Gerhard Schumacher

Die Glückseligen


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schien, da er sein Herz erleichtert hatte, durchaus Willens, meinem Vorschlag zu folgen, bestand aber nachdrücklich auf einer Abschiedsrunde,

      »Scheide-, nein, Scheidenbecher, haha«, wie er sich schwer ins Ordinäre verflog. Nach dem Ersten gab es dann noch einen Zweiten, »auf einem Bier kann ich nicht stehen, Morbi, denk an mein Knie, du weißt«, und dann ging´s ans Bezahlen. Wenzel pfiff den Schankknecht heran und ließ ihn seelenruhig die Zeche ausrechnen, ohne jedoch Anstalten zu machen, die Geldbörse zu ziehen. Da ich mich trotz der Biermengen sehr wohl erinnerte, eingeladen worden zu sein, dachte ich meinerseits nicht daran, den pekuniären Teil des Nachmittags zu gestalten, verhielt mich abwartend und blinzelte ohne Scham dem dunkelhäutigen Leroy zu, der jetzt aufgehört hatte zu popeln und sich voller Inbrunst seinem Bier widmete. Dadurch entstand eine Situation, die einer gewissen Komik nicht entbehrte. Wenzel starrte unschuldig auf die Tischdecke vor sich und pfiff leise einen Gassenhauer aus anmutig gespitzten Lippen, ich zwinkerte über seine Schulter dem trinkenden Leroy zu und der Knecht Fred stand zwischen uns und wippte schweigend auf seinen Schuhsohlen vor und zurück. Wahrscheinlich kannte er Wenzels Spielchen schon und setzte auf Zeit. Erfahrungsgemäß.

      »Na dann wollen wir mal, immer, wenn´s am Schönsten ist, soll man aufhören«, ließ Wenzel sich plattitüd vernehmen und war im Begriff, aufzustehen.

      »Zahlen Wenzel, du musst noch zahlen«, ergänzte ich.

      »Zahlen, klar doch, zahlen muss sein«, entgegnete er, »was wir getrunken haben, du und ich, müssen wir zahlen, sonst wär´s ja keine Marktwirtschaft, also der Fred will, nein, der muss auch leben, ehrlich. Was Fred? Könntest du vielleicht, Morbi, ein Stück weit, in Vorlage, Auslage mein ich, treten, bis zum nächsten Mal?«

      »Vergiss es Wenzel«, stoppte ich seinen zechprellerischen Versuch sofort, »deine Idee, dein neuer Hund, dein Aquarium, deine Einladung, deine Zeche, dein Geld, denk an Afghanistan, ehrlich.«

      Warum ich nun Afghanistan ins Spiel brachte, war mir selbst nicht klar. Taliban Wenzel startete einen erneuten Versuch:

      »Schau mal, Schwagerherz, der Hund, der Cholera, der Manfred, der Manfred Cholera, hat ein Schweinegeld gekostet, mit all den Impfungen und Spritzen und Halsband und Wurmpillen. Das Aquarium sowieso. Geh, sei so nett und…«

      Ich blieb hart, schüttelte energisch den Kopf und nach einigem Gliederwackeln, Schmatzen, Klappern und Stöhnen sah er die Vergeblichkeit seines Bemühens ein, zückte die Geldbörse und zählte dem Schankkellner mit saurer Miene die geforderte Summe in Scheinen auf den Tisch, die dieser ungehobelte Alkoholsklave ohne jede Gefühlsregung oder auch nur einen Anflug von Dankbarkeit einstrich, um sich darob in das Zwielicht hinter der Theke zu verziehen, wo die Welt für ihn einigermaßen sicher war. Aber mein Widerstand hat bewiesen: Vorwärts und nicht vergessen, es geht doch, wenn man bereit ist, zu kämpfen.

      Wir verließen das Etablissement des kulinarischen Grauens gehörig schwankend und konnten von Glück sagen, nicht an einem der Greisentische hängen geblieben zu sein. Mümmelnd sahen die zitternd zutzelnden Zausel uns hinterdrein. Grimmig und zu allem entschlossen. Mir fiel unwillkürlich die Liedzeile ein: only the best die young. Stimmt wohl. But where have all the good guys gone?

      Hinter dem Windfang und der Tür blendete grelles Sonnenlicht, obwohl der Tag schon weit fortgeschritten war, die empfindlichen Augen. Ein beiderseitiges Schulterklopfen deutete Trennung an, ein Handschlag vollzog sie. Wenzel trollte sich nach rechts zur Bushaltestelle (entweder hatte er vergessen, dass er mit dem Auto da war, oder aber, wo er es abgestellt hatte, ein glücklicher Umstand für alle Verkehrsteilnehmer), ich linksseitig in die andere Richtung, meiner Behausung zustrebend.

      Nach mühsamen etwa hundert Metern Fußmarsch hörte ich aus der Entfernung hinter mir Wenzel trompeten: »Denk dran, Morbi, ein Stück weit, ehrlich.«

      Es fuhr mir angenehm kribbelnd den Rücken hinunter. Womit hatte ich die Bekanntschaft dieses so trefflich indisponierten Zeitgenossen verdient, wem sie zu verdanken? Kleine Schweißperlen bildeten sich mir auf Stirn und Oberlippe, aber das konnte auch am Kreislauf liegen.

