Gerhard Schumacher

Die Glückseligen


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nein, jetzt: Aristokrat«, verbesserte er sich im dritten Anlauf, »edel, ehrlich. Gibt´s nicht oft. Und so stolz. Tuareg. Ein ganz feiner Neger.«

      Es schauderte mir den Rücken runter. Edel sei der Leroy und vornehm und stolz. Halleluja.

      Indes schien Wenzel den Leroy sofort wieder vergessen zu haben, denn er drehte sich erneut zu mir und nachdem er ein wenig am Bier genuckelt hatte, schaute er mich mit treuem Blick an.

      »Darf ich dich was fragen, Morbi? Bitte, ich muss dich was fragen, gib mir eine ehrliche Antwort Schwager, gib mir eine faire Chance, ein Stück weit, mein Freund.«

      »Klar Wenzel«, erwiderte ich ohne Begeisterung, denn ich kannte die wienersche Fragenpalette in seinem jetzigen Stadium der fortgeschrittenen Alkoholisierung. Meist drückte er eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel und wollte dann von mir wissen, ob er ein Weichei sei oder ähnlichen Unsinn mehr. Der Ritter von der traurigen Gestalt.

      »Du hast ein Recht auf eine ehrliche Antwort, Wenzel. Und von mir bekommst du sie. Garantiert.« Natürlich war ich ein vermaledeiter Lügner. Ich spürte, noch während ich diesen dämlichen Satz vor mich hinsagte, es grausam in Magen und Gedärm zwicken und ziehen. Warum war ich nur so meineidig? Vor dem, der so viel Vertrauen in mich setzte, Sancho Pansa und Dulcinea in einer Person. Sonst hatte ich derartige Bedenken, zumindest Wenzel gegenüber, nicht. Mehrere Liter Bier hatten mich empfindsam und dünnhäutig gemacht. Ich schämte mich ob meiner moralischen Verkommenheit nicht wenig, aber auch nicht so stark, dass ich eine Umkehr, Beichte gar, ernsthaft in Erwägung gezogen hätte. Wenzel hätte es eh nicht verstanden. So ist das Leben, mein liebes Schwagerschweinchen. Grausam und doch irgendwie gerecht. Wie du mir, so ich euch. Ehrlich.

      »Morbi«, er rang offensichtlich mit den richtigen Worten, »Morbi, was hältst du von der Idee mit der Natur da, dem Aquarium, mit den Fischen, den Dings, den Exoten, ehrlich. Was hältst du davon? Pass auf, ich sag dir was.«

      Wenzel hielt kurz inne und nahm einen tiefen Schluck aus dem Bierglas. Eigentlich hatte ich verstanden, ihm die Frage zu beantworten, jetzt wollte er mir was sagen. Auch gut, mir war alles recht, ich schwelgte noch selbstmitleidig in meiner moralischen Vierteldepression. Der Schnäuzelschwager wuchtete seinen Körper in eine Drehung, um dem Schankkellner Fred lauthals eine neue Order von zwei Halben zuzubrüllen. Dabei fiel ihm der popelnde Leroy wieder ins Blickfeld.

      »Ach der Leroy«, krakeelte Wenzel sofort los, »schau an, der Leroy«, stutzte dann aber und machte ein ausgesprochen blödes Gesicht.

      »Der Leroy«, murmelte er selbstvergessen jetzt vor sich hin. Anscheinend hatte er seine Begrüßungstirade wenige Minuten zuvor nicht mehr parat und versuchte sich nun zu erinnern, wann er den dunkelhäutigen Herrn zuletzt gesehen hatte. Und ob das eventuell heute gewesen sein könnte. Leroy selbst schien das Dilemma seines Duzfreunds kalt zu lassen, er popelte ungerührt weiter. Mit Schwung dreht Wenzel sich zurück. Er hatte sich entschieden, den schwarzen Gast erst vor Kurzem begrüßt zu haben, war aber noch nicht so stark betrunken, meinen skeptischen Blick zu übersehen. Indem er mit dem Daumen der rechten Hand über seine linke Schulter Richtung Leroy deutete, versuchte er seufzend seinen faux-pas galant zu überspielen.

      »Ja ja, der Leroy, ein feiner Kerl. Ehrlich. Wo war ich stehen geblieben? Jawohl, ich sag dir was Schwagerherz, bitte hör zu, hör nur einmal zu. Du hilfst mir bei der ganzen Sache, ja, du hilfst mir, komm, sag schon ja, kostet dich doch nichts, was? Nur ein bisschen Überwindung.«

      »Helfen, Wenzel, helfen wobei?« Jetzt hatte er mich überrascht. Statt, wie üblich, weinerlich über seine eigene Situation zu heulen, versuchte er mit geänderter Taktik, mich in irgendetwas hineinzuziehen. Äußerste Achtsamkeit war angesagt, was sich angesichts meines Bierkonsums als durchaus nicht einfach ausnahm.

