abschied.

      »Du kennst mich, Morbi, du kennst mich wie kein Zweiter, stimmt´s? Hab ich recht, sag ehrlich Schwager, hab ich nicht recht? Was soll der Scheiß, der Scheiß mit dem Terror da, dem Terror, dem…, dem…«, Wenzel suchte Augen rollend nach dem richtigen Wort.

      »Afghanistan?«, warf ich ein, »Dschalalabad?«

      »Dschalalala… was? Quatsch, Afghanistan, dem Terror da, nein, hier, dem Terror hier bei uns, dem Terror«, er schnaufte und nahm sich ein kleines Päuschen. Dann hatte er wieder das bekannte Blinken in den Äuglein, den verschmitzten, »Konsumterror, der da«, jetzt hatte er´s, »den mein ich, Konsumterror, versteh mich. Da setz ich die Natur dagegen, mach ich nicht mit beim Terror, ich liebe Fische, ein Stück weit, weil die so natürlich sind, natürlich und und…«

      »Nass«, versuchte ich zu helfen, Wenzel aber hob den Zeigefinger und gegen den Konsumterror, die Exoten. Bingo.

      Er wackelte mit dem Schädel und hatte dabei augenscheinlich den dunkelhäutigen Mann bemerkt.

      »Ach der Leroy«, schrie Wenzel los, »schau an, der Leroy, bist du auch mal wieder da, hier, du Neger du, was macht die Alte, Leroy, sag, was macht die Alte, noch gut bei Schuss, was, das freut mich ja, der Leroy, geht´s gut, ja, sag, geht´s gut?«

      Dem Rattenschwanzschwager ging die Puste aus. Sein Köpfchen drehte zu mir.

      »Der Leroy ist ein feiner Mensch«, grummelte er mir, für seine Verhältnisse gedämpft zu, ein ganz feiner Mensch, »so vornehm in seiner