Andreas Model

Die schönsten Märchen aus Zentralafrika


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      Als die Elefanten Atikawt mit dem geladenen Gewehr erblickten, nahmen sie sofort wieder menschliche Gestalt an und baten um Schonung. Der Jäger erkannte seine Freunde, die beiden Elefantenmenschen, mit denen er wenige Tage zuvor gestritten hatte, und führte ihnen vor, wie er auf den Stamm eines sehr hohen Baumes schoss. Nachdem die beiden nun gesehen hatten, was für ein großes Stück Holz von dem Schuss weggerissen worden war, flehten sie noch ängstlicher, er möge ihnen nichts antun. Alle Zerstörungen, die sie auf seinen Feldern angerichtet hatten, versprachen sie zu ersetzen. Damit war der Jäger zufrieden, er wandte sich um und kehrte auf dem Weg, den er gekommen war, zurück.

      Kaum aber war Atikawt außer Sicht, verwandelten sich die Männer wieder in Elefanten und wandten einen großen Zauber an. Sie ließen einen so heftigen Regenguss hernieder gehen, dass der Weg überschwemmt war und der Jäger nicht nach Hause finden konnte. Er lief durch den Wald und hatte sich schließlich verirrt. Nach vielen Stunden befand er sich in einem Teil des Waldes, in dem er vorher nie gewesen war. Als es aufhörte zu regnen, entdeckte er ganz in seiner Nähe ein so prächtiges Haus, wie er noch nie eins gesehen hatte. Es gehörte der Beherrscherin des Waldes, und rings um das Haus lagen Haufen von menschlichen Schädeln und Knochen.

      Der Jäger glaubte sich schon verloren, da hörte er den Ruf: "Awsang Atikawt!" Er antwortete und sah aus einer schmalen Seitentür ein kleines lahmes Mädchen schlüpfen. Es kam auf ihn zu und erklärte, wie leid es ihr tue, dass er an diesen Unglücksort geraten sei. Ihre Herrin, ein Ungeheuer, verschlinge jeden, der sich in der Nähe ihrer Behausung befände. Mit Hilfe der Zaubermittel, über die sie verfüge, könne sie jeden einholen, der zu fliehen versuche. "Und trotzdem", fuhr das Mädchen fort, "wenn du tust, was ich dir sage, werde ich dich retten und sicher nach Hause bringen. Du darfst aber nichts von dem Essen zu dir nehmen, das meine Herrin dir geben wird."

      Atikawt dankte dem Mädchen und versprach, nicht ohne ihre Erlaubnis zu essen. "Gut", antwortete die Kleine, "dann nimm das hier", und gab ihm ein Stück essbaren Ton. "Iß davon, und was du von meiner Herrin bekommst, wirf irgendeinem Tier vor. Aber achte darauf, dass sie nichts merkt. In der Nacht wird sie dich mit zu sich nehmen. Sei auch da vorsichtig und hör genau hin, wenn sie zu schlafen scheint. Schnarcht sie laut wie ein Sturm, bleib ganz still liegen, dann ist sie nämlich noch wach. Erst wenn ihr Schnarchen das Haus wie ein Donnerschlag erschüttert, weißt du, dass sie schläft. Dann schleich dich hinaus und komm zu mir. Ich werde dir zwei verschiedene Zauberpflanzen geben, die du auf der Flucht brauchen wirst. Presst du den Saft der ersten auf das Tor, tut es sich auf, und du kannst hindurchgehen. Den Saft der zweiten lass in den Fluss tropfen, er wird austrocknen, und du gelangst an das andere Ufer. Dort darfst du dich aber auf keinen Fall umdrehen, sondern musst die Zauberblätter über deine Schulter ins Wasser werfen. Es wird steigen und die Furt überschwemmen. So kannst du nicht verfolgt und eingefangen werden."

      In dem Augenblick erklangen Trommeln, erschallten Hörner und alle mögliche Musik war im Abendwind zu hören. Das kleine Mädchen erklärte, dass sich nun ihre Herrin nähere, all die Töne kämen aus ihrem Leib. "Bleib ganz ruhig", sagte das Mädchen noch, dann eilte sie in ihr Versteck. Atikawt wartete, bebend vor Furcht. Als die Waldbeherrscherin angelangt war, brach die Musik ab. Sie trat ganz freundlich auf den Jäger zu und bedeutete ihm, er brauche sich nicht zu fürchten, sie wolle ihn zum Mann nehmen, weil sie schon so lange allein lebe. In ihrem prachtvollen Haus bot sie ihm einen Platz an, und Atikawt setzte sich zitternd, seine Angst war nicht geringer geworden. Ada, so war der Name des Waldgeistes, rief nun nach dem lahmen Mädchen. Es schlenderte herbei und gab vor, geschlafen zu haben. In ihrer Waldgeistsprache sagte Ada und wies dabei auf den Gast: "Morgen haben wir eine gute Fleischmahlzeit!" - "So ist es", antwortete das Mädchen.

      Am Abend träufelte Ada Zaubersaft in das Essen des Jägers. Er aber erklärte, in seinem Land sei einem Mann wie ihm nur im Ziegenstall erlaubt, etwas zu essen. Da durfte er sich dorthin zurückziehen. Atikawt warf das Essen den Ziegen vor, und in dem Augenblick, als etwas davon den Boden berührte, loderte eine Flamme auf. Der Jäger blieb ruhig und beobachtete, wie das Feuer wieder erlosch und die Ziegen alles auffraßen. Anschließend kehrte er zu Ada zurück. Sie unterhielten sich noch eine Weile und gingen dann schlafen. Vorher hatte Ada aber noch ein scharf zugespitztes Eisen ins Feuer gelegt. Damit wollte sie Atikawt durchbohren, sobald er eingeschlafen war. Nach einer Weile begann sie zu schnarchen, laut wie ein Sturm, wie das lahme Mädchen es beschrieben hatte. Der Jäger verhielt sich ganz still. Aber als sie kurz darauf schnarchte, dass wie von einem Donnerschlag das ganze Haus erbebte, erhob er sich.