      »Schau Morbi, du sprichst mit der Katharina, dass sie´s erlaubt, das Aquarium, die Fische, dass sie zustimmt, du verstehst. Auf dich hört sie, sicher, ich spür´s, Morbi, sie legt großen Wert auf deine Meinung. Und wenn du ihr erklärst, wie wichtig alles ist, Natur und so, wegen dem Konsumterror, Pardon Schwager, Wesfall, ich weiß, wird sie´s schon packen. Machst du das für die Natur, für mich, ein Stück weit, was?«

      Der Vertretungsschwager schaute mich mit Treue vortäuschendem Augenflor an, ich musste unwillkürlich an bettelnde Dackel denken. An seiner statt sollte also ich die Auseinandersetzung mit Katharina führen, die er, Wenzel seinerseits schon vor Beginn für verloren wähnte. Im Gegensatz zu ihm war nämlich die Gattinschwester eine weitestgehend vernunftbestimmte, praktisch veranlagte Persönlichkeit, die schützend ihre Hand über den Schwagersubstitut hielt und dadurch manch größere Hanswurstiade verhinderte. Ihr dafür erforderliches Durchsetzungsvermögen indes minderte das sowieso kaum vorhandene Wenzels, denn einer musste schließlich nachgeben, sollte es zu einem Ergebnis kommen. Kompromiss war da eher nicht ihre Sache, wenn schon, denn schon. Dies allerdings durchaus im Sinne Wenzels, auch wenn er es nicht immer einsehen konnte oder wollte, etwa wie ein Kind nicht einzusehen vermag, warum es nicht auf die heiße Herdplatte fassen soll. Solcherart an vermeintliche Niederlagen gewöhnt, schätzte er die Situation bezüglich seines aquaristischen Vorhabens schon richtig, goldrichtig geradezu, ein. Allein er überschätzte meinen Einfluss auf Katharina, der in realiter nicht bestand. Zwar hörte sie sich geduldig, wohl aus Rücksicht auf ihre Schwester, die viel geliebte Geliebte, meine Argumente an, handelte dann jedoch so, wie sie es für richtig hielt, was zumeist auf das Gegenteil zu meiner Meinung hinauslief. Wohl nicht zu Unrecht vermutete ich hinter ihrem Verhalten ähnliche Gründe, wie sie auch Wenzel gegenüber zum Tragen kamen. Es war deshalb der wienersche ein verzweifelter, aus meiner Sicht hoffnungsloser Versuch, seinen kleinnautischen Ambitionen zu einer positiven Wendung zu verhelfen.

      »Klar Wenzel, mach ich, ich spreche mit Katharina, wenn´s dir denn hilft, ich versuch´s zumindest, versprochen.«

      Halbherzig wollte ich mich aus der Affäre zu ziehen, zu feige, ihm die Wahrheit zu sagen, insgeheim hoffend, dass Wenzel den gesamten Aquaristikquatsch schnell wieder vergaß und der fischige Exotenkelch an mir vorüberging.

      Er schien erleichtert.

      »Ich danke dir Morbi, ehrlich. Du hast dann was gut bei mir, wir machen eine Fete am Aquarium, mit allem Drum und Dran, wenn´s klappt. Eine Unterwasserfete, ha ha, jeder, der kommt, kommt mit was«, (oh Gott was quatscht er da vor sich hin),

      »Schwimmflossen, Taucherbrille, Rettungsboje. Den Leroy laden wir auch ein, was Leroy, alter Freibeuter, Pirat sozusagen«, er beugte sich nach hinten und schrie dem Schwarzen ins dunkle Gesicht, »du kommst, mit Angelrute und Entermesser, ha ha, der Leroy mit einer Angelrute, Würmer am Haken…, Entermesser mit Blut an der Scheide, Schneide…, hahaha…« und schien sich allerköstlichst zu amüsieren.

      Wenzel taumelte sich wieder in seinen normalen Wahn hinein und quakelte vergnügt vor sich hin. Für ihn schien das Problem gelöst.

      Wo denn eigentlich sein Hund sei, wollte ich wissen.

      »Was für ein Hund?«, fragte Wenzel mit blinzelnden Äuglein zurück.

      »Na dein Hund, Manfred Cholera, der alles rammelt, was sich ihm in den Weg stellt, das kleine Sexschweinchen mit dem perversen Triebleben. Kannst du dich etwa nicht mehr an ihn erinnern?«

      »Ach den meinst du, Manfred Cholera, der ist zu Hause. Ich wollte ihn nicht mitnehmen, Morbi, bei so einer wichtigen Besprechung stört er nur, weil er keine Ruhe gibt, der kleine Racker, du verstehst. Wahrscheinlich vögelt er gerade eins der Tischbeine. Er hat halt keine Kinderstube, eine schwere Jugend, Vollwaise, kann er nichts für. Sei so gut und verzeih ihm. Du wirst ihn mögen, da bin ich sicher, ein Stück weit. Er mag dich auch, der Manfred.«

      Einmal abgesehen davon, dass es mir zur zweifelhaften Ehre gereicht, von einem Straßenköter ohne jegliche Kinderstube gemocht zu werden, war mir nicht ganz klar, wie der Vollwaise mit dem bescheuerten Namen dies zustande brachte, ohne mich überhaupt zu kennen. Nur durch Wenzels Erzählungen hat er mich lieb gewonnen. Erstaunlich. Der kleine Racker.

      Allmählich war das Hungergefühl, das ich seit einiger Zeit verspürte, verschwunden, von den Biermassen fortgespült. Ich empfahl Wenzel einen Abbruch der Veranstaltung und täuschte unaufschiebbare