Gerhard Schumacher

Die Glückseligen


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Aberwitz neigenden Nachfolgers aber verlangten, schrien geradezu nach einem auditiven Kontakt mit dem Vorgänger, ich musste ihn einfach hören, den schelmischen Finanzexperten. Nicht wegen des Ausgleichs sondern der Vollständigkeit halber. Wie sonst konnte ich dem Schwagerkomplex Gerechtigkeit in seiner Beurteilung ohne Ansehen der handelnden Personen willfahren lassen? Allein, das Gerät blieb stumm.

      Um der Wahrheit die Ehre zu geben: es war nicht allein die Suche nach Objektivität im Schwagervergleich, die mich so beharrlich zum Anruf beim Vorgänger Wenzels drängte. Vielmehr gedachte ich ihm in einer Angelegenheit unauffällig den Zahn zu betasten, von der ich kürzlich eher zufällig Kenntnis erlangte und die mich seitdem, zugegeben, nicht wenig beschäftigte.

      Herr Egbert Reißmüller nämlich, trotz seiner relativ jungen Jahre schon als Privatier mit einem unerschöpflichen Vorrat an Zeit und Muße in unserem Viertel agierend, hatte mir unter Einfluss mehrerer doppelt eingeschenkter Weinbrände nebst den dazu gehörenden Bieren am Tresen der von uns gern besuchten Gastwirtschaft Marieneck streng vertraulich Mitteilung davon gemacht, dass Paul Landmann vor nicht langer Zeit ein mehr als eindeutiges Verhältnis mit einer Person weiblichen Geschlechts namens Kathrin gehabt habe, die, so Reißmüller, von jedermann allerdings nur Muschi genannt werde und rappeldürr sein soll. Das allein wäre noch nicht der Beachtung wert, wohl aber der Umstand, dass besagte Muschi respektive Kathrin vor der Beziehung mit dem Altschwager ein ebenso unzweideutiges Verhältnis mit dessen Nachfolger Wenzel Wiener gehabt habe, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Landmann noch in trauter Zweisamkeit mit meiner Gattinschwester sich befand, die ja, wie schon erwähnt, nachdem sie ihm dann den Laufpass gegeben, bzw. aus der bis dato gemeinsam bewohnten Behausung geschmissen hatte, nunmehr mit Wiener fest liiert war.

      Hier hatte somit ein Austausch aller Beteiligten untereinander derart stattgefunden, dass der Vorgänger des Nachfolgers bei meiner Schwägerin gleichzeitig zum Nachfolger des Vorgängers bei der schon erwähnten Kathrin oder auch Muschi geworden war, was zunächst für Außenstehende einigermaßen verwirrend klingen mochte, indes aber eine äußerst interessante Konstellation auftat.

      Wie Herr Reißmüller mir weiters unter strengstem Verweis auf den Mantel der Verschwiegenheit anvertraute, ist in der reichhaltigen Beziehungswelt der Hauptakteurin Muschi bzw. Kathrin nun ein erneuter Wechsel eingetreten, indem sie dem immer heftiger werdenden Drängen des kiezbekannten Gossendichters Roland Meier erlag, und sich diesem zu- und somit von Landmann abwandte. Meier nun, der kurz vor Vollendung seines achtundsechzigsten Lebensjahres stand, soff sich die knochige Kathrin, respektive Muschi, offensichtlich zu einer Art kurvenreicher Vampirette zusammen und mobilisierte die letzten ihm noch verbliebenen Reserven derart aufdringlich, dass es der interessierten Öffentlichkeit nicht lange verborgen bleiben konnte, die den Galan fortan zunächst als Dr. Unrat bespöttelte. Im weiteren Verlauf der Affaire Meier/Muschi/Kathrin aber setzten sich im Volksmund die Bezeichnungen rolliger Roland oder schlicht geiler Meier eindeutig durch, welche weniger Allgemeinbildung voraussetzten und somit fast von jedermann sofort verstanden wurden. Außerdem trafen sie ohne intellektuelle Umschweife den Kern der Sache.

      Es war nach gesicherter Erkenntnis des Herrn Egbert Reißmüller, der in unserem Viertel als seriöser und zuverlässiger Nachrichtensammler und -übermittler galt, nun schon seit Längerem bekannt, dass der Rinnsteinpoet Meier nach seiner Pensionierung sich unvermittelt von irgendeiner Muse geküsst wähnte und anfing, Unmengen Papier mit allerlei Selbst gemachtem vollzuschreiben, die Konvolute mit nicht unbeträchtlichem pekuniären Einsatz in Druck gab und Bücher daraus machen ließ, die allerdings aufgrund ihres wirren, wenig verständlichen Inhalts zunächst einmal Käufer nur in mäßiger Zahl fanden. Allerdings fühlte sich seine Familie in personae Frau und Sohn nebst einigen Tanten, Onkeln und sonstigen Anverwandten von den Meierschen Veröffentlichungen unangenehm berührt. Sie meinten, nicht einmal zu Unrecht, sich des Gespötts aller Welt preiszugeben und kauften deshalb schamhaft die Gesamtauflagen jeweils kurz nach ihrem Erscheinen, so sie ihrer habhaft werden konnten, fast komplett auf. Dabei half ihnen der Umstand, dass bei den von Meier mit großem Aufwand und allerlei Brimborium angekündigten Lesungen seiner Werke die zwei bis drei Leute, die erschienen waren, schon nach wenigen Sätzen auf Nimmerwiedersehen das Weite suchten.