      Es ist durchaus nicht meine Gewohnheit, schon nachmittags dem Alkohol in einem Ausmaß zu frönen, das einem das Geradeausgehen noch komplizierter macht, als es im nüchternen Zustand ohnehin schon ist. Von Ausnahmen, die ja bekanntlich die Regel bestätigen, einmal abgesehen. Hinzu kam die Schwierigkeit, auf dem Heimweg all jenen Exkrementen auszuweichen, die, in größeren Kolonien auf dem Gehweg verteilt, von Manfred Cholera und seinen Artgenossen täglich tonnenweise in unserer dörflichen Idylle ausgeschieden werden. Nun gibt es kaum ein Zweifel darüber, dass selbst Kreaturen, die zu blöde sind, ein normales Wasserklosett zu benutzen, der Auswurf unverwertbarer Nahrungsbestandteile nicht abgesprochen werden kann. Allein, die Schuld trifft wieder einmal die egozentrischen Besitzer der kackenden Vierbeiner, die sich größtenteils, da wette ich, aber hallo, die Benutzung des heimischen Klos durch ihren Liebling schwer verbitten würden. Weiter darüber nachzudenken ist wenig lohnenswert. Es ist dies eines jener Probleme, die nicht zu lösen sind.

      duo: telephonium et animus Zwei: Telefon und Psyche

      Auf dem Heimweg musste ich, als Ergänzung zum soeben Erlebten sozusagen, immerfort an Wenzels Vorgänger, den Urschwager denken. Nach dem alles in allem doch recht gelungenen Nachmittagsfrühstück mit Herrn Wiener reizte mich ein, wenn auch theoretischer, Vergleich zwischen den beiden Dauerbrennern unfreiwilliger Witzigkeit, die sich in ihrer spontanen Humortristesse gegenseitig übertrafen und weit von den weniger exaltierten Zeitgenossen abhoben. Der Sache auf den Grund zu gehen, gedachte ich, sofort nach meiner Heimkunft unter einem Vorwand mit dem Schwager der Vergangenheit zu telefonieren. Zwar wusste ich nicht genau, was ich eigentlich von ihm wollte, aber vielleicht konnte ich ihm insgeheim die eine oder andere Information entlocken, die ein weiteres Mosaiksteinchen zur Klärung des Gesamtkomplexes beitrug.

      Paul Landmann ist aus Worms gebürtig. Es ist dies, lieber Leser, (alle Wormser jetzt mal einige Zeilen überspringen, anderes bringt euch nicht weiter, Jungs und Mädels), eine rheinhessische Schnarchstadt, die außer einem elenden Fuselgesöff namens Liebfrauenmilch in den letzten hundert Jahren keinen mir bekannten Beitrag zum Fortschritt der Menschheit geleistet hat, noch vermutlich in Zukunft leisten wird. Früher, ja früher, war alles anders, Kaiser hat sie beherbergt, die Stadt Worms, Konkordate herausgegeben, Reichstage abgehalten. Aber danach? Nichts mehr weit und breit, nur noch Elend zuhauf in der Stadt Worms sowie in Wald und Flur, von denen sie umgeben ist, soweit keine Autobahn die um sich greifende Zerrüttung eingrenzend beschneidet oder einschneidend begrenzt. Wobei durch den Bau der Autobahn 61 im Westen, selbiger mit der Numero 6 im Süden und einem leidlich befestigten Teilstück einer mit der schönen Ziffer 44 betitelten Bundesstraße im Osten die Landesregierung schon einigen guten Willen gezeigt hat, ohne Frage. Allein der Norden wirkt, da lediglich durch die Ansiedlungen Westhofen, Osthofen, Rheindürkheim und Biblis nur leicht gesichert, noch einigermaßen durchlässig, aber man arbeitet daran.

      Worms ist Scheiße, hat Wenzel sich einmal unmissverständlich verlauten lassen. Obwohl er noch nie in der von ihm unbewusst mit Recht so kloakig eingestuften Stadt war, hatte er instinktiv den richtigen Riecher. Oder aber einen Anflug von künstlicher Intelligenz.

      Nun kann man ja nichts für seine Herkunft, soviel ist klar. Aber es bleibt immer was hängen, soviel ist auch klar. Damit ist man dann gezeichnet, in der Regel das ganze Leben lang. Und Worms ist schon ein extrem kräftiger Hieb, ohne Frage. Prägend und durchschlagend.

      In derlei Gedanken vertieft kam ich zu Hause an und öffnete, das Kontinuum der nun einmal begonnenen Tagesgestaltung nicht zu durchbrechen, eine Flasche Bier, besetzte in meinem Studierzimmer den bequemen Lehnsessel und starrte das Telefon an. Am liebsten wäre es mir natürlich gewesen, Altschwager Landmann würde kraft Gedankenübertragung oder sonst welchem telepathischen Hokuspokus selbst zum Hörer greifen und mich anrufen. Dann wäre ich ohne Zweifel in einem Vorteil. Technisch und psychologisch, denn das Gespräch ginge auf seine, des munteren Landmanns Kosten und zudem müsste er sich überlegen, welches Begehr er hatte, mich fernmündlich zu kontaktieren. Rief er, was allerdings zu erwarten war, nicht an, musste ich es tun und hätte damit den Schwarzen Peter, ha ha, denn ich wusste genau genommen