Evelyne Quadrelli

Alma


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      Evelyne Quadrelli

      Alma

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       WIDMUNG

       FAMILIE

       RACHE IST SÜSS

       SCHULE

       LEICHT VERDIENTES GELD

       WAS SEIN MUSS, MUSS SEIN

       ALLTAG

       DIE FERIEN STEHEN VOR DER TÜR

       REISE NACH VRIN

       DER ERSTE TAG

       DER ZWEITE TAG IN DER FREMDE

       SONNTAG

       MARLIES UND DER DORFLADEN

       EINE HARTE WOCHE

       SONNTAG UND DIE HOSANGS KOMMEN

       VORBEI, DIE ZEITEN DER SCHELTE

       GEFAHR IM WALD

       NUR NOCH DREI TAGE

       REISE NACH HAUSE

       BESUCH VON FRAU CADUFF

       ZWEI, DIE SICH GEFUNDEN HABEN

       WINTER IN DEN BERGEN

       DIE HOCHZEIT

       DIE AUTORIN

       Impressum

       WIDMUNG

      Für Jelja, Colin und meine Mutter

       FAMILIE

      Es war Abend und die ganze Familie saß am Esstisch. Der Tisch war lang mit einer massiven Eichenplatte und massigen Tischbeinen. Schließlich mussten acht Leute an ihm Platz finden und mehr, wenn Besuch kam. In der Mitte dampfte eine Gemüsesuppe und verströmte einen leckeren Duft.

      Ungeduldig saßen fünf der sechs Kinder da, den Löffel bereits in der Hand, und lautes Geplapper, manchmal auch Geschrei und Gezänk, erfüllte die geräumige Küche. Es war ein Spiel, dem Tischnachbarn den Holzlöffel auf den Kopf zu schlagen und dann unschuldig zu pfeifen oder sich gar unter dem Tisch gegenseitig zu treten.

      Das Baby Lena hatte seinen Brei bereits erhalten und schlief friedlich in der Stube im Korb.

      Die Mutter kümmerte sich nicht um den Lärm und schöpfte allen eine Kelle Suppe in die Teller, ehe sie sich wieder setzte und ihren Gedanken nachhing.

      Der Vater stand oben am Ende des Tisches und nahm den Laib Brot an sich. Er war ein großer, starker Mann mit rabenschwarzen, nach hinten gekämmten Haaren. Bevor er von dem Laib abschnitt, ritzte er andächtig mit dem Messer ein Kreuz als Zeichen der Dankbarkeit in den Brotboden. Danach begann er, gleichmäßige Scheiben davon abzuschneiden und reichte all seinen Lieben je eine. Niemandem auf der ganzen Welt wäre es gelungen, solch gerade und immer gleich dicke Stücke zu schneiden wie Moritz. Hätte man mit einem Lineal nachgemessen, hätte man gestaunt über die Genauigkeit seiner Schnitte. Dem Vater gab es ein gutes Gefühl, jeden Abend das duftende Brot für die Familie zu schneiden. Denn in dieser Zeit war es nicht selbstverständlich, dass das Essen für alle reichte und auch noch schmeckte.

      Als jeder eine Brotscheibe neben dem Teller liegen hatte, setzte sich Moritz hin, dann wurde es ganz still. Alle legten die Löffel beiseite und falteten die Hände zum Gebet. Der Vater sprach immer dasselbe kurze Dankgebet, und seine tiefe, wunderschöne Stimme durchdrang den Raum. Kaum hatte er fertig gesprochen, wurde wieder wild durcheinandergeplappert und die Suppe gelöffelt. Es gab genug, und oft wurde dazu auch noch ein Stück Wurst oder Speck gereicht.

      »Ich habe heute mit einigen Buben meiner Klasse gekämpft und alle besiegt«, rief Bruno über den Tisch. Keiner hörte zu und zollte ihm den erhofften Respekt. Jeder wusste, dass er, der Zweitälteste der Kinder, nur ein Angeber war. In Wirklichkeit war Bruno ein Angsthase und versteckte sich jammernd hinter dem Rock der Mutter, wenn es ernst wurde. Er war groß für seine zwölf Jahre, aber weil er immer sehr vorsichtig und ängstlich war, konnte er niemanden beeindrucken.

      Der Erstgeborene war der hochgewachsene und starke vierzehnjährige Peter. Beinahe sah er aus wie eine Miniaturausgabe des Familienoberhauptes. Selbst seine Haare trug er wie sein Vater, und im Armdrücken konnte es keines seiner Geschwister, auch keines der Nachbarskinder, mit ihm aufnehmen.

      Und dann war da noch Alma, die Drittälteste. Vor Kurzem hatte sie ihren zehnten Geburtstag gefeiert. Es gab selbst gebackenen Kuchen mit extra vielen Eiern und als Geschenk einen neuen Mantel, den ihre Mutter aus Ilanz besorgt hatte. Alma besaß langes, braunes Haar, das sie, wie alle Mädchen zu jener Zeit, zu zwei dicken Zöpfen flocht. Ihre Haut war immer leicht gebräunt und verlor selbst im Winter die Farbe nicht. Sie war ein hageres, schmächtiges Kind. Überall zeichneten sich die Knochen ab, und die Kleider, die sie trug, wirkten immer viel zu groß.

      Jeder, der sie kannte, wusste jedoch, dass es kaum ein zäheres Mädchen gab, und ihre Unerschrockenheit und ihr Mut beeindruckten alle. Keines der vielen Kinder im Dorf wollte Streit mit ihr anfangen, denn obwohl keine Muskeln am Körper von Alma zu sehen waren, verfügte sie über Kraft und Ausdauer.

      Schon bei ihrer Geburt – zu einem solchen Anlass wurde immer die alte Hebamme aus dem Nachbardorf gerufen – staunten alle, was da für ein knochiges, kleines Bündel auf die Welt kam. Kaum ein Gramm Fett war an dem Babykörper zu entdecken, und es sah zunächst aus, als würde das Mädchen nicht überleben.

      Die Hebamme, die viel Erfahrung hatte, sagte beim Anblick der kleinen Alma, dass man dieses unterentwickelte Kind am besten gleich über die Bettkante schlagen sollte, um das arme Ding nicht lange leiden zu lassen. Noch im gleichen