      Im Laufe der schriftstellerischen Karriere Meiers aber investierte die Familie nicht unbedeutende Finanzmittel, da der Schreiberling, ob des vermeintlichen Erfolgs seiner Werke, nicht nur zu immer neuen geistigen Exkursen, sondern auch immer höheren Auflagen sich angestiftet sah. Das hatte zur Folge, dass Roland Meier zusehend wohlhabender wurde, während die Familie in gleichem Maße verarmte.

      Der zunehmende Wohlstand hingegen versetzte Meier in die Lage, der begehrten Muschi, in nomine Kathrin, finanzielle Mittel zum Erwerb des von ihr, so wiederum Reißmüller, arg verlangten Süßweins zur Verfügung zu stellen, die vordem weder ihr Geschenkartikelladen abwarfen, noch der geizige Landmann, sowieso eher ein Biertrinker, zu gewähren bereit war.

      Wie gesagt, Herr Egbert Reißmüller galt in unserem Viertel und dort speziell in der stark frequentierten Gastwirtschaft Marieneck unbestritten als Autorität in allen Fragen des öffentlichen Interesses, wodurch seine streng vertraulichen Mitteilungen sich über jeden denkbaren Zweifel erhoben. Auch wusste er jederzeit durch Detailwissen zu glänzen – »du glaubst ja nicht, was da abgeht, Morbi, wenn der geile Meier mit der Alditüte voll Suff in Muschis Laden einläuft und dann die Jalousien runtergehen, da wackelt die Dachpfanne, sag ich dir«– und Weiteres mehr.

      Mein Interesse hing weniger an der Troika Muschi/Meier/Kathrin und ihren orgiastischen Sauf- und Sexgelagen (Reißmüller) im Geschenkartikelladen mit oder ohne sichthemmende Jalousien, das war mir recht eigentlich gleichgültig. Obwohl ein paar kompromittierende Fotos von Meier dem Arschgesicht (Reißmüller) sich nicht schlecht in meiner Sammlung getan hätten, nur zum privaten Plaisier, versteht sich. Vielmehr war ich seit Egbert Reißmüllers Erzählungen doch ein wenig beleidigt, dass der Urschwager mich nicht von seiner zeitweiligen Liaison mit besagter knochig rappeldürren Kathrin, bzw. Muschi informiert hatte, und sei es nur um der Freundschaft willen. Außerdem war es mir, schon aus reiner Sorgfaltspflicht ehemaligen Familienmitgliedern gegenüber, angetan, mich um den seelischen Verbleib des nunmehr doppelt Verlassenen zu kümmern, seine psychische Verfassung sozusagen. Er sollte ja nicht vor die Hunde gehen wegen des losen Lebenswandels und der fragwürdigen Wechseltaktik dieser skelettierten Lebedame.

      Hinzu kam, und es störte mich der Umstand wirklich, dass der geile Meierdödel seine Erfahrungen aus vielzähligen Lebensjahren nicht an irgendwelche unverdauliche Dichtungen verschwenden, sondern für das Schöne, Wahre, Gute (hab´ ich alles schon mal gehört oder gelesen: weiß ich auch!) einsetzen sollte. Zum Beispiel dadurch, dass er zum einen aufhörte, Blödsinn in Massen (ein Wunsch der Massen und seiner Familie selbstverständlich, die kurz vor der Verarmung steht) zu Papier zu bringen, zum anderen sollte er kraft seines Einflusses auf Muschi oder Kathrin in der Form einwirken, dass sie endlich das exorbitante Saufen aufgibt, weil sonst sowieso alles den Bach runtergeht und so weiter. Stattdessen säuft er noch mit ihr, der Kumpan des Bösen, der Wichser Roland, der rollige Bratarsch (wiederum Reißmüller).

      Und zahlt noch dafür, dass er sich nächtens die blauen Flecken und eitrigen Pusteln mit Cremes und lindernden Pasten betupfen muss, die er sich von dem sinnlosen sexuellen Herumgerutsche auf Kathrins, respektive Muschis spitzen Knochenteilen zugezogen hat.

      Vom eigenen sozialen Gedankengut einigermaßen überrascht, wollte ich schon zum Hörer greifen, als das Telefon aus fremdem Antrieb klingelte. Sollte es Landmann sein, der qua Gedankenübertragung meine verbale Nähe suchte? Wenn er am fernmündlich anderen Ende dieser komplizierten Technik war, schwor ich mir spontan, ad hoc und unwiderrufbar, am nächstmöglichen Sonntag in irgendeine Kirche zu gehen und einen nennenswerten Betrag im Opferstock zu deponieren, auf dass viel Gutes damit angestellt werde. Klug ist es, vorzubauen, fürs spätere Ableben und die Zeit danach, man kann ja nie wissen und besser isses sowieso.

      Der Kelch aber ging an mir vorüber, bzw. kam erst gar nicht in meine Nähe, denn es war nicht Landmann, der mich zu sprechen wünschte, sondern ein Vertreter des hiesigen Ballonfahrergewerbes, der mir eine Ballonfahrt durch die laue Sommerluft wärmstens anempfahl, die ich aber mit Hinweis auf meine Höhenangst ablehnen musste. Höhenangst könne man erfolgreich bekämpfen, teilte mir der Mann vom Ballonfahrergewerbe mit, ich solle da