      Auf sein Lager packte er Kissen, breitete eine Decke darüber und verließ den Raum, um das kleine lahme Mädchen zu suchen. Von ihr erhielt er die versprochenen Zauberpflanzen. Nachdem die ersten Tropfen aus der Zauberpflanze auf das Tor gefallen waren, hatte es sich vor Atikawt geöffnet, und auch der Saft aus der anderen Pflanze war kaum mit dem Wasser in Berührung gekommen, da hielt der Fluss sein Wasser zurück und erlaubte ihm, hindurch zu schreiten. Atikawt hatte das andere Ufer noch nicht erreicht, da hörte er Donnergetöse aus dem Haus, das er verlassen hatte. 'Jetzt kommt die Waldbeherrscherin', dachte er. Am anderen Ufer fühlte er sich erst sicher, als er, ohne sich umzublicken, die Zauberpflanze über seine Schulter geworfen hatte. Danach wandte er sich um, weil er sehen wollte, was geschah.

      Augenblicklich stieg das Wasser, und bald überschwemmten schäumende Fluten die Furt, so dass Atikawt seinen Weg ohne Angst vor Verfolgung fort­setzen konnte.

      Gegen Mitternacht erwachte Ada, zog das spitze, inzwischen rot glühende Eisen aus dem Feuer und stieß es durch die Kissen, die Atikawt auf seinen Platz gelegt hatte. Sie fingen sofort Feuer. Nun ratet, ob Ada jetzt wohl wütend war! Wie rasend griffen die Flammen um sich, und der Mann, den sie verschlingen wollte, war entflohen. In heißer Erregung nahm sie die Verfolgung auf, vergaß in ihrer Hast aber die Zauberpflanzen, mit denen sie das Wasser hätte zum Stehen bringen können, und musste so am Ufer des reißenden Flusses aufgeben. Dem Mann auf der anderen Flussseite rief sie zu: "Was wirst du dort erzählen, Awsang Atikawt, wo du hingehst?" - "Erzählen werde ich", antwortete der Jäger, "dass ich einer Frau begegnet bin, die allein im Wald lebt und die alle verschlingt, die sie eingefangen hat, einer Frau, die in ihrem Leib Trommeln, blasende Hörner und sogar große Waffen hat, einer Frau, die eine Gefahr ist für jedes menschliche Wesen. Je eher sie getötet wird, desto besser ist es für alle Jäger!" Voller Wut machte Ada kehrt. Atikawt aber setzte seinen Weg fort und wurde zu Hause mit großem Jubel empfangen.

      Einige Tage später näherte sich eine wunderschöne Frau der Stadt, in der er lebte. Sie war so kostbar gekleidet, wie man es noch nie gesehen hatte. Auf dem Kopf trug sie eine Kalebasse voller Fleisch. Atikawt trat heraus, um den Gast zu begrüßen und nach seinen Wünschen zu fragen. Da erzählte ihm die Schöne, sie käme aus einer Stadt in der Nähe, die er vor einiger Zeit besucht habe. Sie hätte sich, kaum dass sie seiner ansichtig geworden, sogleich in ihn verliebt. Erst heute sei es ihr gelungen, ihn zu finden, obwohl sie überall nach seinem Namen und seinem Wohnort geforscht habe. Awsang Atikawt lauschte ihrer Schmeichelrede und bezweifelte nicht eines ihrer Worte.

      Eine von Atikawts Frauen aber war eine Zauberin. Sie fand heraus, dass es sich bei der Besucherin um keine andere handelte als Ada, die Beherrscherin des Waldes, und rief ihren Mann zu sich, um ihn zu warnen. So deutlich es ihr möglich war, gab sie ihm zu verstehen, die schöne Fremde sei in Wirklichkeit jene böse Frau, der er vor kurzem erst entkommen konnte, die mit den Trommeln, den Hörnern, Waffen und allen möglichen Gewaltmitteln im Leib. Atikawt aber lachte nur und meinte, wenn seine Frau den Waldgeist Ada gesehen hätte, wüsste sie, dass die Besucherin überhaupt nicht mit diesem Ungeheuer zu vergleichen wäre.

      Gegen Abend versuchte Atikawts Frau noch einmal, ihren Mann zu bewegen, die Fremde fortzuschicken, denn sie sei tatsächlich jenes böse Wesen, dessen Grausamkeiten er erst vor wenigen Tagen so eindrucksvoll geschildert hatte. Aber statt ihr zuzuhören, lachte Atikawt noch mehr und hielt seiner Frau vor, sie sei zu eifersüchtig. Einen dritten Versuch unternahm die Frau, als sich Atikawt in der Nacht zu der schönen Fremden legen wollte. Sie nahm ihn beiseite und erklärte ihm, dass er sein Leben verlöre, falls er nicht von seinem Vorhaben abließe, die schöne Besucherin, in Wahrheit Ada, der Waldgeist, würde ihn töten. Aber Atikawt blieb hartnäckig, und die Frau sah, alle Warnungen waren zwecklos. Dennoch beschloss sie, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, denn sie war viel zu