Reinhold Zobel

Spätvorstellung


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      “Aber vorerst bitte keinen Alkohol. Jedenfalls nicht für mich.”

      “Vollkommen deiner Meinung… Ich werde unsere reizende weibliche Bedienung rufen.”

      “Das ist sie, postbiblisch betrachtet - aufreizend reizend.”

      “Oder andersherum. Wir sollten es ihr bei nächster Gelegenheit zuraunen. Denn, wenn alte Männer jungen Frauen Komplimente machen…”

      “Ältere Männer.”

      “In Ordnung. Also, wenn ältere Männer jungen Frauen Komplimente machen, muss es ja nicht gleich etwas Anzügliches oder Forderndes haben. Und ich sage das als der triebhafte Pan, der ich nun einmal bin, pardon, ich meine natürlich, war.”

      “Muss es nicht, nein. Aber ist es nicht punktuell ein Widerspruch?”

      “Wie meinst du?”

      “Man kommt einander doch nicht näher, um sich voneinander zu entfernen.”

      “Du willst sagen, es bleibt in jedem Fall ein Annäherungsversuch?”

      “Nennen wir es einen Versuch, Nähe herzustellen.”

      “Hm, ja, man nähert sich als Fremdling, als Eindringling und möchte als Vertrauter, als Intimus verweilen.”

      “Im günstigsten Fall.”

      “Und im ungünstigsten Fall?”

      “Findest du Trost im Gebet. Das Falten der Hände bietet, so hört man, mannigfache Möglichkeiten der Tiefen-Entspannung.”

      “Das lässt mich spontan an unsere Schulhofpausen von früher denken, genauer gesagt, an so manche subtropische Ansage im Tertiärsektor.”

      “Ich ahne nur ungefähr, wovon du sprichst.”

      “Schau, da kommt sie!”

      “Heißa, ja, da kommt sie!”

      “Die Herren wünschen noch etwas?”

      “Ganz recht. Und wir haben einen gemeinsamen Beschluss gefasst, mein Freund und ich.”

      “Ja, bitte?”

      “Wir möchten Ihnen in aller Zurückhaltung sagen, dass Sie eine Augenweide sind.”

      “Danke schön. Und womit kann ich sonst noch dienen?”

      “Dienen… dieses Wort aus Ihrem Munde - so schillernd. Nun, wir akzeptieren natürlich unsere Grenzen und die des guten Geschmacks, wenn das auch nicht immer ganz leicht fällt. Ich hoffe, Sie finden uns nicht allzu aufdringlich?”

      “Ich finde Sie recht amüsant.”

      “Was macht übrigens ihr junger sympathischer Kollege?”

      “Nett, dass Sie nach ihm fragen. Er hat Feierabend.”

      “Es soll ja niemand behaupten können, wir hätten etwas gegen eine Männerquote…Dürfen wir Ihnen einen Likör oder einen Brandy spendieren?”

      “Ich trinke nur Tee… wenn ich im Dienst bin.”

      Während Lux sich, lediglich seinen Vorrat an Lächeleinheiten ausschöpfend, bedeckt hält, gibt sein Sitznachbar alles, um die Situation schmeichelhaft zu gestalten. Die Bedienung bleibt so gelassen wie die Fransen ihres blonden Haarschopfes. Die kleine Charme-Affäre hat nur einen Akt. Wie so viele Affären. Kaffee kommt für die beiden Freunde; für Lux, mit Rücksicht auf die eigene Libido, zusätzlich das hauseigene Dessert, warmer Grießpudding mit Johannisbeersoße. Und dabei ist ihm, für den Bruchteil einer kurzen Zeiteinheit, als wenn von drei vernommenen erotischen Obertönen sich zwei, und zwar in der Dauer, nicht jedoch in der Höhe, voneinander unterscheiden.

      Kapitel 3

      “Ich habe mich noch gar nicht danach erkundigt, mein Freund, was du beruflich so machst oder gemacht hast.”

      “Dies und das. Rien de spécial, würde mein zweiter Halbbruder sagen, der Halbfranzose ist.”

      “Was genau muss man sich darunter vorstellen?”

      “Die letzten Jahre habe ich als freier Journalist gearbeitet, sofern man da von frei reden kann.”

      “Dann haben wir ja beinahe verwandte Tätigkeitsbereiche.”

      “Beinahe, ja.”

      “Und wie geht es dir heute, pekuniär gesehen, beispielsweise?”

      “Ich würde sagen, verarmter Nichtadel.”

      “Oh, das tut mir leid. Vielleicht könnte ich dir ja ab und an ein paar Aufträge zuschanzen, mein Lieber, sofern dir meine Arbeit liegt.”

      “Das ist sehr nett, Tony. Ich werde bei Bedarf darauf zurückkommen.”

      Das Gespräch wird unvermittelt durch ein sanft surrendes Geräusch eingefroren. Es ist Tonys Smartphone. Er zieht es aus dem Jackett, einen entschuldigenden Blick in Richtung seines Gegenübers werfend. Lux bekommt mit, dass es sich um Tonys Tochter handelt, die, wie man einstmals gesagt hätte, am anderen Ende der Leitung ist. Man kommuniziert über Facetime. Im vierten oder fünften Satz des Dialogs zwischen Vater und Tochter findet auch Lux Erwähnung.

      “Ich sitze hier mit einem sehr guten alten Freund, mein Schatz. Soll ich euch kurz miteinander bekannt machen. Lux, bist du einverstanden, dass ich die Kamera auf dich halte?”

      “Nichts dagegen.”

      Lux winkt lächelnd in Richtung Smartphone, dass Tony jetzt am ausgestreckten Arm über dem Tisch platziert. Was ersterer auf dem Display erblickt, ist eine recht junge oder jedenfalls jung erscheinende Frau mit Pagenfrisur. Sie lächelt ebenfalls und Lux denkt: Solche Zähne hätte ich auch gerne. Man begrüßt einander, und wenn da ein Wind wäre, der unangemeldet durch den Raum wehte, so wäre es vermutlich ein Frühlingswind.

      “Maria ist zur Zeit auf Tour, weißt du.”

      “Auf Tour? Womit?”

      “Sie hat vor zwei Jahren gemeinsam mit zwei anderen Mädels, oder sagen wir besser, Frauen ein Kabarett gegründet. Die Truppe ist inzwischen recht erfolgreich.”

      “Ah ja. Wie nennen sie sich?”

      “Das Fotzentrio.”

      “Mutiger Name.”

      “Das Gute ist, Lux, ich war nie in Verlegenheit, auf irgendwelche Mannsbilder eifersüchtig sein zu müssen, die Maria mit ins Haus tte schleppen können.”

      “Wieso nicht?”

      “Meine Tochter liebt ihresgleichen.”

      “Verstehe.”

      “Gleichwohl vergöttere ich sie.”

      “Verstehe.”

      “Sie ist übrigens drei Jahre älter als meine aktuelle Gefährtin. Aber die beiden mögen sich.”

      “Du bist in einem… wie sagt man… Frauenhaushalt groß geworden, nicht wahr?”

      “Das stimmt nicht ganz. Ich hatte auch einen Bruder. Er ist mit neunzehn tödlich verunglückt.”

      “Oh.”

      “Er erscheint mir mitunter in meinen Träumen.”

      “Sind es freundliche Träume?”

      “Ja. Gil sah